Auf eine Verbesserung der Harmonie von einer ganz an- dern Art, und die nur den Vers an sich angeht, haben sich einige unter uns eingelassen, da sie eine Sylbe mehr vor den homerischen Hexameter sezten, um wie es scheint, durch einen jambischen Anfang das Ohr, wegen der Ungewöhn- lichkeit des neuen Verses, schadlos zu halten. Aber sie ha- ben zween nicht unwichtige Einwürfe wider sich. Da der Hexameter eben so lang ist, als ihn das Ohr verlangt, wenn es einen merklichen Absatz einer vollen Harmonie, und nicht mehr auf einmal fordert; so dehnen sie die Länge des Verses über die Gränzen der Natur aus. Weil sich aber diese Gränzen nur durch ein gewisses Urtheil des Ohrs bestimmen lassen; so kann ich mich, wegen seiner wahrscheinlichen Rich- tigkeit, nur auf die beständigen Muster der Griechen und Römer berufen, die doch sonst so abgeneigt nicht waren, neu zu seyn, und in ihren theatralischen Jamben oft so sehr von einander unterschieden sind, daß es eben daher so schwer wird, diese Versart genau zu bestimmen. Der zweyte Einwurf ist, daß die, so die Sylbe noch hinzusetzen, nicht selten in Gefahr sind, zween Verse statt eines zu machen.
Noch eine andre Sorgfalt, dem neuen Verse eine gute Aufnahme zu verschaffen, war ein Einfall, der in dieser Ab- sicht sehr glücklich war. So bald man ihn aber zur Regel machen wollte, würde man ihn übertreiben. Jn einem ly- rischen Gedichte wurden die Regeln des griechischen Sylben- masses völlig nach der Prosodie der Alten beobachtet. Ohne die Schwierigkeit zu berühren, auch nur einige kleine Stücke in dieser Art zu verfertigen, scheint mir diese ganz gebundne Nachahmung, der Natur unsrer Sprache, ihres Hexameters, und seiner Harmonie, entgegen zu seyn. Man weis, daß Ovidius schon hüpfend wurde, statt den majestätischen und eigentlichen Wohlklang Virgils zu übertreffen.
Weil
Von der Nachahmung
Auf eine Verbeſſerung der Harmonie von einer ganz an- dern Art, und die nur den Vers an ſich angeht, haben ſich einige unter uns eingelaſſen, da ſie eine Sylbe mehr vor den homeriſchen Hexameter ſezten, um wie es ſcheint, durch einen jambiſchen Anfang das Ohr, wegen der Ungewoͤhn- lichkeit des neuen Verſes, ſchadlos zu halten. Aber ſie ha- ben zween nicht unwichtige Einwuͤrfe wider ſich. Da der Hexameter eben ſo lang iſt, als ihn das Ohr verlangt, wenn es einen merklichen Abſatz einer vollen Harmonie, und nicht mehr auf einmal fordert; ſo dehnen ſie die Laͤnge des Verſes uͤber die Graͤnzen der Natur aus. Weil ſich aber dieſe Graͤnzen nur durch ein gewiſſes Urtheil des Ohrs beſtimmen laſſen; ſo kann ich mich, wegen ſeiner wahrſcheinlichen Rich- tigkeit, nur auf die beſtaͤndigen Muſter der Griechen und Roͤmer berufen, die doch ſonſt ſo abgeneigt nicht waren, neu zu ſeyn, und in ihren theatraliſchen Jamben oft ſo ſehr von einander unterſchieden ſind, daß es eben daher ſo ſchwer wird, dieſe Versart genau zu beſtimmen. Der zweyte Einwurf iſt, daß die, ſo die Sylbe noch hinzuſetzen, nicht ſelten in Gefahr ſind, zween Verſe ſtatt eines zu machen.
Noch eine andre Sorgfalt, dem neuen Verſe eine gute Aufnahme zu verſchaffen, war ein Einfall, der in dieſer Ab- ſicht ſehr gluͤcklich war. So bald man ihn aber zur Regel machen wollte, wuͤrde man ihn uͤbertreiben. Jn einem ly- riſchen Gedichte wurden die Regeln des griechiſchen Sylben- maſſes voͤllig nach der Proſodie der Alten beobachtet. Ohne die Schwierigkeit zu beruͤhren, auch nur einige kleine Stuͤcke in dieſer Art zu verfertigen, ſcheint mir dieſe ganz gebundne Nachahmung, der Natur unſrer Sprache, ihres Hexameters, und ſeiner Harmonie, entgegen zu ſeyn. Man weis, daß Ovidius ſchon huͤpfend wurde, ſtatt den majeſtaͤtiſchen und eigentlichen Wohlklang Virgils zu uͤbertreffen.
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[0010]
Von der Nachahmung
Auf eine Verbeſſerung der Harmonie von einer ganz an-
dern Art, und die nur den Vers an ſich angeht, haben ſich
einige unter uns eingelaſſen, da ſie eine Sylbe mehr vor den
homeriſchen Hexameter ſezten, um wie es ſcheint, durch
einen jambiſchen Anfang das Ohr, wegen der Ungewoͤhn-
lichkeit des neuen Verſes, ſchadlos zu halten. Aber ſie ha-
ben zween nicht unwichtige Einwuͤrfe wider ſich. Da der
Hexameter eben ſo lang iſt, als ihn das Ohr verlangt, wenn
es einen merklichen Abſatz einer vollen Harmonie, und nicht
mehr auf einmal fordert; ſo dehnen ſie die Laͤnge des Verſes
uͤber die Graͤnzen der Natur aus. Weil ſich aber dieſe
Graͤnzen nur durch ein gewiſſes Urtheil des Ohrs beſtimmen
laſſen; ſo kann ich mich, wegen ſeiner wahrſcheinlichen Rich-
tigkeit, nur auf die beſtaͤndigen Muſter der Griechen und
Roͤmer berufen, die doch ſonſt ſo abgeneigt nicht waren, neu
zu ſeyn, und in ihren theatraliſchen Jamben oft ſo ſehr von
einander unterſchieden ſind, daß es eben daher ſo ſchwer wird,
dieſe Versart genau zu beſtimmen. Der zweyte Einwurf iſt,
daß die, ſo die Sylbe noch hinzuſetzen, nicht ſelten in Gefahr
ſind, zween Verſe ſtatt eines zu machen.
Noch eine andre Sorgfalt, dem neuen Verſe eine gute
Aufnahme zu verſchaffen, war ein Einfall, der in dieſer Ab-
ſicht ſehr gluͤcklich war. So bald man ihn aber zur Regel
machen wollte, wuͤrde man ihn uͤbertreiben. Jn einem ly-
riſchen Gedichte wurden die Regeln des griechiſchen Sylben-
maſſes voͤllig nach der Proſodie der Alten beobachtet. Ohne
die Schwierigkeit zu beruͤhren, auch nur einige kleine Stuͤcke
in dieſer Art zu verfertigen, ſcheint mir dieſe ganz gebundne
Nachahmung, der Natur unſrer Sprache, ihres Hexameters,
und ſeiner Harmonie, entgegen zu ſeyn. Man weis, daß
Ovidius ſchon huͤpfend wurde, ſtatt den majeſtaͤtiſchen und
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/10>, abgerufen am 02.03.2021.
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