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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

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Erster Gesang.
Hohe durchsichtige Wälder entnebeln ihr Antlitz, und
glänzen:

Also gieng Gabriel itzt auf den mitternächtlichen Ber-
gen,

Und schon stand sein unsterblicher Fuß an der heiligen
Pforte

Die sich vor ihm, wie Flügel der rauschenden Cherubim,
aufthat.

Schon war sie hinter ihm wieder geschlossen. Nun gieng
der Seraph

Jn den Tiefen der Erde. Da wälzten sich Oceane
Um ihn mit langsamer Flut zum menschenlosen Gestade.
Alle Söhne der Oceane, gewaltige Flüsse,
Flossen, wie Ungewitter sich aus den Wüsten heraufziehn,
Fern und rauhtönend ihm nach. Er gieng, und sein hei-
liger Wohnplatz

Zeigte sich schon in der Nähe. Die Pforte von Wolken
erbauet

Wich ihm itzt aus, wie auf blumichten Hügeln dem Mor-
gen die Nacht weicht.

Unter dem Fuß des Unsterblichen floß die flüchtige Dämm-
rung

Wallend hinweg. Weit hinter ihm, an den dunkeln Ge-
staden,

Blieben wehende Flammen in seinem Fußtritt zurücke.
Nunmehr hatte der Seraph den heiligen Wohnplatz be-
treten.

Da, wo sich fern von uns die Erde zum Mittelpunct
kehret,

Wölbt sich in ihr ein weiter Bezirk voll himmlischer Lüfte.
Mitten
C 3

Erſter Geſang.
Hohe durchſichtige Waͤlder entnebeln ihr Antlitz, und
glaͤnzen:

Alſo gieng Gabriel itzt auf den mitternaͤchtlichen Ber-
gen,

Und ſchon ſtand ſein unſterblicher Fuß an der heiligen
Pforte

Die ſich vor ihm, wie Fluͤgel der rauſchenden Cherubim,
aufthat.

Schon war ſie hinter ihm wieder geſchloſſen. Nun gieng
der Seraph

Jn den Tiefen der Erde. Da waͤlzten ſich Oceane
Um ihn mit langſamer Flut zum menſchenloſen Geſtade.
Alle Soͤhne der Oceane, gewaltige Fluͤſſe,
Floſſen, wie Ungewitter ſich aus den Wuͤſten heraufziehn,
Fern und rauhtoͤnend ihm nach. Er gieng, und ſein hei-
liger Wohnplatz

Zeigte ſich ſchon in der Naͤhe. Die Pforte von Wolken
erbauet

Wich ihm itzt aus, wie auf blumichten Huͤgeln dem Mor-
gen die Nacht weicht.

Unter dem Fuß des Unſterblichen floß die fluͤchtige Daͤmm-
rung

Wallend hinweg. Weit hinter ihm, an den dunkeln Ge-
ſtaden,

Blieben wehende Flammen in ſeinem Fußtritt zuruͤcke.
Nunmehr hatte der Seraph den heiligen Wohnplatz be-
treten.

Da, wo ſich fern von uns die Erde zum Mittelpunct
kehret,

Woͤlbt ſich in ihr ein weiter Bezirk voll himmliſcher Luͤfte.
Mitten
C 3
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[37/0041] Erſter Geſang. Hohe durchſichtige Waͤlder entnebeln ihr Antlitz, und glaͤnzen: Alſo gieng Gabriel itzt auf den mitternaͤchtlichen Ber- gen, Und ſchon ſtand ſein unſterblicher Fuß an der heiligen Pforte Die ſich vor ihm, wie Fluͤgel der rauſchenden Cherubim, aufthat. Schon war ſie hinter ihm wieder geſchloſſen. Nun gieng der Seraph Jn den Tiefen der Erde. Da waͤlzten ſich Oceane Um ihn mit langſamer Flut zum menſchenloſen Geſtade. Alle Soͤhne der Oceane, gewaltige Fluͤſſe, Floſſen, wie Ungewitter ſich aus den Wuͤſten heraufziehn, Fern und rauhtoͤnend ihm nach. Er gieng, und ſein hei- liger Wohnplatz Zeigte ſich ſchon in der Naͤhe. Die Pforte von Wolken erbauet Wich ihm itzt aus, wie auf blumichten Huͤgeln dem Mor- gen die Nacht weicht. Unter dem Fuß des Unſterblichen floß die fluͤchtige Daͤmm- rung Wallend hinweg. Weit hinter ihm, an den dunkeln Ge- ſtaden, Blieben wehende Flammen in ſeinem Fußtritt zuruͤcke. Nunmehr hatte der Seraph den heiligen Wohnplatz be- treten. Da, wo ſich fern von uns die Erde zum Mittelpunct kehret, Woͤlbt ſich in ihr ein weiter Bezirk voll himmliſcher Luͤfte. Mitten C 3

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Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/41>, abgerufen am 19.04.2024.