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Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 2. Berlin, 1869.

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Einleitung.
Werth. Sie beruht auf einem Trugschlusse, indem bei der rück-
schauenden Betrachtung das erreichte Ziel der Entwickelung
als der Mittelpunct angesehen wird, zu dem alle Bewegung
gravitirt habe, während in Wirklichkeit die Bewegung von dem
Ausgangspuncte peripherisch ihren Weg sucht, so dass tausend
Versuche fehlschlagen, während Einer durch die divinatorische
Kraft des Genies den Weg zum Ziele findet.

Uebrigens widerlegt die Geschichte der Erfindungen die
vorerwähnte Auffassung vollständig. Fast alle grosse Ent-
deckungen sind unerwartet aus der Conception Einzelner her-
vorgegangen. Man hat sie verlacht und ihre Unmöglichkeit
bewiesen, bis ihre Wirklichkeit nicht mehr abzuleugnen war1).

Auch hat das Bedürfniss nach neuen Erfindungen selten
seine Befriedigung sogleich auf dem kürzesten Wege gefunden.
Vielmehr sind nur zu häufig weite Umwege eingeschlagen, bis
die Erfindung, zurückspringend von dem ersten Ausgangspuncte
einen neuen Weg nahm, durch welchen eine ganze Kette scharf-
sinniger und mühsamer Erfindungen entbehrlich gemacht wurde.
Deshalb ist z. B. die Watt'sche Dampfmaschine als die älteste
bei weitem die verwickelteste, während der Bessemer'sche Frisch-
prozess als der jüngste bei weitem der einfachste ist. Und von
beiden Erfindungen darf behauptet werden, dass sie durch das
Genie und durch die Anstrengungen Eines Mannes erschaffen
und erschaffen sind unter dem Schutze der Patentgesetzgebung.

Dass die natürliche Rechtsordnung ein Abkommen zulässt,
vermöge dessen der Erfinder seine Entdeckung der allgemeinen
Benutzung zugänglich macht, unter dem Vorbehalte, dass ihm
diese Benutzung für einen gewissen Zeitraum vorbehalten bleibe,
ist unten (S. 1--7) ausführlich nachgewiesen. Allein auch die
Gewerbefreiheit kann bei einer sachgemässen Regelung des
Patentschutzes keine Einbusse erleiden. Wenn der Erfinder
Andere nur von der Benutzung desjenigen ausschliessen kann,
was er selbst neu erfunden hat, so liegt doch darin nur inso-
fern eine Beschränkung, als der Andere möglicher Weise die-
selbe Erfindung während der Patentdauer selber hätte machen

1) Man erinnere sich aus der neuesten Zeit der unterseeischen Te-
legraphenverbindung der beiden Welttheile, deren Unausführbarkeit
nach dem Scheitern des ersten Versuches mit vieler Gründlichkeit von
den verschiedensten Seiten nachgewiesen wurde.

Einleitung.
Werth. Sie beruht auf einem Trugschlusse, indem bei der rück-
schauenden Betrachtung das erreichte Ziel der Entwickelung
als der Mittelpunct angesehen wird, zu dem alle Bewegung
gravitirt habe, während in Wirklichkeit die Bewegung von dem
Ausgangspuncte peripherisch ihren Weg sucht, so dass tausend
Versuche fehlschlagen, während Einer durch die divinatorische
Kraft des Genies den Weg zum Ziele findet.

Uebrigens widerlegt die Geschichte der Erfindungen die
vorerwähnte Auffassung vollständig. Fast alle grosse Ent-
deckungen sind unerwartet aus der Conception Einzelner her-
vorgegangen. Man hat sie verlacht und ihre Unmöglichkeit
bewiesen, bis ihre Wirklichkeit nicht mehr abzuleugnen war1).

Auch hat das Bedürfniss nach neuen Erfindungen selten
seine Befriedigung sogleich auf dem kürzesten Wege gefunden.
Vielmehr sind nur zu häufig weite Umwege eingeschlagen, bis
die Erfindung, zurückspringend von dem ersten Ausgangspuncte
einen neuen Weg nahm, durch welchen eine ganze Kette scharf-
sinniger und mühsamer Erfindungen entbehrlich gemacht wurde.
Deshalb ist z. B. die Watt’sche Dampfmaschine als die älteste
bei weitem die verwickelteste, während der Bessemer’sche Frisch-
prozess als der jüngste bei weitem der einfachste ist. Und von
beiden Erfindungen darf behauptet werden, dass sie durch das
Genie und durch die Anstrengungen Eines Mannes erschaffen
und erschaffen sind unter dem Schutze der Patentgesetzgebung.

Dass die natürliche Rechtsordnung ein Abkommen zulässt,
vermöge dessen der Erfinder seine Entdeckung der allgemeinen
Benutzung zugänglich macht, unter dem Vorbehalte, dass ihm
diese Benutzung für einen gewissen Zeitraum vorbehalten bleibe,
ist unten (S. 1—7) ausführlich nachgewiesen. Allein auch die
Gewerbefreiheit kann bei einer sachgemässen Regelung des
Patentschutzes keine Einbusse erleiden. Wenn der Erfinder
Andere nur von der Benutzung desjenigen ausschliessen kann,
was er selbst neu erfunden hat, so liegt doch darin nur inso-
fern eine Beschränkung, als der Andere möglicher Weise die-
selbe Erfindung während der Patentdauer selber hätte machen

1) Man erinnere sich aus der neuesten Zeit der unterseeischen Te-
legraphenverbindung der beiden Welttheile, deren Unausführbarkeit
nach dem Scheitern des ersten Versuches mit vieler Gründlichkeit von
den verschiedensten Seiten nachgewiesen wurde.
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[XIX/0022] Einleitung. Werth. Sie beruht auf einem Trugschlusse, indem bei der rück- schauenden Betrachtung das erreichte Ziel der Entwickelung als der Mittelpunct angesehen wird, zu dem alle Bewegung gravitirt habe, während in Wirklichkeit die Bewegung von dem Ausgangspuncte peripherisch ihren Weg sucht, so dass tausend Versuche fehlschlagen, während Einer durch die divinatorische Kraft des Genies den Weg zum Ziele findet. Uebrigens widerlegt die Geschichte der Erfindungen die vorerwähnte Auffassung vollständig. Fast alle grosse Ent- deckungen sind unerwartet aus der Conception Einzelner her- vorgegangen. Man hat sie verlacht und ihre Unmöglichkeit bewiesen, bis ihre Wirklichkeit nicht mehr abzuleugnen war 1). Auch hat das Bedürfniss nach neuen Erfindungen selten seine Befriedigung sogleich auf dem kürzesten Wege gefunden. Vielmehr sind nur zu häufig weite Umwege eingeschlagen, bis die Erfindung, zurückspringend von dem ersten Ausgangspuncte einen neuen Weg nahm, durch welchen eine ganze Kette scharf- sinniger und mühsamer Erfindungen entbehrlich gemacht wurde. Deshalb ist z. B. die Watt’sche Dampfmaschine als die älteste bei weitem die verwickelteste, während der Bessemer’sche Frisch- prozess als der jüngste bei weitem der einfachste ist. Und von beiden Erfindungen darf behauptet werden, dass sie durch das Genie und durch die Anstrengungen Eines Mannes erschaffen und erschaffen sind unter dem Schutze der Patentgesetzgebung. Dass die natürliche Rechtsordnung ein Abkommen zulässt, vermöge dessen der Erfinder seine Entdeckung der allgemeinen Benutzung zugänglich macht, unter dem Vorbehalte, dass ihm diese Benutzung für einen gewissen Zeitraum vorbehalten bleibe, ist unten (S. 1—7) ausführlich nachgewiesen. Allein auch die Gewerbefreiheit kann bei einer sachgemässen Regelung des Patentschutzes keine Einbusse erleiden. Wenn der Erfinder Andere nur von der Benutzung desjenigen ausschliessen kann, was er selbst neu erfunden hat, so liegt doch darin nur inso- fern eine Beschränkung, als der Andere möglicher Weise die- selbe Erfindung während der Patentdauer selber hätte machen 1) Man erinnere sich aus der neuesten Zeit der unterseeischen Te- legraphenverbindung der beiden Welttheile, deren Unausführbarkeit nach dem Scheitern des ersten Versuches mit vieler Gründlichkeit von den verschiedensten Seiten nachgewiesen wurde.

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Zitationshilfe: Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 2. Berlin, 1869, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum02_1869/22>, abgerufen am 19.04.2024.