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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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Einen neugierigen Blick verdient allerdings jenes
Kästchen mit Elfenbein und Schildpatt verziert. Lud-
wig JX. brachte es, mit Reliquien angefüllt, von sei-
nem Kreuzzuge aus Palästina zurück, und seitdem wur-
de es in der Sainte Chapelle zu Paris selbst als Re-
liquie verehrt, obgleich die Basreliefs desselben offenbar
den Zug der Argonauten nach dem goldnen Vlies dar-
stellen. -- So haben vormals öfter selbst Obsconitäten
aus dem Heidenthum, den Ueberresten der Heiligen zur
Einfassung gedient.

Das große Basrelief, welches hier den Blick auf
sich zieht, ist aus der Abtei St. Denis genommen, und
blos merkwürdig durch seine bizarre Zusammensetzung.
Es stellt nemlich das Leiden Christi vor, wobei
auf einer Seite der heilige Eustachius und auf
der andern die Jünglinge im Feuerofen befind-
lich sind. -- Ein anderes, Mariä Verkündigung, ist
nicht weniger drollig. Die betende Jungfrau erblickt
mit Erstaunen den jungen Gabriel, als ein Stutzer je-
ner Zeit gekleidet, der aber nicht zu sprechen wagt,
sondern ganz bescheiden ein Manuscript aufrollt, wel-
ches den Zweck seiner Sendung enthüllt. Oben ist
Gott der Vater mit einem ganz vergüldeten Gesicht,
und aus seinem Munde fliegt der heilige Geist grade-
wegs zu Maria.

Gern ruht das Auge dort auf der Bildsäule von
weißem Marmor, denn sie verewigen die Züge einer
guten Frau, Valentine de Milan, Gemahlin eines
Herzogs von Orleans, der 1407 zu Paris ermordet
wurde, und dessen Verlust Valentine nicht ertragen
konnte. Sie starb vor Kummer 1408. Jhre rührende

Einen neugierigen Blick verdient allerdings jenes
Kaͤstchen mit Elfenbein und Schildpatt verziert. Lud-
wig JX. brachte es, mit Reliquien angefuͤllt, von sei-
nem Kreuzzuge aus Palaͤstina zuruͤck, und seitdem wur-
de es in der Sainte Chapelle zu Paris selbst als Re-
liquie verehrt, obgleich die Basreliefs desselben offenbar
den Zug der Argonauten nach dem goldnen Vlies dar-
stellen. — So haben vormals oͤfter selbst Obsconitaͤten
aus dem Heidenthum, den Ueberresten der Heiligen zur
Einfassung gedient.

Das große Basrelief, welches hier den Blick auf
sich zieht, ist aus der Abtei St. Denis genommen, und
blos merkwuͤrdig durch seine bizarre Zusammensetzung.
Es stellt nemlich das Leiden Christi vor, wobei
auf einer Seite der heilige Eustachius und auf
der andern die Juͤnglinge im Feuerofen befind-
lich sind. — Ein anderes, Mariaͤ Verkuͤndigung, ist
nicht weniger drollig. Die betende Jungfrau erblickt
mit Erstaunen den jungen Gabriel, als ein Stutzer je-
ner Zeit gekleidet, der aber nicht zu sprechen wagt,
sondern ganz bescheiden ein Manuscript aufrollt, wel-
ches den Zweck seiner Sendung enthuͤllt. Oben ist
Gott der Vater mit einem ganz verguͤldeten Gesicht,
und aus seinem Munde fliegt der heilige Geist grade-
wegs zu Maria.

Gern ruht das Auge dort auf der Bildsaͤule von
weißem Marmor, denn sie verewigen die Zuͤge einer
guten Frau, Valentine de Milan, Gemahlin eines
Herzogs von Orleans, der 1407 zu Paris ermordet
wurde, und dessen Verlust Valentine nicht ertragen
konnte. Sie starb vor Kummer 1408. Jhre ruͤhrende

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[125/0129] Einen neugierigen Blick verdient allerdings jenes Kaͤstchen mit Elfenbein und Schildpatt verziert. Lud- wig JX. brachte es, mit Reliquien angefuͤllt, von sei- nem Kreuzzuge aus Palaͤstina zuruͤck, und seitdem wur- de es in der Sainte Chapelle zu Paris selbst als Re- liquie verehrt, obgleich die Basreliefs desselben offenbar den Zug der Argonauten nach dem goldnen Vlies dar- stellen. — So haben vormals oͤfter selbst Obsconitaͤten aus dem Heidenthum, den Ueberresten der Heiligen zur Einfassung gedient. Das große Basrelief, welches hier den Blick auf sich zieht, ist aus der Abtei St. Denis genommen, und blos merkwuͤrdig durch seine bizarre Zusammensetzung. Es stellt nemlich das Leiden Christi vor, wobei auf einer Seite der heilige Eustachius und auf der andern die Juͤnglinge im Feuerofen befind- lich sind. — Ein anderes, Mariaͤ Verkuͤndigung, ist nicht weniger drollig. Die betende Jungfrau erblickt mit Erstaunen den jungen Gabriel, als ein Stutzer je- ner Zeit gekleidet, der aber nicht zu sprechen wagt, sondern ganz bescheiden ein Manuscript aufrollt, wel- ches den Zweck seiner Sendung enthuͤllt. Oben ist Gott der Vater mit einem ganz verguͤldeten Gesicht, und aus seinem Munde fliegt der heilige Geist grade- wegs zu Maria. Gern ruht das Auge dort auf der Bildsaͤule von weißem Marmor, denn sie verewigen die Zuͤge einer guten Frau, Valentine de Milan, Gemahlin eines Herzogs von Orleans, der 1407 zu Paris ermordet wurde, und dessen Verlust Valentine nicht ertragen konnte. Sie starb vor Kummer 1408. Jhre ruͤhrende

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/129>, abgerufen am 23.04.2024.