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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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achtet dieser die Trommel schlägt, daß man hinauslaufen
mögte; der Fünfte lös't eine Kanone, deren brennender
Pfropf den Sechten vom Tische herab als todt auf die Er-
de wirft; ein Siebenter sitzt sogar mitten in einem bren-
nendem Feuerrade, so ruhig und lustig, als ob er in ei-
nem Rosenstrauch auf seiner heimischen Jnsel säße u. s. w.
Sie werden freilich dergleichen schon öfter auch in Deutsch-
land gesehen haben, obwohl nicht in dieser Vollkommen-
heit; aber eine Bemerkung haben Sie vielleicht noch nicht
gehört, die dem Lehrherrn entschlüpft und Stoff zum Nach-
denken giebt. Die Weibchen, sagt er, fassen zwar alles
weit schneller als die Männchen, und ich kann sie gewöhn-
lich nach einigen Wochen schon kunstreich produciren, aber
-- sie vergessen bald und sterben bald. -- Jch glau-
be fast, der Satz läßt sich von der gefiederten Welt auch
auf die Quälgeister derselben, die Menschen, ausdehnen;
denn wenn die Schönen moralische oder ästhetische Kün-
ste lernen, so erleiden sie zwar nicht davon den leiblichen
Tod, aber ihre Liebenswürdigkeit geht gewöhnlich zu Grabe.

Da wir eben noch ein halbes Stündchen übrig haben,
so lassen Sie und diese Zeit benutzen, um ein paar berühm-
te Brunnen zu besehen. Die Fontaine rue de Gre-
nelle ist in der That sehr schön, aber die Straße ist eng
und entlegen, die Fontaine steht nicht von allen Seiten
frei, und das große Gebäude wird noch obendrein durch
allerlei Aushängeschilder verunstaltet; rechts hängt eine
große gemahlte Kuh, weil da Milch verkauft wird, links
ein Tischlerschild u. s. w. Mir, (verzeihen Sie mir die
Ketzerei, wenn es anders eine ist) mir wird es immer
lächerlich vorkommen, ein solches Gebäude mit zwei Flü-
geln in der Höhe von drei Stockwerken zu errichten, es
mit Colonnaden und Statüen zu verzieren, und Alles das

achtet dieser die Trommel schlaͤgt, daß man hinauslaufen
moͤgte; der Fuͤnfte loͤs't eine Kanone, deren brennender
Pfropf den Sechten vom Tische herab als todt auf die Er-
de wirft; ein Siebenter sitzt sogar mitten in einem bren-
nendem Feuerrade, so ruhig und lustig, als ob er in ei-
nem Rosenstrauch auf seiner heimischen Jnsel saͤße u. s. w.
Sie werden freilich dergleichen schon oͤfter auch in Deutsch-
land gesehen haben, obwohl nicht in dieser Vollkommen-
heit; aber eine Bemerkung haben Sie vielleicht noch nicht
gehoͤrt, die dem Lehrherrn entschluͤpft und Stoff zum Nach-
denken giebt. Die Weibchen, sagt er, fassen zwar alles
weit schneller als die Maͤnnchen, und ich kann sie gewoͤhn-
lich nach einigen Wochen schon kunstreich produciren, aber
— sie vergessen bald und sterben bald. — Jch glau-
be fast, der Satz laͤßt sich von der gefiederten Welt auch
auf die Quaͤlgeister derselben, die Menschen, ausdehnen;
denn wenn die Schoͤnen moralische oder aͤsthetische Kuͤn-
ste lernen, so erleiden sie zwar nicht davon den leiblichen
Tod, aber ihre Liebenswuͤrdigkeit geht gewoͤhnlich zu Grabe.

Da wir eben noch ein halbes Stuͤndchen uͤbrig haben,
so lassen Sie und diese Zeit benutzen, um ein paar beruͤhm-
te Brunnen zu besehen. Die Fontaine rue de Gre-
nelle ist in der That sehr schoͤn, aber die Straße ist eng
und entlegen, die Fontaine steht nicht von allen Seiten
frei, und das große Gebaͤude wird noch obendrein durch
allerlei Aushaͤngeschilder verunstaltet; rechts haͤngt eine
große gemahlte Kuh, weil da Milch verkauft wird, links
ein Tischlerschild u. s. w. Mir, (verzeihen Sie mir die
Ketzerei, wenn es anders eine ist) mir wird es immer
laͤcherlich vorkommen, ein solches Gebaͤude mit zwei Fluͤ-
geln in der Hoͤhe von drei Stockwerken zu errichten, es
mit Colonnaden und Statuͤen zu verzieren, und Alles das

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[106/0110] achtet dieser die Trommel schlaͤgt, daß man hinauslaufen moͤgte; der Fuͤnfte loͤs't eine Kanone, deren brennender Pfropf den Sechten vom Tische herab als todt auf die Er- de wirft; ein Siebenter sitzt sogar mitten in einem bren- nendem Feuerrade, so ruhig und lustig, als ob er in ei- nem Rosenstrauch auf seiner heimischen Jnsel saͤße u. s. w. Sie werden freilich dergleichen schon oͤfter auch in Deutsch- land gesehen haben, obwohl nicht in dieser Vollkommen- heit; aber eine Bemerkung haben Sie vielleicht noch nicht gehoͤrt, die dem Lehrherrn entschluͤpft und Stoff zum Nach- denken giebt. Die Weibchen, sagt er, fassen zwar alles weit schneller als die Maͤnnchen, und ich kann sie gewoͤhn- lich nach einigen Wochen schon kunstreich produciren, aber — sie vergessen bald und sterben bald. — Jch glau- be fast, der Satz laͤßt sich von der gefiederten Welt auch auf die Quaͤlgeister derselben, die Menschen, ausdehnen; denn wenn die Schoͤnen moralische oder aͤsthetische Kuͤn- ste lernen, so erleiden sie zwar nicht davon den leiblichen Tod, aber ihre Liebenswuͤrdigkeit geht gewoͤhnlich zu Grabe. Da wir eben noch ein halbes Stuͤndchen uͤbrig haben, so lassen Sie und diese Zeit benutzen, um ein paar beruͤhm- te Brunnen zu besehen. Die Fontaine rue de Gre- nelle ist in der That sehr schoͤn, aber die Straße ist eng und entlegen, die Fontaine steht nicht von allen Seiten frei, und das große Gebaͤude wird noch obendrein durch allerlei Aushaͤngeschilder verunstaltet; rechts haͤngt eine große gemahlte Kuh, weil da Milch verkauft wird, links ein Tischlerschild u. s. w. Mir, (verzeihen Sie mir die Ketzerei, wenn es anders eine ist) mir wird es immer laͤcherlich vorkommen, ein solches Gebaͤude mit zwei Fluͤ- geln in der Hoͤhe von drei Stockwerken zu errichten, es mit Colonnaden und Statuͤen zu verzieren, und Alles das

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/110>, abgerufen am 25.04.2024.