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Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ich etwas getroster, doch zitterte ich noch immer und nahm weinend einen Hebel und hub den Stein empor, der die Schätze barg, die ich unlängst gefunden, einen neben dem andern. Als ich sie mit großer Mühe vorgezogen, sagte der Engel mit dem Rauchfasse, indem er es über mich schwang: Wohl dir, daß du gehorcht! Aber wirf dich nieder auf dein Angesicht und bete. Stirb ab der niedern Welt, so ist der Himmel dein!

Ich that es, und der dritte Engel warf ein schwarzes Tuch über mich, unter dem lag ich wie eine Nonne, die eingekleidet wird, und die Engel sangen wieder ein Lied, wovon ich wenig verstand, weil ich unter dem Tuche lag. Auch wurde der Gesang immer schwächer und schwächer und schien sich zu entfernen, bis er endlich gar aufhörte. Ich aber zitterte noch immer unter der Decke und wagte nicht, sie emporzuheben und aufzustehen, denn ich war noch immer der Meinung, ich solle wirklich ins himmlische Paradies gehen. Mehr als zwei Stunden blieb ich liegen und wagte kaum zu athmen. Endlich hörte ich Gesang von Vögeln und vernahm Tritte, die mir nahe kamen; bald darauf ward mein Tuch aufgehoben und ein heller Glanz schien mir in die Augen. Ich meinte den Glanz des Paradieses zu schauen und die Engel; aber -- der Tag war angebrochen und Tommaso der Ziegenhirt stand vor mir mit einer Kumme Milch, und die Engel -- kamen nicht wieder! --

Als der Eremit hier herzlich seufzend inne hielt,

ich etwas getroster, doch zitterte ich noch immer und nahm weinend einen Hebel und hub den Stein empor, der die Schätze barg, die ich unlängst gefunden, einen neben dem andern. Als ich sie mit großer Mühe vorgezogen, sagte der Engel mit dem Rauchfasse, indem er es über mich schwang: Wohl dir, daß du gehorcht! Aber wirf dich nieder auf dein Angesicht und bete. Stirb ab der niedern Welt, so ist der Himmel dein!

Ich that es, und der dritte Engel warf ein schwarzes Tuch über mich, unter dem lag ich wie eine Nonne, die eingekleidet wird, und die Engel sangen wieder ein Lied, wovon ich wenig verstand, weil ich unter dem Tuche lag. Auch wurde der Gesang immer schwächer und schwächer und schien sich zu entfernen, bis er endlich gar aufhörte. Ich aber zitterte noch immer unter der Decke und wagte nicht, sie emporzuheben und aufzustehen, denn ich war noch immer der Meinung, ich solle wirklich ins himmlische Paradies gehen. Mehr als zwei Stunden blieb ich liegen und wagte kaum zu athmen. Endlich hörte ich Gesang von Vögeln und vernahm Tritte, die mir nahe kamen; bald darauf ward mein Tuch aufgehoben und ein heller Glanz schien mir in die Augen. Ich meinte den Glanz des Paradieses zu schauen und die Engel; aber — der Tag war angebrochen und Tommaso der Ziegenhirt stand vor mir mit einer Kumme Milch, und die Engel — kamen nicht wieder! —

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:35:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/67>, abgerufen am 02.05.2024.