Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

des griechischen Sylbenmasses im Deutschen.
ist es genung, dieß wenige davon zu sagen. Zuerst müß-
ten wir die Biegsamkeit unsrer Stimme, und den Grad
ihrer Fähigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des
Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und scherz-
hafte Prosa, kennen lernen. Hierauf versuchten wir die
poetische Erzählung, und das Lied. Ein Schritt, der
schwerer ist, als er scheint. Dann giengen wir zu dem
Lehrgedichte, oder dem Trauerspiele fort. Hier würden wir
finden, daß auch die sorgfältigste Reinigkeit der Jamben den
Fehler der Eintönigkeit nicht ersetzen konnte; und daß so
gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer
wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verführt,
von der eigentlichen Aussprache mehr abwichen, als selbst
diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet
sind. Von den Jamben erhüben wir uns weiter zu den
volleren Perioden der Redner. Wenn wir diese lesen könn-
ten; so fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten
hierbey seine prosodische Einrichtung eben nicht zu wissen:
und da die Geschicklichkeit, die Redner zu lesen, voraus-
gesezt wird; so dürften wir nur mit der gesezten Männlich-
keit, mit der vollen und ganzen Aussprache, und, wenn
ich so sagen darf, mit dieser Reife der Stimme, den Hexa-
meter lesen, mit der wir die Prosa lesen. Wollten wir die
Prosodie des Hexameters noch dazu lernen; so würden wir
dem gearbeiteten seine völlige Gerechtigkeit wiederfahren las-
sen; dem weniger sorgfältigen mehr Zierlichkeit geben; und
des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken können. Wir wür-
den auch durch diese Kenntniß bestimmter wissen, wie man
den Vers zwar noch anders, als den besten prosaischen Pe-
rioden lesen; aber niemals in die schülerhafte Verstümm-
lung desselben verfallen müsse, durch welche die Stücke des
Verses dem Hörer vorgezählt; und nicht vorgelesen werden.

Zulezt

des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen.
iſt es genung, dieß wenige davon zu ſagen. Zuerſt muͤß-
ten wir die Biegſamkeit unſrer Stimme, und den Grad
ihrer Faͤhigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des
Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und ſcherz-
hafte Proſa, kennen lernen. Hierauf verſuchten wir die
poetiſche Erzaͤhlung, und das Lied. Ein Schritt, der
ſchwerer iſt, als er ſcheint. Dann giengen wir zu dem
Lehrgedichte, oder dem Trauerſpiele fort. Hier wuͤrden wir
finden, daß auch die ſorgfaͤltigſte Reinigkeit der Jamben den
Fehler der Eintoͤnigkeit nicht erſetzen konnte; und daß ſo
gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer
wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verfuͤhrt,
von der eigentlichen Ausſprache mehr abwichen, als ſelbſt
diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet
ſind. Von den Jamben erhuͤben wir uns weiter zu den
volleren Perioden der Redner. Wenn wir dieſe leſen koͤnn-
ten; ſo fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten
hierbey ſeine proſodiſche Einrichtung eben nicht zu wiſſen:
und da die Geſchicklichkeit, die Redner zu leſen, voraus-
geſezt wird; ſo duͤrften wir nur mit der geſezten Maͤnnlich-
keit, mit der vollen und ganzen Ausſprache, und, wenn
ich ſo ſagen darf, mit dieſer Reife der Stimme, den Hexa-
meter leſen, mit der wir die Proſa leſen. Wollten wir die
Proſodie des Hexameters noch dazu lernen; ſo wuͤrden wir
dem gearbeiteten ſeine voͤllige Gerechtigkeit wiederfahren laſ-
ſen; dem weniger ſorgfaͤltigen mehr Zierlichkeit geben; und
des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken koͤnnen. Wir wuͤr-
den auch durch dieſe Kenntniß beſtimmter wiſſen, wie man
den Vers zwar noch anders, als den beſten proſaiſchen Pe-
rioden leſen; aber niemals in die ſchuͤlerhafte Verſtuͤmm-
lung deſſelben verfallen muͤſſe, durch welche die Stuͤcke des
Verſes dem Hoͤrer vorgezaͤhlt; und nicht vorgeleſen werden.

Zulezt
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des griechi&#x017F;chen Sylbenma&#x017F;&#x017F;es im Deut&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
i&#x017F;t es genung, dieß wenige davon zu &#x017F;agen. Zuer&#x017F;t mu&#x0364;ß-<lb/>
ten wir die Bieg&#x017F;amkeit un&#x017F;rer Stimme, und den Grad<lb/>
ihrer Fa&#x0364;higkeit, den Wendungen und dem Schwunge des<lb/>
Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und &#x017F;cherz-<lb/>
hafte Pro&#x017F;a, kennen lernen. Hierauf ver&#x017F;uchten wir die<lb/>
poeti&#x017F;che Erza&#x0364;hlung, und das Lied. Ein Schritt, der<lb/>
&#x017F;chwerer i&#x017F;t, als er &#x017F;cheint. Dann giengen wir zu dem<lb/>
Lehrgedichte, oder dem Trauer&#x017F;piele fort. Hier wu&#x0364;rden wir<lb/>
finden, daß auch die &#x017F;orgfa&#x0364;ltig&#x017F;te Reinigkeit der Jamben den<lb/>
Fehler der Einto&#x0364;nigkeit nicht er&#x017F;etzen konnte; und daß &#x017F;o<lb/>
gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer<lb/>
wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verfu&#x0364;hrt,<lb/>
von der eigentlichen Aus&#x017F;prache mehr abwichen, als &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet<lb/>
&#x017F;ind. Von den Jamben erhu&#x0364;ben wir uns weiter zu den<lb/>
volleren Perioden der Redner. Wenn wir die&#x017F;e le&#x017F;en ko&#x0364;nn-<lb/>
ten; &#x017F;o fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten<lb/>
hierbey &#x017F;eine pro&#x017F;odi&#x017F;che Einrichtung eben nicht zu wi&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
und da die Ge&#x017F;chicklichkeit, die Redner zu le&#x017F;en, voraus-<lb/>
ge&#x017F;ezt wird; &#x017F;o du&#x0364;rften wir nur mit der ge&#x017F;ezten Ma&#x0364;nnlich-<lb/>
keit, mit der vollen und ganzen Aus&#x017F;prache, und, wenn<lb/>
ich &#x017F;o &#x017F;agen darf, mit die&#x017F;er Reife der Stimme, den Hexa-<lb/>
meter le&#x017F;en, mit der wir die Pro&#x017F;a le&#x017F;en. Wollten wir die<lb/>
Pro&#x017F;odie des Hexameters noch dazu lernen; &#x017F;o wu&#x0364;rden wir<lb/>
dem gearbeiteten &#x017F;eine vo&#x0364;llige Gerechtigkeit wiederfahren la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en; dem weniger &#x017F;orgfa&#x0364;ltigen mehr Zierlichkeit geben; und<lb/>
des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken ko&#x0364;nnen. Wir wu&#x0364;r-<lb/>
den auch durch die&#x017F;e Kenntniß be&#x017F;timmter wi&#x017F;&#x017F;en, wie man<lb/>
den Vers zwar noch anders, als den be&#x017F;ten pro&#x017F;ai&#x017F;chen Pe-<lb/>
rioden le&#x017F;en; aber niemals in die &#x017F;chu&#x0364;lerhafte Ver&#x017F;tu&#x0364;mm-<lb/>
lung de&#x017F;&#x017F;elben verfallen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, durch welche die Stu&#x0364;cke des<lb/>
Ver&#x017F;es dem Ho&#x0364;rer vorgeza&#x0364;hlt; und nicht vorgele&#x017F;en werden.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zulezt</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0015] des griechiſchen Sylbenmaſſes im Deutſchen. iſt es genung, dieß wenige davon zu ſagen. Zuerſt muͤß- ten wir die Biegſamkeit unſrer Stimme, und den Grad ihrer Faͤhigkeit, den Wendungen und dem Schwunge des Gedanken mit dem Tone zu folgen, durch leichte und ſcherz- hafte Proſa, kennen lernen. Hierauf verſuchten wir die poetiſche Erzaͤhlung, und das Lied. Ein Schritt, der ſchwerer iſt, als er ſcheint. Dann giengen wir zu dem Lehrgedichte, oder dem Trauerſpiele fort. Hier wuͤrden wir finden, daß auch die ſorgfaͤltigſte Reinigkeit der Jamben den Fehler der Eintoͤnigkeit nicht erſetzen konnte; und daß ſo gar Jamben von genauerer Ausarbeitung, durch die immer wiederkommende kurze und lange Sylbe unvermerkt verfuͤhrt, von der eigentlichen Ausſprache mehr abwichen, als ſelbſt diejenigen Hexameter, die mit weniger Sorgfalt gearbeitet ſind. Von den Jamben erhuͤben wir uns weiter zu den volleren Perioden der Redner. Wenn wir dieſe leſen koͤnn- ten; ſo fingen wir mit dem Hexameter an. Wir brauchten hierbey ſeine proſodiſche Einrichtung eben nicht zu wiſſen: und da die Geſchicklichkeit, die Redner zu leſen, voraus- geſezt wird; ſo duͤrften wir nur mit der geſezten Maͤnnlich- keit, mit der vollen und ganzen Ausſprache, und, wenn ich ſo ſagen darf, mit dieſer Reife der Stimme, den Hexa- meter leſen, mit der wir die Proſa leſen. Wollten wir die Proſodie des Hexameters noch dazu lernen; ſo wuͤrden wir dem gearbeiteten ſeine voͤllige Gerechtigkeit wiederfahren laſ- ſen; dem weniger ſorgfaͤltigen mehr Zierlichkeit geben; und des rauhen ganze Rauhigkeit aufdecken koͤnnen. Wir wuͤr- den auch durch dieſe Kenntniß beſtimmter wiſſen, wie man den Vers zwar noch anders, als den beſten proſaiſchen Pe- rioden leſen; aber niemals in die ſchuͤlerhafte Verſtuͤmm- lung deſſelben verfallen muͤſſe, durch welche die Stuͤcke des Verſes dem Hoͤrer vorgezaͤhlt; und nicht vorgeleſen werden. Zulezt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/15
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/15>, abgerufen am 23.04.2024.