Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

dides Gastmahl veranstaltet. Man bittet um seine Be-
freiung und will Bürgschaft für ihn stellen, aber verge-
bens. Man kann also Nichts weiter thun, als ihm seine Ge-
fangenschaft auf alle mögliche Weise erleichtern. Er wurde
stets auf das köstlichste servirt, und war schon so daran
verwöhnt, daß, als man ihm einst zum Abendessen ein
Huhn, eine Taube, Salat und ein Creme brach-
te, er das nicht hinreichend fand, sondern es auf die
Erde warf. Der Notarius Adnet nannte ihn selbst im
Gefängniß Monseigneur, und wurde dafür gnädig be-
lohnt, durch die Benennung mon petit page, mon
petit valet de chambre d'amitie.

So spielt er seine Rolle kaltblütig und mit Würde
fort. Geht er zu Messe, so trägt ihm ein Bedienter
Kissen und Gebethbuch nach. Er ernennt sich ei-
nen Sekretair, der in seinem Namen Louis Charles un-
terzeichnen muß. Wenn man einen großen Namen trägt,
äußert er gegen die Richter, so ist man der Verfolgung
ausgesetzt. -- Der Maire von Vitry sah sich endlich
genöthigt, um des großen Zulaufs willen, ihn enger ein-
zuschränken, auch den ungeheuern Lieferungen von Wein
und Speisen vernünftige Gränzen zu setzen. Die noth-
wendigsten Personen ausgenommen, mußte man einen
Erlaubnißschein haben, um ihn zu besuchen.

Sein Verbrechen wurde indessen noch immer aus
keinem politischen Gesichtspunkte betrachtet, sondern bloß
der Polizeybehörde (police correctionelle) zur Unter-
suchung und Bestrafung übergeben. Auch Madame
Saignes wurde, als seine Mitschuldige, eingezogen, da
man ihr aber Nichts beweisen konnte, wieder auf freien
Fuß gestellt. Hervagault hingegen wurde zu Ende des
Jahre 1802 wegen Escroquerie und Misbrauch der Leicht-

dides Gastmahl veranstaltet. Man bittet um seine Be-
freiung und will Buͤrgschaft fuͤr ihn stellen, aber verge-
bens. Man kann also Nichts weiter thun, als ihm seine Ge-
fangenschaft auf alle moͤgliche Weise erleichtern. Er wurde
stets auf das koͤstlichste servirt, und war schon so daran
verwoͤhnt, daß, als man ihm einst zum Abendessen ein
Huhn, eine Taube, Salat und ein Crême brach-
te, er das nicht hinreichend fand, sondern es auf die
Erde warf. Der Notarius Adnet nannte ihn selbst im
Gefaͤngniß Monseigneur, und wurde dafuͤr gnaͤdig be-
lohnt, durch die Benennung mon petit page, mon
petit valet de chambre d'amitié.

So spielt er seine Rolle kaltbluͤtig und mit Wuͤrde
fort. Geht er zu Messe, so traͤgt ihm ein Bedienter
Kissen und Gebethbuch nach. Er ernennt sich ei-
nen Sekretair, der in seinem Namen Louis Charles un-
terzeichnen muß. Wenn man einen großen Namen traͤgt,
aͤußert er gegen die Richter, so ist man der Verfolgung
ausgesetzt. — Der Maire von Vitry sah sich endlich
genoͤthigt, um des großen Zulaufs willen, ihn enger ein-
zuschraͤnken, auch den ungeheuern Lieferungen von Wein
und Speisen vernuͤnftige Graͤnzen zu setzen. Die noth-
wendigsten Personen ausgenommen, mußte man einen
Erlaubnißschein haben, um ihn zu besuchen.

Sein Verbrechen wurde indessen noch immer aus
keinem politischen Gesichtspunkte betrachtet, sondern bloß
der Polizeybehoͤrde (police correctionelle) zur Unter-
suchung und Bestrafung uͤbergeben. Auch Madame
Saignes wurde, als seine Mitschuldige, eingezogen, da
man ihr aber Nichts beweisen konnte, wieder auf freien
Fuß gestellt. Hervagault hingegen wurde zu Ende des
Jahre 1802 wegen Escroquerie und Misbrauch der Leicht-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0097" n="97"/>
dides Gastmahl veranstaltet. Man bittet um seine Be-<lb/>
freiung und will Bu&#x0364;rgschaft fu&#x0364;r ihn stellen, aber verge-<lb/>
bens. Man kann also Nichts weiter thun, als ihm seine Ge-<lb/>
fangenschaft auf alle mo&#x0364;gliche Weise erleichtern. Er wurde<lb/>
stets auf das ko&#x0364;stlichste servirt, und war schon so daran<lb/>
verwo&#x0364;hnt, daß, als man ihm einst zum Abendessen ein<lb/><hi rendition="#g">Huhn,</hi> eine <hi rendition="#g">Taube, Salat</hi> und ein <hi rendition="#g">Crême</hi> brach-<lb/>
te, er das nicht hinreichend fand, sondern es auf die<lb/>
Erde warf. Der Notarius Adnet nannte ihn selbst im<lb/>
Gefa&#x0364;ngniß Monseigneur, und wurde dafu&#x0364;r gna&#x0364;dig be-<lb/>
lohnt, durch die Benennung mon petit page, mon<lb/>
petit valet de chambre d'amitié.</p><lb/>
        <p>So spielt er seine Rolle kaltblu&#x0364;tig und mit Wu&#x0364;rde<lb/>
fort. Geht er zu Messe, so tra&#x0364;gt ihm ein Bedienter<lb/><hi rendition="#g">Kissen</hi> und <hi rendition="#g">Gebethbuch</hi> nach. Er ernennt sich ei-<lb/>
nen Sekretair, der in seinem Namen Louis Charles un-<lb/>
terzeichnen muß. Wenn man einen großen Namen tra&#x0364;gt,<lb/>
a&#x0364;ußert er gegen die Richter, so ist man der Verfolgung<lb/>
ausgesetzt. &#x2014; Der Maire von Vitry sah sich endlich<lb/>
geno&#x0364;thigt, um des großen Zulaufs willen, ihn enger ein-<lb/>
zuschra&#x0364;nken, auch den ungeheuern Lieferungen von Wein<lb/>
und Speisen vernu&#x0364;nftige Gra&#x0364;nzen zu setzen. Die noth-<lb/>
wendigsten Personen ausgenommen, mußte man einen<lb/>
Erlaubnißschein haben, um ihn zu besuchen.</p><lb/>
        <p>Sein Verbrechen wurde indessen noch immer aus<lb/>
keinem politischen Gesichtspunkte betrachtet, sondern bloß<lb/>
der Polizeybeho&#x0364;rde (police correctionelle) zur Unter-<lb/>
suchung und Bestrafung u&#x0364;bergeben. Auch Madame<lb/>
Saignes wurde, als seine Mitschuldige, eingezogen, da<lb/>
man ihr aber Nichts beweisen konnte, wieder auf freien<lb/>
Fuß gestellt. Hervagault hingegen wurde zu Ende des<lb/>
Jahre 1802 wegen Escroquerie und Misbrauch der Leicht-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0097] dides Gastmahl veranstaltet. Man bittet um seine Be- freiung und will Buͤrgschaft fuͤr ihn stellen, aber verge- bens. Man kann also Nichts weiter thun, als ihm seine Ge- fangenschaft auf alle moͤgliche Weise erleichtern. Er wurde stets auf das koͤstlichste servirt, und war schon so daran verwoͤhnt, daß, als man ihm einst zum Abendessen ein Huhn, eine Taube, Salat und ein Crême brach- te, er das nicht hinreichend fand, sondern es auf die Erde warf. Der Notarius Adnet nannte ihn selbst im Gefaͤngniß Monseigneur, und wurde dafuͤr gnaͤdig be- lohnt, durch die Benennung mon petit page, mon petit valet de chambre d'amitié. So spielt er seine Rolle kaltbluͤtig und mit Wuͤrde fort. Geht er zu Messe, so traͤgt ihm ein Bedienter Kissen und Gebethbuch nach. Er ernennt sich ei- nen Sekretair, der in seinem Namen Louis Charles un- terzeichnen muß. Wenn man einen großen Namen traͤgt, aͤußert er gegen die Richter, so ist man der Verfolgung ausgesetzt. — Der Maire von Vitry sah sich endlich genoͤthigt, um des großen Zulaufs willen, ihn enger ein- zuschraͤnken, auch den ungeheuern Lieferungen von Wein und Speisen vernuͤnftige Graͤnzen zu setzen. Die noth- wendigsten Personen ausgenommen, mußte man einen Erlaubnißschein haben, um ihn zu besuchen. Sein Verbrechen wurde indessen noch immer aus keinem politischen Gesichtspunkte betrachtet, sondern bloß der Polizeybehoͤrde (police correctionelle) zur Unter- suchung und Bestrafung uͤbergeben. Auch Madame Saignes wurde, als seine Mitschuldige, eingezogen, da man ihr aber Nichts beweisen konnte, wieder auf freien Fuß gestellt. Hervagault hingegen wurde zu Ende des Jahre 1802 wegen Escroquerie und Misbrauch der Leicht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/97
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/97>, abgerufen am 28.03.2024.