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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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wenn seine wirkliche Lage bekannt würde. Er dachte daran,
eine zweite Hypothek aufzunehmen. Als er aber zu diesem
Zwecke mit einem wildfremden Menschen in Verbindung ge¬
treten war und dieser die Verhältnisse näher geprüft hatte,
meinte er, daß er für das Haus keinen Pfifferling gäbe. Man
könne nur auf die Baustelle Rücksicht nehmen, der Grund und
Boden sei aber durch das Berühren der Stadtbahn entwerthet.

Timpe befürchtete nun, daß der Besitzer der ersten
Hypothek von dieser Sachlage Kenntniß erhalten und sich da¬
durch gezwungen sehen könne, recht bald wieder zu seinem
baaren Gelde zu kommen. Um ihn nicht gänzlich mißtrauisch
zu machen, unterließ er jeden weiteren Versuch mit der
zweiten Hypothek.

Schon seit Monaten hatte er um die Bedürfnisse des
Lebens zu befriedigen, Holzarbeit für eine Möbelfabrik über¬
nommen, die weit unten im Süden der Stadt lag und in der
man seine näheren Verhältnisse nicht kannte. Er arbeitete
jetzt mit Thomas Beyer und dem Lehrling fast nur, um sich
über den Tag hinweg zu helfen, die Zinsen regelmäßig zu
entrichten und seine Pflicht als Steuerzahler zu erfüllen.
Große Gegenstände konnte er gar nicht annehmen, denn sie
wurden in den Fabriken mit Dampfbetrieb schneller und billiger
ausgeführt. Wie ein gewöhnlicher Tagelöhner stand er jetzt
an einer der verlassenen Drehbänke in der Werkstatt und drehte
Stuhlbeine für Luxusstühle, Säulen und Knöpfe aller Art.
Einem anderen Gehülfen als Thomas Beyer hätte er nicht
gewagt, einen Akkordpreis anzubieten, wie der Altgeselle ihn
ohne Murren einsteckte. Aus diesem Grunde fand er es ganz
zwecklos, neue Gehülfen einzustellen.

So weit war es mit seinem Kunst-Handwerk gekommen!

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wenn ſeine wirkliche Lage bekannt würde. Er dachte daran,
eine zweite Hypothek aufzunehmen. Als er aber zu dieſem
Zwecke mit einem wildfremden Menſchen in Verbindung ge¬
treten war und dieſer die Verhältniſſe näher geprüft hatte,
meinte er, daß er für das Haus keinen Pfifferling gäbe. Man
könne nur auf die Bauſtelle Rückſicht nehmen, der Grund und
Boden ſei aber durch das Berühren der Stadtbahn entwerthet.

Timpe befürchtete nun, daß der Beſitzer der erſten
Hypothek von dieſer Sachlage Kenntniß erhalten und ſich da¬
durch gezwungen ſehen könne, recht bald wieder zu ſeinem
baaren Gelde zu kommen. Um ihn nicht gänzlich mißtrauiſch
zu machen, unterließ er jeden weiteren Verſuch mit der
zweiten Hypothek.

Schon ſeit Monaten hatte er um die Bedürfniſſe des
Lebens zu befriedigen, Holzarbeit für eine Möbelfabrik über¬
nommen, die weit unten im Süden der Stadt lag und in der
man ſeine näheren Verhältniſſe nicht kannte. Er arbeitete
jetzt mit Thomas Beyer und dem Lehrling faſt nur, um ſich
über den Tag hinweg zu helfen, die Zinſen regelmäßig zu
entrichten und ſeine Pflicht als Steuerzahler zu erfüllen.
Große Gegenſtände konnte er gar nicht annehmen, denn ſie
wurden in den Fabriken mit Dampfbetrieb ſchneller und billiger
ausgeführt. Wie ein gewöhnlicher Tagelöhner ſtand er jetzt
an einer der verlaſſenen Drehbänke in der Werkſtatt und drehte
Stuhlbeine für Luxusſtühle, Säulen und Knöpfe aller Art.
Einem anderen Gehülfen als Thomas Beyer hätte er nicht
gewagt, einen Akkordpreis anzubieten, wie der Altgeſelle ihn
ohne Murren einſteckte. Aus dieſem Grunde fand er es ganz
zwecklos, neue Gehülfen einzuſtellen.

So weit war es mit ſeinem Kunſt-Handwerk gekommen!

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[243/0255] wenn ſeine wirkliche Lage bekannt würde. Er dachte daran, eine zweite Hypothek aufzunehmen. Als er aber zu dieſem Zwecke mit einem wildfremden Menſchen in Verbindung ge¬ treten war und dieſer die Verhältniſſe näher geprüft hatte, meinte er, daß er für das Haus keinen Pfifferling gäbe. Man könne nur auf die Bauſtelle Rückſicht nehmen, der Grund und Boden ſei aber durch das Berühren der Stadtbahn entwerthet. Timpe befürchtete nun, daß der Beſitzer der erſten Hypothek von dieſer Sachlage Kenntniß erhalten und ſich da¬ durch gezwungen ſehen könne, recht bald wieder zu ſeinem baaren Gelde zu kommen. Um ihn nicht gänzlich mißtrauiſch zu machen, unterließ er jeden weiteren Verſuch mit der zweiten Hypothek. Schon ſeit Monaten hatte er um die Bedürfniſſe des Lebens zu befriedigen, Holzarbeit für eine Möbelfabrik über¬ nommen, die weit unten im Süden der Stadt lag und in der man ſeine näheren Verhältniſſe nicht kannte. Er arbeitete jetzt mit Thomas Beyer und dem Lehrling faſt nur, um ſich über den Tag hinweg zu helfen, die Zinſen regelmäßig zu entrichten und ſeine Pflicht als Steuerzahler zu erfüllen. Große Gegenſtände konnte er gar nicht annehmen, denn ſie wurden in den Fabriken mit Dampfbetrieb ſchneller und billiger ausgeführt. Wie ein gewöhnlicher Tagelöhner ſtand er jetzt an einer der verlaſſenen Drehbänke in der Werkſtatt und drehte Stuhlbeine für Luxusſtühle, Säulen und Knöpfe aller Art. Einem anderen Gehülfen als Thomas Beyer hätte er nicht gewagt, einen Akkordpreis anzubieten, wie der Altgeſelle ihn ohne Murren einſteckte. Aus dieſem Grunde fand er es ganz zwecklos, neue Gehülfen einzuſtellen. So weit war es mit ſeinem Kunſt-Handwerk gekommen! 16*

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/255>, abgerufen am 25.04.2024.