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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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VIII.
"Erst mein Chef, dann ich."

Ah, da ist er ja!

Mit diesen Worten Urbans wurde Franz empfangen,
als er das Haus in der Nachbarstraße betreten hatte.
Die ganze Familie war im großen Balkonzimmer versammelt,
dessen Krystallkrone im Lichterglanze funkelte. An jedem ersten
Mittwoch im Monat während der Winterzeit pflegte Frau
Urban ihrer Töchter wegen eine kleine Gesellschaft zu geben.
Die heutige war die erste, seitdem sie ihren Wittwenstand auf¬
gegeben hatte. An solchen Abenden wurden nur der Familie
nahestehende Personen eingeladen, unter denen selbstverständ¬
lich die jungen Männer nicht fehlen durften. Es wurde
musizirt, gesungen, ein kleiner Scherz arrangirt; man aß und
trank gut (eine Beschäftigung, die gewöhnlich am längsten aus¬
gedehnt wurde), klatschte ein wenig, verabredete größere ge¬
sellschaftliche Zusammenkünfte, wagte zum Schluß ein kleines
Tänzchen und trennte sich erst nach Mitternacht mit der gegen¬
seitigen Versicherung, seit langer Zeit ein derartiges Amüse¬
ment nicht genossen zu haben -- eine Redensart, die jeder so


VIII.
„Erſt mein Chef, dann ich.“

Ah, da iſt er ja!

Mit dieſen Worten Urbans wurde Franz empfangen,
als er das Haus in der Nachbarſtraße betreten hatte.
Die ganze Familie war im großen Balkonzimmer verſammelt,
deſſen Kryſtallkrone im Lichterglanze funkelte. An jedem erſten
Mittwoch im Monat während der Winterzeit pflegte Frau
Urban ihrer Töchter wegen eine kleine Geſellſchaft zu geben.
Die heutige war die erſte, ſeitdem ſie ihren Wittwenſtand auf¬
gegeben hatte. An ſolchen Abenden wurden nur der Familie
naheſtehende Perſonen eingeladen, unter denen ſelbſtverſtänd¬
lich die jungen Männer nicht fehlen durften. Es wurde
muſizirt, geſungen, ein kleiner Scherz arrangirt; man aß und
trank gut (eine Beſchäftigung, die gewöhnlich am längſten aus¬
gedehnt wurde), klatſchte ein wenig, verabredete größere ge¬
ſellſchaftliche Zuſammenkünfte, wagte zum Schluß ein kleines
Tänzchen und trennte ſich erſt nach Mitternacht mit der gegen¬
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ment nicht genoſſen zu haben — eine Redensart, die jeder ſo

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[[107]/0119] VIII. „Erſt mein Chef, dann ich.“ Ah, da iſt er ja! Mit dieſen Worten Urbans wurde Franz empfangen, als er das Haus in der Nachbarſtraße betreten hatte. Die ganze Familie war im großen Balkonzimmer verſammelt, deſſen Kryſtallkrone im Lichterglanze funkelte. An jedem erſten Mittwoch im Monat während der Winterzeit pflegte Frau Urban ihrer Töchter wegen eine kleine Geſellſchaft zu geben. Die heutige war die erſte, ſeitdem ſie ihren Wittwenſtand auf¬ gegeben hatte. An ſolchen Abenden wurden nur der Familie naheſtehende Perſonen eingeladen, unter denen ſelbſtverſtänd¬ lich die jungen Männer nicht fehlen durften. Es wurde muſizirt, geſungen, ein kleiner Scherz arrangirt; man aß und trank gut (eine Beſchäftigung, die gewöhnlich am längſten aus¬ gedehnt wurde), klatſchte ein wenig, verabredete größere ge¬ ſellſchaftliche Zuſammenkünfte, wagte zum Schluß ein kleines Tänzchen und trennte ſich erſt nach Mitternacht mit der gegen¬ ſeitigen Verſicherung, ſeit langer Zeit ein derartiges Amüſe¬ ment nicht genoſſen zu haben — eine Redensart, die jeder ſo

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. [107]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/119>, abgerufen am 29.03.2024.