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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Zwanzigste Vorlesung.
Carnivoren und Nagern nur der Theil der Schleimhaut verloren geht,
welcher an der Bildung der Placenta Antheil nimmt, der übrige
Theil nicht; es fehlt somit diesen beiden Thieren nicht blos die Re-
flexa
, sondern auch eine Decidua vera. Bei den Thieren des zwei-
ten und ersten Typus findet gar kein Verlust der Uterin-
schleimhaut beim Gebäracte
statt. Dass diess beim Schweine
der Fall ist, wird Ihnen aus dem Geschilderten klar sein, allein auch
bei den Wiederkäuern ziehen sich die Zotten der fötalen Cotyledo-
nen einfach aus den Mutterkuchen heraus, welche dann nach und
nach wieder sich zurückbilden. Bei den Geschöpfen des dritten
Typus geht übrigens nirgends die Uterinschleimhaut in ihrer ganzen
Dicke verloren, vielmehr stösst sich immer nur die innere, ober-
flächliche Lage derselben in grösserer oder geringerer Dicke ab und
erzeugt sich dann aus dem, was zurückbleibt, die Schleimhaut neu.

Werfen Sie noch einen Blick auf die feineren Verhältnisse der
Verbindung zwischen Frucht- und Mutterkuchen, so finden Sie,
dass in den einen Fällen die Chorionzotten einfach von Falten oder
Erhebungen der Uterinschleimhaut umgeben werden, während in
anderen dieselben in die Uterindrüsen hineinwachsen. Der letztere
Fall ist mit Sicherheit nur beim Hunde und bei der Katze (E. H. We-
ber
) demonstrirt, kommt jedoch nach Weber's Angabe auch bei den
Wiederkäuern vor, was Bischoff für das Reh nicht gelten lässt. Der
erstere Fall findet sich beim Schweine in sehr geringer Entwicklung,
etwas ausgeprägter beim Pferd und sehr entwickelt beim Kaninchen
und nach Bischoff auch beim Reh.

Mag die Verbindung so oder so sein, so ist doch das Verhalten
der Blutgefässe bei allen genauer untersuchten Thieren wesentlich
dasselbe, indem die mütterlichen Theile überall Capillarnetze enthal-
ten und hat man bis jetzt nirgends die eigenthümlichen Verhältnisse
wiedergefunden, die die Placenta des Menschen zeigt. Innerhalb
dieser Uebereinstimmung zeigt sich dann aber doch der Unterschied,
dass, während das Kaninchen, die Wiederkäuer und das Schwein im
Uterintheile der Placenta nur gewöhnliche Capillaren führen, diesel-
ben beim Hunde eine colossale Weite haben, was allerdings einen
Uebergang zu den Verhältnissen des Menschen begründet.



Zwanzigste Vorlesung.
Carnivoren und Nagern nur der Theil der Schleimhaut verloren geht,
welcher an der Bildung der Placenta Antheil nimmt, der übrige
Theil nicht; es fehlt somit diesen beiden Thieren nicht blos die Re-
flexa
, sondern auch eine Decidua vera. Bei den Thieren des zwei-
ten und ersten Typus findet gar kein Verlust der Uterin-
schleimhaut beim Gebäracte
statt. Dass diess beim Schweine
der Fall ist, wird Ihnen aus dem Geschilderten klar sein, allein auch
bei den Wiederkäuern ziehen sich die Zotten der fötalen Cotyledo-
nen einfach aus den Mutterkuchen heraus, welche dann nach und
nach wieder sich zurückbilden. Bei den Geschöpfen des dritten
Typus geht übrigens nirgends die Uterinschleimhaut in ihrer ganzen
Dicke verloren, vielmehr stösst sich immer nur die innere, ober-
flächliche Lage derselben in grösserer oder geringerer Dicke ab und
erzeugt sich dann aus dem, was zurückbleibt, die Schleimhaut neu.

Werfen Sie noch einen Blick auf die feineren Verhältnisse der
Verbindung zwischen Frucht- und Mutterkuchen, so finden Sie,
dass in den einen Fällen die Chorionzotten einfach von Falten oder
Erhebungen der Uterinschleimhaut umgeben werden, während in
anderen dieselben in die Uterindrüsen hineinwachsen. Der letztere
Fall ist mit Sicherheit nur beim Hunde und bei der Katze (E. H. We-
ber
) demonstrirt, kommt jedoch nach Weber’s Angabe auch bei den
Wiederkäuern vor, was Bischoff für das Reh nicht gelten lässt. Der
erstere Fall findet sich beim Schweine in sehr geringer Entwicklung,
etwas ausgeprägter beim Pferd und sehr entwickelt beim Kaninchen
und nach Bischoff auch beim Reh.

Mag die Verbindung so oder so sein, so ist doch das Verhalten
der Blutgefässe bei allen genauer untersuchten Thieren wesentlich
dasselbe, indem die mütterlichen Theile überall Capillarnetze enthal-
ten und hat man bis jetzt nirgends die eigenthümlichen Verhältnisse
wiedergefunden, die die Placenta des Menschen zeigt. Innerhalb
dieser Uebereinstimmung zeigt sich dann aber doch der Unterschied,
dass, während das Kaninchen, die Wiederkäuer und das Schwein im
Uterintheile der Placenta nur gewöhnliche Capillaren führen, diesel-
ben beim Hunde eine colossale Weite haben, was allerdings einen
Uebergang zu den Verhältnissen des Menschen begründet.



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[170/0186] Zwanzigste Vorlesung. Carnivoren und Nagern nur der Theil der Schleimhaut verloren geht, welcher an der Bildung der Placenta Antheil nimmt, der übrige Theil nicht; es fehlt somit diesen beiden Thieren nicht blos die Re- flexa, sondern auch eine Decidua vera. Bei den Thieren des zwei- ten und ersten Typus findet gar kein Verlust der Uterin- schleimhaut beim Gebäracte statt. Dass diess beim Schweine der Fall ist, wird Ihnen aus dem Geschilderten klar sein, allein auch bei den Wiederkäuern ziehen sich die Zotten der fötalen Cotyledo- nen einfach aus den Mutterkuchen heraus, welche dann nach und nach wieder sich zurückbilden. Bei den Geschöpfen des dritten Typus geht übrigens nirgends die Uterinschleimhaut in ihrer ganzen Dicke verloren, vielmehr stösst sich immer nur die innere, ober- flächliche Lage derselben in grösserer oder geringerer Dicke ab und erzeugt sich dann aus dem, was zurückbleibt, die Schleimhaut neu. Werfen Sie noch einen Blick auf die feineren Verhältnisse der Verbindung zwischen Frucht- und Mutterkuchen, so finden Sie, dass in den einen Fällen die Chorionzotten einfach von Falten oder Erhebungen der Uterinschleimhaut umgeben werden, während in anderen dieselben in die Uterindrüsen hineinwachsen. Der letztere Fall ist mit Sicherheit nur beim Hunde und bei der Katze (E. H. We- ber) demonstrirt, kommt jedoch nach Weber’s Angabe auch bei den Wiederkäuern vor, was Bischoff für das Reh nicht gelten lässt. Der erstere Fall findet sich beim Schweine in sehr geringer Entwicklung, etwas ausgeprägter beim Pferd und sehr entwickelt beim Kaninchen und nach Bischoff auch beim Reh. Mag die Verbindung so oder so sein, so ist doch das Verhalten der Blutgefässe bei allen genauer untersuchten Thieren wesentlich dasselbe, indem die mütterlichen Theile überall Capillarnetze enthal- ten und hat man bis jetzt nirgends die eigenthümlichen Verhältnisse wiedergefunden, die die Placenta des Menschen zeigt. Innerhalb dieser Uebereinstimmung zeigt sich dann aber doch der Unterschied, dass, während das Kaninchen, die Wiederkäuer und das Schwein im Uterintheile der Placenta nur gewöhnliche Capillaren führen, diesel- ben beim Hunde eine colossale Weite haben, was allerdings einen Uebergang zu den Verhältnissen des Menschen begründet.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/186>, abgerufen am 18.04.2024.