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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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gemälde glich, das von drei verschiedenen
Standpunkten betrachtet, eine Grazie, eine
Meerkaze und en face den Teufel dazu dar-
stellt. Da bin ich denn über mich verwirrt ge-
worden, und habe als den lezten Grund mei-
nes Daseins hypothetisch angenommen, daß
eben der Teufel selbst, um dem Himmel einen
Possen zu spielen, sich während einer dunkeln
Nacht in das Bette einer eben kanonisirten
Heiligen geschlichen, und da mich gleichsam als
eine lex cruciata für unsern Herrgott nieder-
geschrieben habe, bei der er sich am Weltge-
richtstage den Kopf zerbrechen solle.

Dieser verdammte Widerspruch in mir geht
so weit, daß z. B. der Papst selbst beim Be-
ten nicht andächtiger sein kann, als ich beim
blasphemiren, da ich hingegen wenn ich recht
gute erbauliche Werke durchlese, mich der bos-
haftesten Gedanken dabei durchaus nicht erweh-
ren kann. Wenn andere verständige und ge-
fühlvolle Leute in die Natur hinauswandern

gemaͤlde glich, das von drei verſchiedenen
Standpunkten betrachtet, eine Grazie, eine
Meerkaze und en façe den Teufel dazu dar-
ſtellt. Da bin ich denn uͤber mich verwirrt ge-
worden, und habe als den lezten Grund mei-
nes Daſeins hypothetiſch angenommen, daß
eben der Teufel ſelbſt, um dem Himmel einen
Poſſen zu ſpielen, ſich waͤhrend einer dunkeln
Nacht in das Bette einer eben kanoniſirten
Heiligen geſchlichen, und da mich gleichſam als
eine lex cruciata fuͤr unſern Herrgott nieder-
geſchrieben habe, bei der er ſich am Weltge-
richtstage den Kopf zerbrechen ſolle.

Dieſer verdammte Widerſpruch in mir geht
ſo weit, daß z. B. der Papſt ſelbſt beim Be-
ten nicht andaͤchtiger ſein kann, als ich beim
blasphemiren, da ich hingegen wenn ich recht
gute erbauliche Werke durchleſe, mich der bos-
hafteſten Gedanken dabei durchaus nicht erweh-
ren kann. Wenn andere verſtaͤndige und ge-
fuͤhlvolle Leute in die Natur hinauswandern

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[112/0114] gemaͤlde glich, das von drei verſchiedenen Standpunkten betrachtet, eine Grazie, eine Meerkaze und en façe den Teufel dazu dar- ſtellt. Da bin ich denn uͤber mich verwirrt ge- worden, und habe als den lezten Grund mei- nes Daſeins hypothetiſch angenommen, daß eben der Teufel ſelbſt, um dem Himmel einen Poſſen zu ſpielen, ſich waͤhrend einer dunkeln Nacht in das Bette einer eben kanoniſirten Heiligen geſchlichen, und da mich gleichſam als eine lex cruciata fuͤr unſern Herrgott nieder- geſchrieben habe, bei der er ſich am Weltge- richtstage den Kopf zerbrechen ſolle. Dieſer verdammte Widerſpruch in mir geht ſo weit, daß z. B. der Papſt ſelbſt beim Be- ten nicht andaͤchtiger ſein kann, als ich beim blasphemiren, da ich hingegen wenn ich recht gute erbauliche Werke durchleſe, mich der bos- hafteſten Gedanken dabei durchaus nicht erweh- ren kann. Wenn andere verſtaͤndige und ge- fuͤhlvolle Leute in die Natur hinauswandern

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/114>, abgerufen am 19.04.2024.