Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Eilte der fliegende Stern. Jzt war er in deine Gebiete
Sonne, gekommen! Jzt naht' er sich dir. Es staunten, beym Anblick
Dieser neuen Sonne, die sanften menschlichen Seelen,
Und erhuben sich über des Sterns hocheilende Wolken.
Adamida erreichte die Sonne. Nun wandelt er. Langsam
Trit er vor ihr Antliz, und trinkt die äussersten Strahlen.

Aber die Erde ward still vor der sinkenden Dämmrung. Die Dämmrung
Wurde dunkler, stiller die Erde. Schatten, mit bleichem
Schimmer, ängstliche trübe Schatten beströmmten die Erde.
Stumm entflogen die Vögel des Himmels in tiefere Haine;
Bis zum Wurme, verschlichen, bestürzt, die Thiere der Felder
Sich zur einsamen Höle. Die Lüfte verstummten, und todte
Stille herrschte. Der Mensch sah schweraufathmend gen Himmel.
Jtzo wurd es noch dunkler; und nun, wie Nächte! Der Stern stand,
Hatte die Sonne verlöscht. Jn fürchterlichsichtbare Nächte
Lagen die weiten Gefilde der Erde gehüllt, und schwiegen.
Aber am hohen Kreuz hing Jesus Christus herunter
Jn die Nacht hin, und Todesschweiß rann mit des Sterbenden Blute,
Und die Erde, sie lag in ihrer Betäubung. Betäubter
Bleibt der Freund nicht am Grabe des frühentfliehenden Freundes,
Oder, wer grosse Thaten versteht, am Marmor des edlen
Patrioten, der Tugenden nachließ. Mit starrer Gebehrde
Hängt er über der heiligen Trümmer, und weint nicht. Auf einmal
Faßt ihn mit anderm Wüten der Schmerz, schreckt ihn auf. Die Erde
Lag so in der Betäubung; so bebte sie auf. Der bewegte
Golgatha schauerte itzo mit ihr bis zum obersten Kreuze.
Und des Geopferten Wunden ergossen das ewige Leben
Strömen-

Der Meſſias.

Eilte der fliegende Stern. Jzt war er in deine Gebiete
Sonne, gekommen! Jzt naht’ er ſich dir. Es ſtaunten, beym Anblick
Dieſer neuen Sonne, die ſanften menſchlichen Seelen,
Und erhuben ſich uͤber des Sterns hocheilende Wolken.
Adamida erreichte die Sonne. Nun wandelt er. Langſam
Trit er vor ihr Antliz, und trinkt die aͤuſſerſten Strahlen.

Aber die Erde ward ſtill vor der ſinkenden Daͤmmrung. Die Daͤmmrung
Wurde dunkler, ſtiller die Erde. Schatten, mit bleichem
Schimmer, aͤngſtliche truͤbe Schatten beſtroͤmmten die Erde.
Stumm entflogen die Voͤgel des Himmels in tiefere Haine;
Bis zum Wurme, verſchlichen, beſtuͤrzt, die Thiere der Felder
Sich zur einſamen Hoͤle. Die Luͤfte verſtummten, und todte
Stille herrſchte. Der Menſch ſah ſchweraufathmend gen Himmel.
Jtzo wurd es noch dunkler; und nun, wie Naͤchte! Der Stern ſtand,
Hatte die Sonne verloͤſcht. Jn fuͤrchterlichſichtbare Naͤchte
Lagen die weiten Gefilde der Erde gehuͤllt, und ſchwiegen.
Aber am hohen Kreuz hing Jeſus Chriſtus herunter
Jn die Nacht hin, und Todesſchweiß rann mit des Sterbenden Blute,
Und die Erde, ſie lag in ihrer Betaͤubung. Betaͤubter
Bleibt der Freund nicht am Grabe des fruͤhentfliehenden Freundes,
Oder, wer groſſe Thaten verſteht, am Marmor des edlen
Patrioten, der Tugenden nachließ. Mit ſtarrer Gebehrde
Haͤngt er uͤber der heiligen Truͤmmer, und weint nicht. Auf einmal
Faßt ihn mit anderm Wuͤten der Schmerz, ſchreckt ihn auf. Die Erde
Lag ſo in der Betaͤubung; ſo bebte ſie auf. Der bewegte
Golgatha ſchauerte itzo mit ihr bis zum oberſten Kreuze.
Und des Geopferten Wunden ergoſſen das ewige Leben
Stroͤmen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="32">
              <l>
                <pb facs="#f0106" n="80"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Eilte der fliegende Stern. Jzt war er in deine Gebiete</l><lb/>
              <l>Sonne, gekommen! Jzt naht&#x2019; er &#x017F;ich dir. Es &#x017F;taunten, beym Anblick</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;er neuen Sonne, die &#x017F;anften men&#x017F;chlichen Seelen,</l><lb/>
              <l>Und erhuben &#x017F;ich u&#x0364;ber des Sterns hocheilende Wolken.</l><lb/>
              <l>Adamida erreichte die Sonne. Nun wandelt er. Lang&#x017F;am</l><lb/>
              <l>Trit er vor ihr Antliz, und trinkt die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Strahlen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="33">
              <l>Aber die Erde ward &#x017F;till vor der &#x017F;inkenden Da&#x0364;mmrung. Die Da&#x0364;mmrung</l><lb/>
              <l>Wurde dunkler, &#x017F;tiller die Erde. Schatten, mit bleichem</l><lb/>
              <l>Schimmer, a&#x0364;ng&#x017F;tliche tru&#x0364;be Schatten be&#x017F;tro&#x0364;mmten die Erde.</l><lb/>
              <l>Stumm entflogen die Vo&#x0364;gel des Himmels in tiefere Haine;</l><lb/>
              <l>Bis zum Wurme, ver&#x017F;chlichen, be&#x017F;tu&#x0364;rzt, die Thiere der Felder</l><lb/>
              <l>Sich zur ein&#x017F;amen Ho&#x0364;le. Die Lu&#x0364;fte ver&#x017F;tummten, und todte</l><lb/>
              <l>Stille herr&#x017F;chte. Der Men&#x017F;ch &#x017F;ah &#x017F;chweraufathmend gen Himmel.</l><lb/>
              <l>Jtzo wurd es noch dunkler; und nun, wie Na&#x0364;chte! Der Stern &#x017F;tand,</l><lb/>
              <l>Hatte die Sonne verlo&#x0364;&#x017F;cht. Jn fu&#x0364;rchterlich&#x017F;ichtbare Na&#x0364;chte</l><lb/>
              <l>Lagen die weiten Gefilde der Erde gehu&#x0364;llt, und &#x017F;chwiegen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="34">
              <l>Aber am hohen Kreuz hing Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus herunter</l><lb/>
              <l>Jn die Nacht hin, und Todes&#x017F;chweiß rann mit des Sterbenden Blute,</l><lb/>
              <l>Und die Erde, &#x017F;ie lag in ihrer Beta&#x0364;ubung. Beta&#x0364;ubter</l><lb/>
              <l>Bleibt der Freund nicht am Grabe des fru&#x0364;hentfliehenden Freundes,</l><lb/>
              <l>Oder, wer gro&#x017F;&#x017F;e Thaten ver&#x017F;teht, am Marmor des edlen</l><lb/>
              <l>Patrioten, der Tugenden nachließ. Mit &#x017F;tarrer Gebehrde</l><lb/>
              <l>Ha&#x0364;ngt er u&#x0364;ber der heiligen Tru&#x0364;mmer, und weint nicht. Auf einmal</l><lb/>
              <l>Faßt ihn mit anderm Wu&#x0364;ten der Schmerz, &#x017F;chreckt ihn auf. Die Erde</l><lb/>
              <l>Lag &#x017F;o in der Beta&#x0364;ubung; &#x017F;o bebte &#x017F;ie auf. Der bewegte</l><lb/>
              <l>Golgatha &#x017F;chauerte itzo mit ihr bis zum ober&#x017F;ten Kreuze.</l><lb/>
              <l>Und des Geopferten Wunden ergo&#x017F;&#x017F;en das ewige Leben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Stro&#x0364;men-</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0106] Der Meſſias. Eilte der fliegende Stern. Jzt war er in deine Gebiete Sonne, gekommen! Jzt naht’ er ſich dir. Es ſtaunten, beym Anblick Dieſer neuen Sonne, die ſanften menſchlichen Seelen, Und erhuben ſich uͤber des Sterns hocheilende Wolken. Adamida erreichte die Sonne. Nun wandelt er. Langſam Trit er vor ihr Antliz, und trinkt die aͤuſſerſten Strahlen. Aber die Erde ward ſtill vor der ſinkenden Daͤmmrung. Die Daͤmmrung Wurde dunkler, ſtiller die Erde. Schatten, mit bleichem Schimmer, aͤngſtliche truͤbe Schatten beſtroͤmmten die Erde. Stumm entflogen die Voͤgel des Himmels in tiefere Haine; Bis zum Wurme, verſchlichen, beſtuͤrzt, die Thiere der Felder Sich zur einſamen Hoͤle. Die Luͤfte verſtummten, und todte Stille herrſchte. Der Menſch ſah ſchweraufathmend gen Himmel. Jtzo wurd es noch dunkler; und nun, wie Naͤchte! Der Stern ſtand, Hatte die Sonne verloͤſcht. Jn fuͤrchterlichſichtbare Naͤchte Lagen die weiten Gefilde der Erde gehuͤllt, und ſchwiegen. Aber am hohen Kreuz hing Jeſus Chriſtus herunter Jn die Nacht hin, und Todesſchweiß rann mit des Sterbenden Blute, Und die Erde, ſie lag in ihrer Betaͤubung. Betaͤubter Bleibt der Freund nicht am Grabe des fruͤhentfliehenden Freundes, Oder, wer groſſe Thaten verſteht, am Marmor des edlen Patrioten, der Tugenden nachließ. Mit ſtarrer Gebehrde Haͤngt er uͤber der heiligen Truͤmmer, und weint nicht. Auf einmal Faßt ihn mit anderm Wuͤten der Schmerz, ſchreckt ihn auf. Die Erde Lag ſo in der Betaͤubung; ſo bebte ſie auf. Der bewegte Golgatha ſchauerte itzo mit ihr bis zum oberſten Kreuze. Und des Geopferten Wunden ergoſſen das ewige Leben Stroͤmen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/106
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/106>, abgerufen am 23.04.2024.