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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung des Gefässsystems.
auch das so gemischte Blut kommt nicht allen Theilen des Körpers
ganz gleichmässig zu Statten, vielmehr finden wir, dass dasselbe,
weil es fast ganz in die linke Vorkammer übergeht, vorzugsweise
durch die grossen Aeste der Aorta dem Kopfe und den oberen Ex-
tremitäten zu gute kommt. Der Rumpf und die unteren Extremitäten
erhalten durch die Art. pulmonalis einmal das rein venöse Blut der
oberen Hohlvene, und dann von gemischtem Blute erstens das wenige,
was von der unteren Hohlvene nicht in die linke Kammer übergeht
und zweitens das, was durch das Ende des Bogens der Aorta vom
Blute des linken Herzens für die Aorta descendens übrig bleibt. Somit
ist die obere Körperhälfte mit Bezug auf ihre Ernährung besser dran
als die untere und erklärt man auch hieraus, dass dieselbe in den
früheren Perioden in der Entwicklung stets voran ist. Später gestal-
ten sich nun freilich die Verhältnisse allmälig etwas günstiger für
die unteren Körpertheile, dadurch, dass einmal das Foramen ovale
langsam enger wird und so immer mehr Blut der Cava inferior für
die rechte Kammer übrig bleibt, und zweitens durch Erweiterung
des Endes des eigentlichen Arcus aortae und Verengerung des Ductus
Botalli
, welche letztere mit der Zunahme der Blutzufuhr zu den Lun-
gen in Verbindung steht.

Die Umwandlung des fötalen Kreislaufes in den bleibenden ge-
schieht nach der Geburt fast mit einem Schlage. Die Umbilicalvene
und die Nabelarterien obliteriren wohl vorzüglich durch Bildung von
Blutpfröpfen in denselben, was vielleicht auch vom Ductus venosus
gilt. Was dagegen den Ductus Botalli und das Foramen ovale anlangt,
so sind es hier besondere Wachsthumsphänomene, die ich an erste-
rem Kanale als eine Wucherung der Arterienhaut nachgewiesen habe,
welche zugleich mit der Aenderung des Blutlaufes, den die Athmung
bedingt, den Verschluss herbeiführen. Der Ductus Botalli schliesst
sich übrigens viel rascher als das Foramen ovale, das, wie Ihnen be-
kannt, auch sehr häufig zeitlebens wegsam bleibt, so jedoch, dass
vermöge der Lage und Grösse der Valvula foraminis ovalis sein Offen-
stehen keinen Nachtheil bringt.

Ich sollte nun noch der Vollständigkeit halber auch von der
Entwicklung des Blutes handeln, da jedoch die Bildung der ersten
Blutzellen schon besprochen ist und dieser Gegenstand mehr ein
histologisches Interesse darbietet, so glaube ich Sie auf die Gewebe-
lehre und vor Allem auf die ausführlichen Untersuchungen verweisen
zu dürfen, welche Fahrner und ich selbst gerade über die Entste-

Entwicklung des Gefässsystems.
auch das so gemischte Blut kommt nicht allen Theilen des Körpers
ganz gleichmässig zu Statten, vielmehr finden wir, dass dasselbe,
weil es fast ganz in die linke Vorkammer übergeht, vorzugsweise
durch die grossen Aeste der Aorta dem Kopfe und den oberen Ex-
tremitäten zu gute kommt. Der Rumpf und die unteren Extremitäten
erhalten durch die Art. pulmonalis einmal das rein venöse Blut der
oberen Hohlvene, und dann von gemischtem Blute erstens das wenige,
was von der unteren Hohlvene nicht in die linke Kammer übergeht
und zweitens das, was durch das Ende des Bogens der Aorta vom
Blute des linken Herzens für die Aorta descendens übrig bleibt. Somit
ist die obere Körperhälfte mit Bezug auf ihre Ernährung besser dran
als die untere und erklärt man auch hieraus, dass dieselbe in den
früheren Perioden in der Entwicklung stets voran ist. Später gestal-
ten sich nun freilich die Verhältnisse allmälig etwas günstiger für
die unteren Körpertheile, dadurch, dass einmal das Foramen ovale
langsam enger wird und so immer mehr Blut der Cava inferior für
die rechte Kammer übrig bleibt, und zweitens durch Erweiterung
des Endes des eigentlichen Arcus aortae und Verengerung des Ductus
Botalli
, welche letztere mit der Zunahme der Blutzufuhr zu den Lun-
gen in Verbindung steht.

Die Umwandlung des fötalen Kreislaufes in den bleibenden ge-
schieht nach der Geburt fast mit einem Schlage. Die Umbilicalvene
und die Nabelarterien obliteriren wohl vorzüglich durch Bildung von
Blutpfröpfen in denselben, was vielleicht auch vom Ductus venosus
gilt. Was dagegen den Ductus Botalli und das Foramen ovale anlangt,
so sind es hier besondere Wachsthumsphänomene, die ich an erste-
rem Kanale als eine Wucherung der Arterienhaut nachgewiesen habe,
welche zugleich mit der Aenderung des Blutlaufes, den die Athmung
bedingt, den Verschluss herbeiführen. Der Ductus Botalli schliesst
sich übrigens viel rascher als das Foramen ovale, das, wie Ihnen be-
kannt, auch sehr häufig zeitlebens wegsam bleibt, so jedoch, dass
vermöge der Lage und Grösse der Valvula foraminis ovalis sein Offen-
stehen keinen Nachtheil bringt.

Ich sollte nun noch der Vollständigkeit halber auch von der
Entwicklung des Blutes handeln, da jedoch die Bildung der ersten
Blutzellen schon besprochen ist und dieser Gegenstand mehr ein
histologisches Interesse darbietet, so glaube ich Sie auf die Gewebe-
lehre und vor Allem auf die ausführlichen Untersuchungen verweisen
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[429/0445] Entwicklung des Gefässsystems. auch das so gemischte Blut kommt nicht allen Theilen des Körpers ganz gleichmässig zu Statten, vielmehr finden wir, dass dasselbe, weil es fast ganz in die linke Vorkammer übergeht, vorzugsweise durch die grossen Aeste der Aorta dem Kopfe und den oberen Ex- tremitäten zu gute kommt. Der Rumpf und die unteren Extremitäten erhalten durch die Art. pulmonalis einmal das rein venöse Blut der oberen Hohlvene, und dann von gemischtem Blute erstens das wenige, was von der unteren Hohlvene nicht in die linke Kammer übergeht und zweitens das, was durch das Ende des Bogens der Aorta vom Blute des linken Herzens für die Aorta descendens übrig bleibt. Somit ist die obere Körperhälfte mit Bezug auf ihre Ernährung besser dran als die untere und erklärt man auch hieraus, dass dieselbe in den früheren Perioden in der Entwicklung stets voran ist. Später gestal- ten sich nun freilich die Verhältnisse allmälig etwas günstiger für die unteren Körpertheile, dadurch, dass einmal das Foramen ovale langsam enger wird und so immer mehr Blut der Cava inferior für die rechte Kammer übrig bleibt, und zweitens durch Erweiterung des Endes des eigentlichen Arcus aortae und Verengerung des Ductus Botalli, welche letztere mit der Zunahme der Blutzufuhr zu den Lun- gen in Verbindung steht. Die Umwandlung des fötalen Kreislaufes in den bleibenden ge- schieht nach der Geburt fast mit einem Schlage. Die Umbilicalvene und die Nabelarterien obliteriren wohl vorzüglich durch Bildung von Blutpfröpfen in denselben, was vielleicht auch vom Ductus venosus gilt. Was dagegen den Ductus Botalli und das Foramen ovale anlangt, so sind es hier besondere Wachsthumsphänomene, die ich an erste- rem Kanale als eine Wucherung der Arterienhaut nachgewiesen habe, welche zugleich mit der Aenderung des Blutlaufes, den die Athmung bedingt, den Verschluss herbeiführen. Der Ductus Botalli schliesst sich übrigens viel rascher als das Foramen ovale, das, wie Ihnen be- kannt, auch sehr häufig zeitlebens wegsam bleibt, so jedoch, dass vermöge der Lage und Grösse der Valvula foraminis ovalis sein Offen- stehen keinen Nachtheil bringt. Ich sollte nun noch der Vollständigkeit halber auch von der Entwicklung des Blutes handeln, da jedoch die Bildung der ersten Blutzellen schon besprochen ist und dieser Gegenstand mehr ein histologisches Interesse darbietet, so glaube ich Sie auf die Gewebe- lehre und vor Allem auf die ausführlichen Untersuchungen verweisen zu dürfen, welche Fahrner und ich selbst gerade über die Entste-

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/445>, abgerufen am 23.04.2024.