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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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Wenn man mir anders zugesteht, daß ich über-
haupt den Geist eines Frauenzimmers zu beurtheilen
vermag, so darf man hier um so mehr meinem Urtheil
vertrauen, da sich, außer dem täglichen freundschaft-
lichen Umgang, auch noch eine andere Gelegenheit zur
Prüfung mir dargeboten, bei der weder Mannsperson
noch Frauenzimmer die Geistesarmuth verbergen können.
Jch habe nehmlich bey einer Spazierfahrt mit Mada-
me Recamier vier bis fünf Stunden in einem Wagen
gesessen, ohne andere Begleitung, als die ihrer kleinen
Pfleglinge, wodurch also die Unterhaltung nicht
erleichtert wurde. Es giebt kein Mittel auf der Welt,
das sicherer zur Bekanntschaft eines Menschen und sei-
ner Geisteskräfte führte, (vorausgesetzt, daß er nicht
schläft) als eine unausweichbare Unterhaltung im
Reisewagen. Da muß der Geist sich entfalten, und
wenn vollends die Personen freundschaftliche Gesinnun-
gen für einander hegen, so schließt das trauliche
Verhältniß im engen Wagen auch das Herz ver-
traulich auf, und -- mit einem Wort, -- das geist-
lose Frauenzimmer mögte ich sehen, das mir, vier
Stunden lang gegenüber, weis' machen könne, es
habe Verstand.

Der letzte unbedeutende Vorwurf, den der Neid
meiner Freundinn macht, ist von ihrer Prachtliebe her-
genommen. Daß sie in ihrer Person dergleichen
nicht äußert, hab' ich schon oben erwähnt. Daß ihre
Treppe einem lebendigen Blumengarten gleicht, ist wohl
nur ein zarter Geschmack. Daß ihre Zimmer mit Sei-
de drapirt, die Zierrathen von Bronze, die Kamine
von weißem Marmor, die Spiegel sehr groß sind u. s. w.,
mein Gott, das ziemt doch wohl einem reichen Man-

Wenn man mir anders zugesteht, daß ich uͤber-
haupt den Geist eines Frauenzimmers zu beurtheilen
vermag, so darf man hier um so mehr meinem Urtheil
vertrauen, da sich, außer dem taͤglichen freundschaft-
lichen Umgang, auch noch eine andere Gelegenheit zur
Pruͤfung mir dargeboten, bei der weder Mannsperson
noch Frauenzimmer die Geistesarmuth verbergen koͤnnen.
Jch habe nehmlich bey einer Spazierfahrt mit Mada-
me Recamier vier bis fuͤnf Stunden in einem Wagen
gesessen, ohne andere Begleitung, als die ihrer kleinen
Pfleglinge, wodurch also die Unterhaltung nicht
erleichtert wurde. Es giebt kein Mittel auf der Welt,
das sicherer zur Bekanntschaft eines Menschen und sei-
ner Geisteskraͤfte fuͤhrte, (vorausgesetzt, daß er nicht
schlaͤft) als eine unausweichbare Unterhaltung im
Reisewagen. Da muß der Geist sich entfalten, und
wenn vollends die Personen freundschaftliche Gesinnun-
gen fuͤr einander hegen, so schließt das trauliche
Verhaͤltniß im engen Wagen auch das Herz ver-
traulich auf, und — mit einem Wort, — das geist-
lose Frauenzimmer moͤgte ich sehen, das mir, vier
Stunden lang gegenuͤber, weis' machen koͤnne, es
habe Verstand.

Der letzte unbedeutende Vorwurf, den der Neid
meiner Freundinn macht, ist von ihrer Prachtliebe her-
genommen. Daß sie in ihrer Person dergleichen
nicht aͤußert, hab' ich schon oben erwaͤhnt. Daß ihre
Treppe einem lebendigen Blumengarten gleicht, ist wohl
nur ein zarter Geschmack. Daß ihre Zimmer mit Sei-
de drapirt, die Zierrathen von Bronze, die Kamine
von weißem Marmor, die Spiegel sehr groß sind u. s. w.,
mein Gott, das ziemt doch wohl einem reichen Man-

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[115/0119] Wenn man mir anders zugesteht, daß ich uͤber- haupt den Geist eines Frauenzimmers zu beurtheilen vermag, so darf man hier um so mehr meinem Urtheil vertrauen, da sich, außer dem taͤglichen freundschaft- lichen Umgang, auch noch eine andere Gelegenheit zur Pruͤfung mir dargeboten, bei der weder Mannsperson noch Frauenzimmer die Geistesarmuth verbergen koͤnnen. Jch habe nehmlich bey einer Spazierfahrt mit Mada- me Recamier vier bis fuͤnf Stunden in einem Wagen gesessen, ohne andere Begleitung, als die ihrer kleinen Pfleglinge, wodurch also die Unterhaltung nicht erleichtert wurde. Es giebt kein Mittel auf der Welt, das sicherer zur Bekanntschaft eines Menschen und sei- ner Geisteskraͤfte fuͤhrte, (vorausgesetzt, daß er nicht schlaͤft) als eine unausweichbare Unterhaltung im Reisewagen. Da muß der Geist sich entfalten, und wenn vollends die Personen freundschaftliche Gesinnun- gen fuͤr einander hegen, so schließt das trauliche Verhaͤltniß im engen Wagen auch das Herz ver- traulich auf, und — mit einem Wort, — das geist- lose Frauenzimmer moͤgte ich sehen, das mir, vier Stunden lang gegenuͤber, weis' machen koͤnne, es habe Verstand. Der letzte unbedeutende Vorwurf, den der Neid meiner Freundinn macht, ist von ihrer Prachtliebe her- genommen. Daß sie in ihrer Person dergleichen nicht aͤußert, hab' ich schon oben erwaͤhnt. Daß ihre Treppe einem lebendigen Blumengarten gleicht, ist wohl nur ein zarter Geschmack. Daß ihre Zimmer mit Sei- de drapirt, die Zierrathen von Bronze, die Kamine von weißem Marmor, die Spiegel sehr groß sind u. s. w., mein Gott, das ziemt doch wohl einem reichen Man-

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/119>, abgerufen am 29.03.2024.