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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Zehnter Gesang.

Das, das alles wird er noch erdulden! Jhm wird kein Labsal
Ach, kein Labsal die Angst! (Mein ganzes Daseyn entsezt sich!)
Aber ihm wird kein Labsal die lezte Todesangst lindern;
Hat es der Unerforschte, dem er sich opfert, beschlossen!
Komm, ein Gedanke, nicht ohne den Einfluß Gottes entstanden,
Reisset mich fort! Komm, folge mir nach, thu, was du mich thun siehst!

Und sie schwebten mit traurigem Fluge den Oelberg herunter
Nach dem Todeshügel. Die Engel, und Väter begleiten
Jhren einsamen Flug mit wunderndem Blicke. So viel es
Jhnen die stärkern Empfindungen, ihnen ihr banges Erstaunen,
Ueber den furchtbaren Tod des Gottgeopferten zuläßt,
Folgt ihr Blick mit Erwartung und Zweifel den Erstgeschaffnen.
Diese näherten sich dem Todeshügel, und wurden
Jmmer dunkler vor Wehmut, ie mehr sie dem Hügel sich nahten.
Jtzo standen sie still. Da, wo der Getödtete schlummern,
Nun bald, nach der Vollendung der größten unter den Thaten,
Auch im Staube begraben, wie seine Brüder die Menschen,
Schlummern sollte, da standen sie still. Vor der Oefnung des Grabes
Lag ein Felsen gewälzt. An der einen Seite des Felsen,
Stand der Vater, und neben der andern, die Mutter der Menschen.
Sie sank gleich an den Felsen dahin. Der Gedanke, vom Grabe,
Vom so nahen Grabe des Wundenvollen, durchdrang ihr,
Zu gewaltig, ein Pfeil des Allmächtigen, ihre Seele.
Er ermannte sich noch. Er streckte die Arme gen Himmel.
Dreymal nennt er in sich des Gottversönenden Namen,
Und so lange, sah er, mit bleibendem Blick, ihm ins Antliz,
Jhm, der dahing, und bleich war, als nie ein Sterbender bleich war.
Aber izt hielt er den Anblick nicht mehr, den erschütternden Anblick,
Nicht mehr aus. Er sank in den Staub der Erde danieder,
Hub vor seine Stirne die festgefalteten Hände,
Blickte
K 4

Zehnter Geſang.

Das, das alles wird er noch erdulden! Jhm wird kein Labſal
Ach, kein Labſal die Angſt! (Mein ganzes Daſeyn entſezt ſich!)
Aber ihm wird kein Labſal die lezte Todesangſt lindern;
Hat es der Unerforſchte, dem er ſich opfert, beſchloſſen!
Komm, ein Gedanke, nicht ohne den Einfluß Gottes entſtanden,
Reiſſet mich fort! Komm, folge mir nach, thu, was du mich thun ſiehſt!

Und ſie ſchwebten mit traurigem Fluge den Oelberg herunter
Nach dem Todeshuͤgel. Die Engel, und Vaͤter begleiten
Jhren einſamen Flug mit wunderndem Blicke. So viel es
Jhnen die ſtaͤrkern Empfindungen, ihnen ihr banges Erſtaunen,
Ueber den furchtbaren Tod des Gottgeopferten zulaͤßt,
Folgt ihr Blick mit Erwartung und Zweifel den Erſtgeſchaffnen.
Dieſe naͤherten ſich dem Todeshuͤgel, und wurden
Jmmer dunkler vor Wehmut, ie mehr ſie dem Huͤgel ſich nahten.
Jtzo ſtanden ſie ſtill. Da, wo der Getoͤdtete ſchlummern,
Nun bald, nach der Vollendung der groͤßten unter den Thaten,
Auch im Staube begraben, wie ſeine Bruͤder die Menſchen,
Schlummern ſollte, da ſtanden ſie ſtill. Vor der Oefnung des Grabes
Lag ein Felſen gewaͤlzt. An der einen Seite des Felſen,
Stand der Vater, und neben der andern, die Mutter der Menſchen.
Sie ſank gleich an den Felſen dahin. Der Gedanke, vom Grabe,
Vom ſo nahen Grabe des Wundenvollen, durchdrang ihr,
Zu gewaltig, ein Pfeil des Allmaͤchtigen, ihre Seele.
Er ermannte ſich noch. Er ſtreckte die Arme gen Himmel.
Dreymal nennt er in ſich des Gottverſoͤnenden Namen,
Und ſo lange, ſah er, mit bleibendem Blick, ihm ins Antliz,
Jhm, der dahing, und bleich war, als nie ein Sterbender bleich war.
Aber izt hielt er den Anblick nicht mehr, den erſchuͤtternden Anblick,
Nicht mehr aus. Er ſank in den Staub der Erde danieder,
Hub vor ſeine Stirne die feſtgefalteten Haͤnde,
Blickte
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[151/0181] Zehnter Geſang. Das, das alles wird er noch erdulden! Jhm wird kein Labſal Ach, kein Labſal die Angſt! (Mein ganzes Daſeyn entſezt ſich!) Aber ihm wird kein Labſal die lezte Todesangſt lindern; Hat es der Unerforſchte, dem er ſich opfert, beſchloſſen! Komm, ein Gedanke, nicht ohne den Einfluß Gottes entſtanden, Reiſſet mich fort! Komm, folge mir nach, thu, was du mich thun ſiehſt! Und ſie ſchwebten mit traurigem Fluge den Oelberg herunter Nach dem Todeshuͤgel. Die Engel, und Vaͤter begleiten Jhren einſamen Flug mit wunderndem Blicke. So viel es Jhnen die ſtaͤrkern Empfindungen, ihnen ihr banges Erſtaunen, Ueber den furchtbaren Tod des Gottgeopferten zulaͤßt, Folgt ihr Blick mit Erwartung und Zweifel den Erſtgeſchaffnen. Dieſe naͤherten ſich dem Todeshuͤgel, und wurden Jmmer dunkler vor Wehmut, ie mehr ſie dem Huͤgel ſich nahten. Jtzo ſtanden ſie ſtill. Da, wo der Getoͤdtete ſchlummern, Nun bald, nach der Vollendung der groͤßten unter den Thaten, Auch im Staube begraben, wie ſeine Bruͤder die Menſchen, Schlummern ſollte, da ſtanden ſie ſtill. Vor der Oefnung des Grabes Lag ein Felſen gewaͤlzt. An der einen Seite des Felſen, Stand der Vater, und neben der andern, die Mutter der Menſchen. Sie ſank gleich an den Felſen dahin. Der Gedanke, vom Grabe, Vom ſo nahen Grabe des Wundenvollen, durchdrang ihr, Zu gewaltig, ein Pfeil des Allmaͤchtigen, ihre Seele. Er ermannte ſich noch. Er ſtreckte die Arme gen Himmel. Dreymal nennt er in ſich des Gottverſoͤnenden Namen, Und ſo lange, ſah er, mit bleibendem Blick, ihm ins Antliz, Jhm, der dahing, und bleich war, als nie ein Sterbender bleich war. Aber izt hielt er den Anblick nicht mehr, den erſchuͤtternden Anblick, Nicht mehr aus. Er ſank in den Staub der Erde danieder, Hub vor ſeine Stirne die feſtgefalteten Haͤnde, Blickte K 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/181>, abgerufen am 28.03.2024.