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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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nummirt mit ihrem Jungen. Ih, da war jarnischt jut jenug
... und jetzt kommt er nich' mal, um der Ollen die Oogen
zuzudrücken. Das sollte meiner sind, den würde ich springen
lassen. Ick sage Ihnen . . ."

"Da kommen sie schon", unterbrach sie die lange Budi¬
kerin; "aber da ist ja doch eene Frau, das ist wohl die
Schwiejertochter?"

"Ih Jott bewahre! die reiche Frau wird doch nich so'n
Kattunfummel tragen."

Man machte ehrerbietigst Platz. Der Sarg wurde auf
den Wagen geschoben und der Zug setzte sich langsam in Be¬
wegung. In der Kutsche saßen Timpe, der Altgeselle und
seine Schwester. Spiller, Wiesel und der Lehrling hatten die
Plätze in der Droschke eingenommen.

"Sie haben Recht gehabt", sagte die Dicke zu der dritten
Sprecherin, als sie mit ihr über den Damm schritt, "es ist
da etwas nicht janz richtig, oder die Jnädige hat ihre
Mijräne und ihr Mann muß sie aufwarten. Das ließe sich
meiner nicht bieten, det kann ick Ihnen sagen."

Mit diesen Worten verschwand sie, während ihre Be¬
gleiterin von der Budikerfrau zurückgehalten wurde. Unter
einen Thorweg stehend vertieften sie sich in ein längeres Ge¬
spräch, dessen Thema nicht schwer zu errathen war, wenn man
beobachtete, wie die dürren Finger der langen Frau gleich
einem Wegweiser die Richtung nach Timpe's Haus nahmen.

Der Schnee fiel noch immer dicht und gleichmäßig vom
Himmel und verwischte nach und nach die Spuren des
Leichenwagens und seines Gefolges. . . .


nummirt mit ihrem Jungen. Ih, da war jarniſcht jut jenug
... und jetzt kommt er nich' mal, um der Ollen die Oogen
zuzudrücken. Das ſollte meiner ſind, den würde ich ſpringen
laſſen. Ick ſage Ihnen . . .“

„Da kommen ſie ſchon“, unterbrach ſie die lange Budi¬
kerin; „aber da iſt ja doch eene Frau, das iſt wohl die
Schwiejertochter?“

„Ih Jott bewahre! die reiche Frau wird doch nich ſo'n
Kattunfummel tragen.“

Man machte ehrerbietigſt Platz. Der Sarg wurde auf
den Wagen geſchoben und der Zug ſetzte ſich langſam in Be¬
wegung. In der Kutſche ſaßen Timpe, der Altgeſelle und
ſeine Schweſter. Spiller, Wieſel und der Lehrling hatten die
Plätze in der Droſchke eingenommen.

„Sie haben Recht gehabt“, ſagte die Dicke zu der dritten
Sprecherin, als ſie mit ihr über den Damm ſchritt, „es iſt
da etwas nicht janz richtig, oder die Jnädige hat ihre
Mijräne und ihr Mann muß ſie aufwarten. Das ließe ſich
meiner nicht bieten, det kann ick Ihnen ſagen.“

Mit dieſen Worten verſchwand ſie, während ihre Be¬
gleiterin von der Budikerfrau zurückgehalten wurde. Unter
einen Thorweg ſtehend vertieften ſie ſich in ein längeres Ge¬
ſpräch, deſſen Thema nicht ſchwer zu errathen war, wenn man
beobachtete, wie die dürren Finger der langen Frau gleich
einem Wegweiſer die Richtung nach Timpe's Haus nahmen.

Der Schnee fiel noch immer dicht und gleichmäßig vom
Himmel und verwiſchte nach und nach die Spuren des
Leichenwagens und ſeines Gefolges. . . .


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[252/0264] nummirt mit ihrem Jungen. Ih, da war jarniſcht jut jenug ... und jetzt kommt er nich' mal, um der Ollen die Oogen zuzudrücken. Das ſollte meiner ſind, den würde ich ſpringen laſſen. Ick ſage Ihnen . . .“ „Da kommen ſie ſchon“, unterbrach ſie die lange Budi¬ kerin; „aber da iſt ja doch eene Frau, das iſt wohl die Schwiejertochter?“ „Ih Jott bewahre! die reiche Frau wird doch nich ſo'n Kattunfummel tragen.“ Man machte ehrerbietigſt Platz. Der Sarg wurde auf den Wagen geſchoben und der Zug ſetzte ſich langſam in Be¬ wegung. In der Kutſche ſaßen Timpe, der Altgeſelle und ſeine Schweſter. Spiller, Wieſel und der Lehrling hatten die Plätze in der Droſchke eingenommen. „Sie haben Recht gehabt“, ſagte die Dicke zu der dritten Sprecherin, als ſie mit ihr über den Damm ſchritt, „es iſt da etwas nicht janz richtig, oder die Jnädige hat ihre Mijräne und ihr Mann muß ſie aufwarten. Das ließe ſich meiner nicht bieten, det kann ick Ihnen ſagen.“ Mit dieſen Worten verſchwand ſie, während ihre Be¬ gleiterin von der Budikerfrau zurückgehalten wurde. Unter einen Thorweg ſtehend vertieften ſie ſich in ein längeres Ge¬ ſpräch, deſſen Thema nicht ſchwer zu errathen war, wenn man beobachtete, wie die dürren Finger der langen Frau gleich einem Wegweiſer die Richtung nach Timpe's Haus nahmen. Der Schnee fiel noch immer dicht und gleichmäßig vom Himmel und verwiſchte nach und nach die Spuren des Leichenwagens und ſeines Gefolges. . . .

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/264>, abgerufen am 29.03.2024.