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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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von wem ist das Bild? Jst es auch alt genug, um es
enthusiastisch loben zu dürfen? Jst in der Zeichnung gar
kein Fehler? Und ich frage auch nie: welchen Eindruck
soll das Bild nicht machen? Sondern ich frage: wel-
chen macht es? weil ich so verstockt bin, mir einzubil-
den, der Maler habe es gemalt, um diesen oder jenen
Eindruck auf den Beschauer hervorzubringen. Aus al-
len diesen meiner gemeinen Natur anklebenden Ge-
brechen folgt nun, daß der Leser durchaus keine Kunst-
urtheile
von mir zu erwarten hat. Jch will und wer-
de nichts anders thun, als erzählen, was ich gesehen,
und welche Empfindungen das Gesehene in mir erreg-
te. Daher werde ich oft bei Gegenständen verweilen,
die manchem untergeordnet scheinen, und bei andern
vorüberschlüpfen, über die manche ein großes Geschrei
erheben. Mit gutem Vorbedacht habe ich keinen von
den vermaledeiten Kunstkennern mit mir genommen, die,
mit der Doppellorgnette vor den Augen, nichts weiter
zu thun wissen, als dem unbefangenen Beschauer jeden
Genuß zu verkümmern; oder hinwiederum ihn zwingen
wollen, zu genießen, wofür nur ihre höhere Offenba-
rung sie empfänglich macht. Das einzige, was bei mei-
ner sündigen Einfalt mich noch ein wenig tröstet, ist
Lessings Ausdruck in Emilia Galotti: "hinweg mit dem,
"der erst vom Maler lernen will, was schön ist." --
Ja, der gute Lessing würde heutzutage auch kein großes
Glück mit seinen Kunstwerken machen, denn vom La-
crymas
müßte er lernen, wie er den Nathan hät-
te schreiben sollen.

Genug zur Einleitung. Die Kunstjünger und Na-
senrümpfer mögen das ganze Kapitel überschlagen. Wir
treten in den ersten Saal; er enthält Früchte der

von wem ist das Bild? Jst es auch alt genug, um es
enthusiastisch loben zu duͤrfen? Jst in der Zeichnung gar
kein Fehler? Und ich frage auch nie: welchen Eindruck
soll das Bild nicht machen? Sondern ich frage: wel-
chen macht es? weil ich so verstockt bin, mir einzubil-
den, der Maler habe es gemalt, um diesen oder jenen
Eindruck auf den Beschauer hervorzubringen. Aus al-
len diesen meiner gemeinen Natur anklebenden Ge-
brechen folgt nun, daß der Leser durchaus keine Kunst-
urtheile
von mir zu erwarten hat. Jch will und wer-
de nichts anders thun, als erzaͤhlen, was ich gesehen,
und welche Empfindungen das Gesehene in mir erreg-
te. Daher werde ich oft bei Gegenstaͤnden verweilen,
die manchem untergeordnet scheinen, und bei andern
voruͤberschluͤpfen, uͤber die manche ein großes Geschrei
erheben. Mit gutem Vorbedacht habe ich keinen von
den vermaledeiten Kunstkennern mit mir genommen, die,
mit der Doppellorgnette vor den Augen, nichts weiter
zu thun wissen, als dem unbefangenen Beschauer jeden
Genuß zu verkuͤmmern; oder hinwiederum ihn zwingen
wollen, zu genießen, wofuͤr nur ihre hoͤhere Offenba-
rung sie empfaͤnglich macht. Das einzige, was bei mei-
ner suͤndigen Einfalt mich noch ein wenig troͤstet, ist
Lessings Ausdruck in Emilia Galotti: „hinweg mit dem,
„der erst vom Maler lernen will, was schoͤn ist.“ —
Ja, der gute Lessing wuͤrde heutzutage auch kein großes
Gluͤck mit seinen Kunstwerken machen, denn vom La-
crymas
muͤßte er lernen, wie er den Nathan haͤt-
te schreiben sollen.

Genug zur Einleitung. Die Kunstjuͤnger und Na-
senruͤmpfer moͤgen das ganze Kapitel uͤberschlagen. Wir
treten in den ersten Saal; er enthaͤlt Fruͤchte der

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[139/0143] von wem ist das Bild? Jst es auch alt genug, um es enthusiastisch loben zu duͤrfen? Jst in der Zeichnung gar kein Fehler? Und ich frage auch nie: welchen Eindruck soll das Bild nicht machen? Sondern ich frage: wel- chen macht es? weil ich so verstockt bin, mir einzubil- den, der Maler habe es gemalt, um diesen oder jenen Eindruck auf den Beschauer hervorzubringen. Aus al- len diesen meiner gemeinen Natur anklebenden Ge- brechen folgt nun, daß der Leser durchaus keine Kunst- urtheile von mir zu erwarten hat. Jch will und wer- de nichts anders thun, als erzaͤhlen, was ich gesehen, und welche Empfindungen das Gesehene in mir erreg- te. Daher werde ich oft bei Gegenstaͤnden verweilen, die manchem untergeordnet scheinen, und bei andern voruͤberschluͤpfen, uͤber die manche ein großes Geschrei erheben. Mit gutem Vorbedacht habe ich keinen von den vermaledeiten Kunstkennern mit mir genommen, die, mit der Doppellorgnette vor den Augen, nichts weiter zu thun wissen, als dem unbefangenen Beschauer jeden Genuß zu verkuͤmmern; oder hinwiederum ihn zwingen wollen, zu genießen, wofuͤr nur ihre hoͤhere Offenba- rung sie empfaͤnglich macht. Das einzige, was bei mei- ner suͤndigen Einfalt mich noch ein wenig troͤstet, ist Lessings Ausdruck in Emilia Galotti: „hinweg mit dem, „der erst vom Maler lernen will, was schoͤn ist.“ — Ja, der gute Lessing wuͤrde heutzutage auch kein großes Gluͤck mit seinen Kunstwerken machen, denn vom La- crymas muͤßte er lernen, wie er den Nathan haͤt- te schreiben sollen. Genug zur Einleitung. Die Kunstjuͤnger und Na- senruͤmpfer moͤgen das ganze Kapitel uͤberschlagen. Wir treten in den ersten Saal; er enthaͤlt Fruͤchte der

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/143>, abgerufen am 25.04.2024.