Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

aufzustehen, war begabt mit einem wunderbar feinen Gehör und
der einzige Feind, den er im Hause besaß.

Franz Timpe lauschte noch eine Weile, dann zog er be¬
hutsam die Stiefel von den Füßen und schlich mit an¬
gehaltenem Athem die leise ächzende Treppe empor. Oben
angelangt, tappte er die Wand entlang, denn hier herrschte
noch völliges Dunkel. Er mußte bei der Thür des Gro߬
vaters vorüber, um zu der seinigen zu gelangen. Lautlose
Stille umgab ihn. Er athmete auf. Als er aber in
seinem Zimmer angelangt war, vernahm er durch die dünne
Wand deutlich das laute Husten des Großvaters: die ihm
längst bekannte Begrüßung, welche in aller Frühe zu ertönen
pflegte, als ein Zeichen, daß der steinalte Mann das Nach¬
hausekommen seines Enkels gehört habe.

Franz Timpe preßte vor Aerger die Lippen fest auf¬
einander; dann suchte er todtmüde sein Lager auf, um sich
während einiger Stunden für den kommenden Tag zu
stärken. Durch das dünne Rouleaux drang das Licht des
immer mehr heraufziehenden Morgens gedämpft herein und
ließ in dem Halbdunkel nur das bleiche Gesicht des Schläfers
leuchten.


aufzuſtehen, war begabt mit einem wunderbar feinen Gehör und
der einzige Feind, den er im Hauſe beſaß.

Franz Timpe lauſchte noch eine Weile, dann zog er be¬
hutſam die Stiefel von den Füßen und ſchlich mit an¬
gehaltenem Athem die leiſe ächzende Treppe empor. Oben
angelangt, tappte er die Wand entlang, denn hier herrſchte
noch völliges Dunkel. Er mußte bei der Thür des Gro߬
vaters vorüber, um zu der ſeinigen zu gelangen. Lautloſe
Stille umgab ihn. Er athmete auf. Als er aber in
ſeinem Zimmer angelangt war, vernahm er durch die dünne
Wand deutlich das laute Huſten des Großvaters: die ihm
längſt bekannte Begrüßung, welche in aller Frühe zu ertönen
pflegte, als ein Zeichen, daß der ſteinalte Mann das Nach¬
hauſekommen ſeines Enkels gehört habe.

Franz Timpe preßte vor Aerger die Lippen feſt auf¬
einander; dann ſuchte er todtmüde ſein Lager auf, um ſich
während einiger Stunden für den kommenden Tag zu
ſtärken. Durch das dünne Rouleaux drang das Licht des
immer mehr heraufziehenden Morgens gedämpft herein und
ließ in dem Halbdunkel nur das bleiche Geſicht des Schläfers
leuchten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="9"/>
aufzu&#x017F;tehen, war begabt mit einem wunderbar feinen Gehör und<lb/>
der einzige Feind, den er im Hau&#x017F;e be&#x017F;aß.</p><lb/>
        <p>Franz Timpe lau&#x017F;chte noch eine Weile, dann zog er be¬<lb/>
hut&#x017F;am die Stiefel von den Füßen und &#x017F;chlich mit an¬<lb/>
gehaltenem Athem die lei&#x017F;e ächzende Treppe empor. Oben<lb/>
angelangt, tappte er die Wand entlang, denn hier herr&#x017F;chte<lb/>
noch völliges Dunkel. Er mußte bei der Thür des Gro߬<lb/>
vaters vorüber, um zu der &#x017F;einigen zu gelangen. Lautlo&#x017F;e<lb/>
Stille umgab ihn. Er athmete auf. Als er aber in<lb/>
&#x017F;einem Zimmer angelangt war, vernahm er durch die dünne<lb/>
Wand deutlich das laute Hu&#x017F;ten des Großvaters: die ihm<lb/>
läng&#x017F;t bekannte Begrüßung, welche in aller Frühe zu ertönen<lb/>
pflegte, als ein Zeichen, daß der &#x017F;teinalte Mann das Nach¬<lb/>
hau&#x017F;ekommen &#x017F;eines Enkels gehört habe.</p><lb/>
        <p>Franz Timpe preßte vor Aerger die Lippen fe&#x017F;t auf¬<lb/>
einander; dann &#x017F;uchte er todtmüde &#x017F;ein Lager auf, um &#x017F;ich<lb/>
während einiger Stunden für den kommenden Tag zu<lb/>
&#x017F;tärken. Durch das dünne Rouleaux drang das Licht des<lb/>
immer mehr heraufziehenden Morgens gedämpft herein und<lb/>
ließ in dem Halbdunkel nur das bleiche Ge&#x017F;icht des Schläfers<lb/>
leuchten.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0021] aufzuſtehen, war begabt mit einem wunderbar feinen Gehör und der einzige Feind, den er im Hauſe beſaß. Franz Timpe lauſchte noch eine Weile, dann zog er be¬ hutſam die Stiefel von den Füßen und ſchlich mit an¬ gehaltenem Athem die leiſe ächzende Treppe empor. Oben angelangt, tappte er die Wand entlang, denn hier herrſchte noch völliges Dunkel. Er mußte bei der Thür des Gro߬ vaters vorüber, um zu der ſeinigen zu gelangen. Lautloſe Stille umgab ihn. Er athmete auf. Als er aber in ſeinem Zimmer angelangt war, vernahm er durch die dünne Wand deutlich das laute Huſten des Großvaters: die ihm längſt bekannte Begrüßung, welche in aller Frühe zu ertönen pflegte, als ein Zeichen, daß der ſteinalte Mann das Nach¬ hauſekommen ſeines Enkels gehört habe. Franz Timpe preßte vor Aerger die Lippen feſt auf¬ einander; dann ſuchte er todtmüde ſein Lager auf, um ſich während einiger Stunden für den kommenden Tag zu ſtärken. Durch das dünne Rouleaux drang das Licht des immer mehr heraufziehenden Morgens gedämpft herein und ließ in dem Halbdunkel nur das bleiche Geſicht des Schläfers leuchten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/21
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/21>, abgerufen am 29.03.2024.