Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Von den süßen Entzückungen über die Todten, die leben!
Ach daß jezo nicht mehr das Grab ist, nicht mehr die Verwesung
Herrscht, noch in Grüften zerstört der hohen Seele Genoß liegt!
Wehet, Winde, von Morgen, und bringt den Staub der Zerstörung!
Bringt der Zerstörung Staub, ihr wehenden Winde, von Abend!
Brause, Sturm der Mitternacht, und bringe die Trümmern!
Jesus Christus erstand! Er wird die Seinen erwecken!
Seine Kindlein werden nicht ewig im Schoosse der Erde
Liegen, entstellt von der Hand der Verwesung. Wie Träumenden wird es
Dann uns seyn, wenn ins Leben der Engel wir wiederkehren.
Wehet, Winde, von Morgen, daß wir in das Leben der Engel
Wiederkehren! O säus'le die Todten Gottes herüber,
Mittagswind, zu dem neugeschaffenen Paradiese.
Sieh, an der Pforte des ewigen Edens schrecket des Cherubs
Schweigen nie, droht nie die hohe Flamme des Schwerdtes!
Denn wir halten das Mahl mit dem Sohn, in der Lebensbäume
Kühle, das Mahl, in dem Säuseln um uns der Gegenwart Gottes!
Denn erstanden ist er, der bis zu dem Tode die Seinen
Liebte, bis zu dem Tod' am Kreuz! .. So hatte sie Thomas
Preisen gehört, und war auf die Schwelle gesunken. Er deckte
Mit der Hülle sein Antlitz! ihm floß die Thräne, wie Blut dem
Fließt, der am Leben verzweifelnd im Kampfgefilde gestreckt liegt,
Und, ihr Gefährt, den Siegsruf hört der Streiter für Freyheit.
Noch vermocht er nicht aufzustehn. Jn sein müdes Gebein drang
Strömender Duft der Mitternacht. Er fühlt' ihn nicht, weinte,
Weinte laut, mit Wehmuthschauer auf Wehmuthschauer,
Daß ihm die ganze Seele zerfloß. Er riß sich mit Eil' auf,

Gieng

Der Meſſias.
Von den ſuͤßen Entzuͤckungen uͤber die Todten, die leben!
Ach daß jezo nicht mehr das Grab iſt, nicht mehr die Verweſung
Herrſcht, noch in Gruͤften zerſtoͤrt der hohen Seele Genoß liegt!
Wehet, Winde, von Morgen, und bringt den Staub der Zerſtoͤrung!
Bringt der Zerſtoͤrung Staub, ihr wehenden Winde, von Abend!
Brauſe, Sturm der Mitternacht, und bringe die Truͤmmern!
Jeſus Chriſtus erſtand! Er wird die Seinen erwecken!
Seine Kindlein werden nicht ewig im Schooſſe der Erde
Liegen, entſtellt von der Hand der Verweſung. Wie Traͤumenden wird es
Dann uns ſeyn, wenn ins Leben der Engel wir wiederkehren.
Wehet, Winde, von Morgen, daß wir in das Leben der Engel
Wiederkehren! O ſaͤuſ’le die Todten Gottes heruͤber,
Mittagswind, zu dem neugeſchaffenen Paradieſe.
Sieh, an der Pforte des ewigen Edens ſchrecket des Cherubs
Schweigen nie, droht nie die hohe Flamme des Schwerdtes!
Denn wir halten das Mahl mit dem Sohn, in der Lebensbaͤume
Kuͤhle, das Mahl, in dem Saͤuſeln um uns der Gegenwart Gottes!
Denn erſtanden iſt er, der bis zu dem Tode die Seinen
Liebte, bis zu dem Tod’ am Kreuz! .. So hatte ſie Thomas
Preiſen gehoͤrt, und war auf die Schwelle geſunken. Er deckte
Mit der Huͤlle ſein Antlitz! ihm floß die Thraͤne, wie Blut dem
Fließt, der am Leben verzweifelnd im Kampfgefilde geſtreckt liegt,
Und, ihr Gefaͤhrt, den Siegsruf hoͤrt der Streiter fuͤr Freyheit.
Noch vermocht er nicht aufzuſtehn. Jn ſein muͤdes Gebein drang
Stroͤmender Duft der Mitternacht. Er fuͤhlt’ ihn nicht, weinte,
Weinte laut, mit Wehmuthſchauer auf Wehmuthſchauer,
Daß ihm die ganze Seele zerfloß. Er riß ſich mit Eil’ auf,

Gieng
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="2">
              <pb facs="#f0054" n="54"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
              <l>Von den &#x017F;u&#x0364;ßen Entzu&#x0364;ckungen u&#x0364;ber die Todten, die leben!</l><lb/>
              <l>Ach daß jezo nicht mehr das Grab i&#x017F;t, nicht mehr die Verwe&#x017F;ung</l><lb/>
              <l>Herr&#x017F;cht, noch in Gru&#x0364;ften zer&#x017F;to&#x0364;rt der hohen Seele Genoß liegt!</l><lb/>
              <l>Wehet, Winde, von Morgen, und bringt den Staub der Zer&#x017F;to&#x0364;rung!</l><lb/>
              <l>Bringt der Zer&#x017F;to&#x0364;rung Staub, ihr wehenden Winde, von Abend!</l><lb/>
              <l>Brau&#x017F;e, Sturm der Mitternacht, und bringe die Tru&#x0364;mmern!</l><lb/>
              <l>Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus er&#x017F;tand! Er wird die Seinen erwecken!</l><lb/>
              <l>Seine Kindlein werden nicht ewig im Schoo&#x017F;&#x017F;e der Erde</l><lb/>
              <l>Liegen, ent&#x017F;tellt von der Hand der Verwe&#x017F;ung. Wie Tra&#x0364;umenden wird es</l><lb/>
              <l>Dann uns &#x017F;eyn, wenn ins Leben der Engel wir wiederkehren.</l><lb/>
              <l>Wehet, Winde, von Morgen, daß wir in das Leben der Engel</l><lb/>
              <l>Wiederkehren! O &#x017F;a&#x0364;u&#x017F;&#x2019;le die Todten Gottes heru&#x0364;ber,</l><lb/>
              <l>Mittagswind, zu dem neuge&#x017F;chaffenen Paradie&#x017F;e.</l><lb/>
              <l>Sieh, an der Pforte des ewigen Edens &#x017F;chrecket des Cherubs</l><lb/>
              <l>Schweigen nie, droht nie die hohe Flamme des Schwerdtes!</l><lb/>
              <l>Denn wir halten das Mahl mit dem Sohn, in der Lebensba&#x0364;ume</l><lb/>
              <l>Ku&#x0364;hle, das Mahl, in dem Sa&#x0364;u&#x017F;eln um uns der Gegenwart Gottes!</l><lb/>
              <l>Denn er&#x017F;tanden i&#x017F;t er, der bis zu dem Tode die Seinen</l><lb/>
              <l>Liebte, bis zu dem Tod&#x2019; am Kreuz! .. So hatte &#x017F;ie Thomas</l><lb/>
              <l>Prei&#x017F;en geho&#x0364;rt, und war auf die Schwelle ge&#x017F;unken. Er deckte</l><lb/>
              <l>Mit der Hu&#x0364;lle &#x017F;ein Antlitz! ihm floß die Thra&#x0364;ne, wie Blut dem</l><lb/>
              <l>Fließt, der am Leben verzweifelnd im Kampfgefilde ge&#x017F;treckt liegt,</l><lb/>
              <l>Und, ihr Gefa&#x0364;hrt, den Siegsruf ho&#x0364;rt der Streiter fu&#x0364;r Freyheit.</l><lb/>
              <l>Noch vermocht er nicht aufzu&#x017F;tehn. Jn &#x017F;ein mu&#x0364;des Gebein drang</l><lb/>
              <l>Stro&#x0364;mender Duft der Mitternacht. Er fu&#x0364;hlt&#x2019; ihn nicht, weinte,</l><lb/>
              <l>Weinte laut, mit Wehmuth&#x017F;chauer auf Wehmuth&#x017F;chauer,</l><lb/>
              <l>Daß ihm die ganze Seele zerfloß. Er riß &#x017F;ich mit Eil&#x2019; auf,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Gieng</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] Der Meſſias. Von den ſuͤßen Entzuͤckungen uͤber die Todten, die leben! Ach daß jezo nicht mehr das Grab iſt, nicht mehr die Verweſung Herrſcht, noch in Gruͤften zerſtoͤrt der hohen Seele Genoß liegt! Wehet, Winde, von Morgen, und bringt den Staub der Zerſtoͤrung! Bringt der Zerſtoͤrung Staub, ihr wehenden Winde, von Abend! Brauſe, Sturm der Mitternacht, und bringe die Truͤmmern! Jeſus Chriſtus erſtand! Er wird die Seinen erwecken! Seine Kindlein werden nicht ewig im Schooſſe der Erde Liegen, entſtellt von der Hand der Verweſung. Wie Traͤumenden wird es Dann uns ſeyn, wenn ins Leben der Engel wir wiederkehren. Wehet, Winde, von Morgen, daß wir in das Leben der Engel Wiederkehren! O ſaͤuſ’le die Todten Gottes heruͤber, Mittagswind, zu dem neugeſchaffenen Paradieſe. Sieh, an der Pforte des ewigen Edens ſchrecket des Cherubs Schweigen nie, droht nie die hohe Flamme des Schwerdtes! Denn wir halten das Mahl mit dem Sohn, in der Lebensbaͤume Kuͤhle, das Mahl, in dem Saͤuſeln um uns der Gegenwart Gottes! Denn erſtanden iſt er, der bis zu dem Tode die Seinen Liebte, bis zu dem Tod’ am Kreuz! .. So hatte ſie Thomas Preiſen gehoͤrt, und war auf die Schwelle geſunken. Er deckte Mit der Huͤlle ſein Antlitz! ihm floß die Thraͤne, wie Blut dem Fließt, der am Leben verzweifelnd im Kampfgefilde geſtreckt liegt, Und, ihr Gefaͤhrt, den Siegsruf hoͤrt der Streiter fuͤr Freyheit. Noch vermocht er nicht aufzuſtehn. Jn ſein muͤdes Gebein drang Stroͤmender Duft der Mitternacht. Er fuͤhlt’ ihn nicht, weinte, Weinte laut, mit Wehmuthſchauer auf Wehmuthſchauer, Daß ihm die ganze Seele zerfloß. Er riß ſich mit Eil’ auf, Gieng

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/54
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/54>, abgerufen am 29.03.2024.