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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

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Erster Gesang.
Gabriel sahe den Mittler in süssem luftigen Schlafe,
Stand voll Verwunderung still, und sah unverwandt
nach der Schönheit,

Die die vereinbarte Gottheit der menschlichen Bildung er-
theilte.

Ruhige Liebe, die Züge des göttlichen Lächelns voll Gnade,
Huld und Milde, noch Thränen der zärtlichen treuen Er-
barmung,

Zeigten den Geist des göttlichen Mittlers in seinem Ge-
sichte;

Doch war sein Abdruck daselbst in Zügen des Schlafes
verdunkelt.

Also sieht ein reisender Seraph der blühenden Erde
Halbunkenntliches Antlitz an Frühlingsabenden liegen,
Wenn der Abendstern schon am einsamen Himmel herauf-
geht,

Und aus dämmernden Lauben den Weisen, ihn anzuschaun,
herwinkt.

Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und
Stille.

O du, der du allwissend bist, sprach er mit zärtlicher
Stimme,

Der du mich hörst, obgleich dein sterblicher Leib hier ru-
het,

Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehor-
chet.

Als ich dies that, so eröffnete mir der Erste der Menschen,
Wie er dein Antlitz zu sehn, unsterblicher Mittler, sich sehne.
Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entschlies-
sung,

Gleich
C

Erſter Geſang.
Gabriel ſahe den Mittler in ſuͤſſem luftigen Schlafe,
Stand voll Verwunderung ſtill, und ſah unverwandt
nach der Schoͤnheit,

Die die vereinbarte Gottheit der menſchlichen Bildung er-
theilte.

Ruhige Liebe, die Zuͤge des goͤttlichen Laͤchelns voll Gnade,
Huld und Milde, noch Thraͤnen der zaͤrtlichen treuen Er-
barmung,

Zeigten den Geiſt des goͤttlichen Mittlers in ſeinem Ge-
ſichte;

Doch war ſein Abdruck daſelbſt in Zuͤgen des Schlafes
verdunkelt.

Alſo ſieht ein reiſender Seraph der bluͤhenden Erde
Halbunkenntliches Antlitz an Fruͤhlingsabenden liegen,
Wenn der Abendſtern ſchon am einſamen Himmel herauf-
geht,

Und aus daͤmmernden Lauben den Weiſen, ihn anzuſchaun,
herwinkt.

Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und
Stille.

O du, der du allwiſſend biſt, ſprach er mit zaͤrtlicher
Stimme,

Der du mich hoͤrſt, obgleich dein ſterblicher Leib hier ru-
het,

Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehor-
chet.

Als ich dies that, ſo eroͤffnete mir der Erſte der Menſchen,
Wie er dein Antlitz zu ſehn, unſterblicher Mittler, ſich ſehne.
Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entſchlieſ-
ſung,

Gleich
C
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[33/0037] Erſter Geſang. Gabriel ſahe den Mittler in ſuͤſſem luftigen Schlafe, Stand voll Verwunderung ſtill, und ſah unverwandt nach der Schoͤnheit, Die die vereinbarte Gottheit der menſchlichen Bildung er- theilte. Ruhige Liebe, die Zuͤge des goͤttlichen Laͤchelns voll Gnade, Huld und Milde, noch Thraͤnen der zaͤrtlichen treuen Er- barmung, Zeigten den Geiſt des goͤttlichen Mittlers in ſeinem Ge- ſichte; Doch war ſein Abdruck daſelbſt in Zuͤgen des Schlafes verdunkelt. Alſo ſieht ein reiſender Seraph der bluͤhenden Erde Halbunkenntliches Antlitz an Fruͤhlingsabenden liegen, Wenn der Abendſtern ſchon am einſamen Himmel herauf- geht, Und aus daͤmmernden Lauben den Weiſen, ihn anzuſchaun, herwinkt. Endlich redte der Seraph nach langer Betrachtung und Stille. O du, der du allwiſſend biſt, ſprach er mit zaͤrtlicher Stimme, Der du mich hoͤrſt, obgleich dein ſterblicher Leib hier ru- het, Deinen Befehlen hab ich mit getreuer Sorgfalt gehor- chet. Als ich dies that, ſo eroͤffnete mir der Erſte der Menſchen, Wie er dein Antlitz zu ſehn, unſterblicher Mittler, ſich ſehne. Jtzo will ich, nach deines erhabenen Vaters Entſchlieſ- ſung, Gleich C

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/37>, abgerufen am 16.04.2024.