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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Siebender Gesang.
Wie ist deine Seele bewegt! Ja, Portia liebt mich! ...
Portia! ... o, ich wars auch, ich war der glücklichen Mütter
Glücklichste! So hat keine der Mütter geliebt, wie ich liebe!
Aber bey deinem Herzen voll Mitleids, o Römerinn, rufe
Deine Götter nicht an! Hilf selbst, sie können nicht helfen!
Und auch du vermagst nicht zu helfen, wenn Gottes Rathschluß,
Daß er sterbe, beschlossen hat! Aber es würde Pilatus,
Wenn des Unschuldigen Blut nicht seine Seele befleckte,
Freudiger vor dem Gericht des Gotts der Götter erscheinen.
Portia schaut auf sie hin, und fing an leise zu reden:
O was sag ich zuerst? was zulezt? wie voll ist mein Herz mir!
Erst sey dieses dein Trost, ist anders ein Trost dir: Jch will dir
Helfen, du Theure! Dann wisse, die Götter, welche du meintest,
Fleht ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich izt aufsteh,
Lehrte mich bessre Götter, zu denen hab ich gebetet!
O ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geschwebt hat,
Ein erschreckender, himmlischer Traum! Jch würde dir helfen,
Wärst du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich sahe,
Hatte mir schon für dich mit mächtiger Stimme gesprochen.
Aber er endete fürchterlich, und ich verstand ihn zulezt nicht.
Da erwacht ich, und fand mich in kalten Schweissen. Jch eilte
Gleich, den erhabnen Verklagten zu sehn. Da hatten die Götter
Mir des Verklagten Mutter gesandt! Hier schwieg sie, und winkte,
Einer Slavinn, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs stand.
Denn sie gab den Befehl, als sie aus ihren Gemächern
Eilte: Sie sollte von fern nur eine Sclavinn begleiten.
Diese
Siebender Geſang.
Wie iſt deine Seele bewegt! Ja, Portia liebt mich! …
Portia! … o, ich wars auch, ich war der gluͤcklichen Muͤtter
Gluͤcklichſte! So hat keine der Muͤtter geliebt, wie ich liebe!
Aber bey deinem Herzen voll Mitleids, o Roͤmerinn, rufe
Deine Goͤtter nicht an! Hilf ſelbſt, ſie koͤnnen nicht helfen!
Und auch du vermagſt nicht zu helfen, wenn Gottes Rathſchluß,
Daß er ſterbe, beſchloſſen hat! Aber es wuͤrde Pilatus,
Wenn des Unſchuldigen Blut nicht ſeine Seele befleckte,
Freudiger vor dem Gericht des Gotts der Goͤtter erſcheinen.
Portia ſchaut auf ſie hin, und fing an leiſe zu reden:
O was ſag ich zuerſt? was zulezt? wie voll iſt mein Herz mir!
Erſt ſey dieſes dein Troſt, iſt anders ein Troſt dir: Jch will dir
Helfen, du Theure! Dann wiſſe, die Goͤtter, welche du meinteſt,
Fleht ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich izt aufſteh,
Lehrte mich beſſre Goͤtter, zu denen hab ich gebetet!
O ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geſchwebt hat,
Ein erſchreckender, himmliſcher Traum! Jch wuͤrde dir helfen,
Waͤrſt du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich ſahe,
Hatte mir ſchon fuͤr dich mit maͤchtiger Stimme geſprochen.
Aber er endete fuͤrchterlich, und ich verſtand ihn zulezt nicht.
Da erwacht ich, und fand mich in kalten Schweiſſen. Jch eilte
Gleich, den erhabnen Verklagten zu ſehn. Da hatten die Goͤtter
Mir des Verklagten Mutter geſandt! Hier ſchwieg ſie, und winkte,
Einer Slavinn, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs ſtand.
Denn ſie gab den Befehl, als ſie aus ihren Gemaͤchern
Eilte: Sie ſollte von fern nur eine Sclavinn begleiten.
Dieſe
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[43/0067] Siebender Geſang. Wie iſt deine Seele bewegt! Ja, Portia liebt mich! … Portia! … o, ich wars auch, ich war der gluͤcklichen Muͤtter Gluͤcklichſte! So hat keine der Muͤtter geliebt, wie ich liebe! Aber bey deinem Herzen voll Mitleids, o Roͤmerinn, rufe Deine Goͤtter nicht an! Hilf ſelbſt, ſie koͤnnen nicht helfen! Und auch du vermagſt nicht zu helfen, wenn Gottes Rathſchluß, Daß er ſterbe, beſchloſſen hat! Aber es wuͤrde Pilatus, Wenn des Unſchuldigen Blut nicht ſeine Seele befleckte, Freudiger vor dem Gericht des Gotts der Goͤtter erſcheinen. Portia ſchaut auf ſie hin, und fing an leiſe zu reden: O was ſag ich zuerſt? was zulezt? wie voll iſt mein Herz mir! Erſt ſey dieſes dein Troſt, iſt anders ein Troſt dir: Jch will dir Helfen, du Theure! Dann wiſſe, die Goͤtter, welche du meinteſt, Fleht ich nicht an. Ein heiliger Traum, von dem ich izt aufſteh, Lehrte mich beſſre Goͤtter, zu denen hab ich gebetet! O ein Traum, wie noch keiner um meine Seele geſchwebt hat, Ein erſchreckender, himmliſcher Traum! Jch wuͤrde dir helfen, Waͤrſt du auch nicht, Maria, gekommen. Der Traum, den ich ſahe, Hatte mir ſchon fuͤr dich mit maͤchtiger Stimme geſprochen. Aber er endete fuͤrchterlich, und ich verſtand ihn zulezt nicht. Da erwacht ich, und fand mich in kalten Schweiſſen. Jch eilte Gleich, den erhabnen Verklagten zu ſehn. Da hatten die Goͤtter Mir des Verklagten Mutter geſandt! Hier ſchwieg ſie, und winkte, Einer Slavinn, die ferne von ihr in der Tiefe des Gangs ſtand. Denn ſie gab den Befehl, als ſie aus ihren Gemaͤchern Eilte: Sie ſollte von fern nur eine Sclavinn begleiten. Dieſe

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/67>, abgerufen am 25.04.2024.