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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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des Wanderers, und kehrt den Stachel wider sei-
nen Verderber. Und der Mensch, der Herr der
Schöpfung, sollte dieses Vorrecht nicht haben?

Jch will euch eine Geschichte niederschrei-
ben, die eure Stirne röthen soll, nicht ein Spiel
der Fantasie, nein Warheit, wie man sie immer
noch auf deutschem Boden findet.

Friedrich Seldau war der Sohn eines be-
güterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine
solche zwekmässige Erziehung gab, wie er in dem
engen Kreise seines Lebens bedurfte. Eine un-
glükliche Feuersbrunst legte den Wohnsiz des Grei-
ses in die Asche, und er sah sich mit sechs zum
Teil unerzogenen Kindern in die äusserste Armut
versezt, ja was noch mehr, ein harter Gläubi-
ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefängnis
werfen. Friedrich Seldau fühlte die Pflichten
eines Sohnes, warf sich zu den Füssen des
Gläubigers, und flehte um Erbarmen für seinen
alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte
nicht in dem Herzen dieses Unmenschen, sondern
er war tükkisch genug den jungen Menschen in
die Hände der Werber zu überliefern. Sel-
dau
war wolgewachsen, in der Blüte der Ju-
gend -- Zwanzig Frühlinge hatte er erst in Un-

des Wanderers, und kehrt den Stachel wider ſei-
nen Verderber. Und der Menſch, der Herr der
Schoͤpfung, ſollte dieſes Vorrecht nicht haben?

Jch will euch eine Geſchichte niederſchrei-
ben, die eure Stirne roͤthen ſoll, nicht ein Spiel
der Fantaſie, nein Warheit, wie man ſie immer
noch auf deutſchem Boden findet.

Friedrich Seldau war der Sohn eines be-
guͤterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine
ſolche zwekmaͤſſige Erziehung gab, wie er in dem
engen Kreiſe ſeines Lebens bedurfte. Eine un-
gluͤkliche Feuersbrunſt legte den Wohnſiz des Grei-
ſes in die Aſche, und er ſah ſich mit ſechs zum
Teil unerzogenen Kindern in die aͤuſſerſte Armut
verſezt, ja was noch mehr, ein harter Glaͤubi-
ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefaͤngnis
werfen. Friedrich Seldau fuͤhlte die Pflichten
eines Sohnes, warf ſich zu den Fuͤſſen des
Glaͤubigers, und flehte um Erbarmen fuͤr ſeinen
alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte
nicht in dem Herzen dieſes Unmenſchen, ſondern
er war tuͤkkiſch genug den jungen Menſchen in
die Haͤnde der Werber zu uͤberliefern. Sel-
dau
war wolgewachſen, in der Bluͤte der Ju-
gend — Zwanzig Fruͤhlinge hatte er erſt in Un-

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[36/0044] des Wanderers, und kehrt den Stachel wider ſei- nen Verderber. Und der Menſch, der Herr der Schoͤpfung, ſollte dieſes Vorrecht nicht haben? Jch will euch eine Geſchichte niederſchrei- ben, die eure Stirne roͤthen ſoll, nicht ein Spiel der Fantaſie, nein Warheit, wie man ſie immer noch auf deutſchem Boden findet. Friedrich Seldau war der Sohn eines be- guͤterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine ſolche zwekmaͤſſige Erziehung gab, wie er in dem engen Kreiſe ſeines Lebens bedurfte. Eine un- gluͤkliche Feuersbrunſt legte den Wohnſiz des Grei- ſes in die Aſche, und er ſah ſich mit ſechs zum Teil unerzogenen Kindern in die aͤuſſerſte Armut verſezt, ja was noch mehr, ein harter Glaͤubi- ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefaͤngnis werfen. Friedrich Seldau fuͤhlte die Pflichten eines Sohnes, warf ſich zu den Fuͤſſen des Glaͤubigers, und flehte um Erbarmen fuͤr ſeinen alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte nicht in dem Herzen dieſes Unmenſchen, ſondern er war tuͤkkiſch genug den jungen Menſchen in die Haͤnde der Werber zu uͤberliefern. Sel- dau war wolgewachſen, in der Bluͤte der Ju- gend — Zwanzig Fruͤhlinge hatte er erſt in Un-

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/44>, abgerufen am 25.04.2024.