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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Timpe junior bereits bewiesen, daß er vor nichts zurückschrecke,
um sich angenehm zu machen und erneuerte Dankbarkeit ent¬
gegen zu bringen.

Gewiß, wenn Urban aufrichtig sein wollte, so mußte er
das anerkennen. Er hatte ihm alle Kunden seines Vaters
namhaft gemacht, ihre Eigenthümlichkeiten geschildert, manches
Geheimniß der Fabrikationsweise des Meistes verrathen, ge¬
logen und geheuchelt, sein Gewissen geopfert, mit rührender
Miene, thränenden Augen von dem Abstand zwischen sich und
seinen Eltern gesprochen, mehr als einmal das Mitleid er¬
weckt, nur um an das große Ziel zu gelangen, das ihm die
Verwirklichung seiner berückenden Träume bringen würde.

Das aber gerade war es, was Urbau mißtrauisch gemacht
hatte. Er erblickte in Franzen's Charaktereigenschaften so viele
Berührungspunkte mit den seinigen, daß es ihm leichter, als seiner
Frau und Emma wurde, den wirklichen Werth seines Procuristen
zu taxiren. Was er an ihm allein zu würdigen wußte, waren die
großen Fähigkeiten; und wodurch er sich immer auf's Neue be¬
stechen ließ, waren die einnehmende Erscheinung und die
große Liebenswürdigkeit Franzens.

"He," sagte er mehr als einmal zu sich, "der hält mich
für dumm, aber er irrt sich ... Ein Teufelskerl! Hat sich
bei allen "liebes Kind" gemacht, und man weiß eigentlich
nicht, wie das gekommen ist. Solche Leute aber passen in
die Welt -- die bringen es zu etwas."

Aergerte er sich dann über die "klassische Unverschämtheit,"
mit der Franz sich in seiner Familie "eingenistet" hatte, so
sehr, daß er daran dachte, die Verlobung aufzuheben und
Timpe junior die Thür zu weisen, so verlor er wieder den
Muth dazu, wenn der Prokurist vor ihm stand und ihn mit

Timpe junior bereits bewieſen, daß er vor nichts zurückſchrecke,
um ſich angenehm zu machen und erneuerte Dankbarkeit ent¬
gegen zu bringen.

Gewiß, wenn Urban aufrichtig ſein wollte, ſo mußte er
das anerkennen. Er hatte ihm alle Kunden ſeines Vaters
namhaft gemacht, ihre Eigenthümlichkeiten geſchildert, manches
Geheimniß der Fabrikationsweiſe des Meiſtes verrathen, ge¬
logen und geheuchelt, ſein Gewiſſen geopfert, mit rührender
Miene, thränenden Augen von dem Abſtand zwiſchen ſich und
ſeinen Eltern geſprochen, mehr als einmal das Mitleid er¬
weckt, nur um an das große Ziel zu gelangen, das ihm die
Verwirklichung ſeiner berückenden Träume bringen würde.

Das aber gerade war es, was Urbau mißtrauiſch gemacht
hatte. Er erblickte in Franzen's Charaktereigenſchaften ſo viele
Berührungspunkte mit den ſeinigen, daß es ihm leichter, als ſeiner
Frau und Emma wurde, den wirklichen Werth ſeines Procuriſten
zu taxiren. Was er an ihm allein zu würdigen wußte, waren die
großen Fähigkeiten; und wodurch er ſich immer auf's Neue be¬
ſtechen ließ, waren die einnehmende Erſcheinung und die
große Liebenswürdigkeit Franzens.

„He,“ ſagte er mehr als einmal zu ſich, „der hält mich
für dumm, aber er irrt ſich ... Ein Teufelskerl! Hat ſich
bei allen „liebes Kind“ gemacht, und man weiß eigentlich
nicht, wie das gekommen iſt. Solche Leute aber paſſen in
die Welt — die bringen es zu etwas.“

Aergerte er ſich dann über die „klaſſiſche Unverſchämtheit,“
mit der Franz ſich in ſeiner Familie „eingeniſtet“ hatte, ſo
ſehr, daß er daran dachte, die Verlobung aufzuheben und
Timpe junior die Thür zu weiſen, ſo verlor er wieder den
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[185/0197] Timpe junior bereits bewieſen, daß er vor nichts zurückſchrecke, um ſich angenehm zu machen und erneuerte Dankbarkeit ent¬ gegen zu bringen. Gewiß, wenn Urban aufrichtig ſein wollte, ſo mußte er das anerkennen. Er hatte ihm alle Kunden ſeines Vaters namhaft gemacht, ihre Eigenthümlichkeiten geſchildert, manches Geheimniß der Fabrikationsweiſe des Meiſtes verrathen, ge¬ logen und geheuchelt, ſein Gewiſſen geopfert, mit rührender Miene, thränenden Augen von dem Abſtand zwiſchen ſich und ſeinen Eltern geſprochen, mehr als einmal das Mitleid er¬ weckt, nur um an das große Ziel zu gelangen, das ihm die Verwirklichung ſeiner berückenden Träume bringen würde. Das aber gerade war es, was Urbau mißtrauiſch gemacht hatte. Er erblickte in Franzen's Charaktereigenſchaften ſo viele Berührungspunkte mit den ſeinigen, daß es ihm leichter, als ſeiner Frau und Emma wurde, den wirklichen Werth ſeines Procuriſten zu taxiren. Was er an ihm allein zu würdigen wußte, waren die großen Fähigkeiten; und wodurch er ſich immer auf's Neue be¬ ſtechen ließ, waren die einnehmende Erſcheinung und die große Liebenswürdigkeit Franzens. „He,“ ſagte er mehr als einmal zu ſich, „der hält mich für dumm, aber er irrt ſich ... Ein Teufelskerl! Hat ſich bei allen „liebes Kind“ gemacht, und man weiß eigentlich nicht, wie das gekommen iſt. Solche Leute aber paſſen in die Welt — die bringen es zu etwas.“ Aergerte er ſich dann über die „klaſſiſche Unverſchämtheit,“ mit der Franz ſich in ſeiner Familie „eingeniſtet“ hatte, ſo ſehr, daß er daran dachte, die Verlobung aufzuheben und Timpe junior die Thür zu weiſen, ſo verlor er wieder den Muth dazu, wenn der Prokuriſt vor ihm ſtand und ihn mit

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/197>, abgerufen am 28.03.2024.