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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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deutscher Dichter je vor ihm begonnen: kein deutscher Vers ist vor¬
bereitet, sich zum Ausdruck eines solchen Inhalts zu erheben. Aber
Newyork und die Rolle des Beschauenden reizt ihn nicht länger.
Sein Gedicht ist: daß er unverzüglich zu reisen beschließt.

In diesem Augenblick erlosch die beleuchtete Villa auf New-
Jersey, welche bisher der Augenpunkt unsers nächtlichen Träumers
gewesen.

Moorfeld stutzte.

Dann aber blickte er am Himmel aus -- ob nicht das Licht des
Morgenroths anbräche. -- --

Am Tage fand ihn Jack -- das Bett unberührt -- im Fauteuil
eingeschlafen.


Achtes Kapitel.

Moorfeld behielt von der Trunkenheit seiner gestrigen Nacht-Phan¬
tasien am ernüchternden Tageslichte noch so viel Bewußtsein, daß er
sich heute mindestens vornahm, den neuen Freund über sein Project
auszuholen. Denn das sagte er sich nach dem Ausglühen jenes dich¬
terisch angeschürten Traumzustandes, daß es noch sehr die Frage sei,
ob Benthal seine Stellung in Newyork überhaupt so hoffnungsdürftig,
wie er selbst, betrachte, und die Stadt mit dem Urwald auch willig
werde vertauschen wollen. Enthielt sich Moorfeld aller Ueberredung
und versprach er gewissenhaft, wie es solche Fälle heischen, eher zu
wenig als zu viel, so erstaunte er jetzt, daß er dem werthen Genossen
eigentlich nicht mehr zu bieten hatte, als etwa einen freien Platz im
Schiffe; Gunst oder Ungunst der Fahrt blieb immer noch das Wag¬
niß des Andern. Freilich hielt er sich vor, daß ein tüchtiger Mann
größere Unterstützungsmittel sich kaum bieten ließe, und daß das Selbst¬
gefühl des Thatkräftigen nicht mehr verlange, als der Grieche in seinem
dos moi pou sto,*) oder Archimedes in jenem Punkt außer der Erde,

*) Gib mir, worauf ich fuße.

deutſcher Dichter je vor ihm begonnen: kein deutſcher Vers iſt vor¬
bereitet, ſich zum Ausdruck eines ſolchen Inhalts zu erheben. Aber
Newyork und die Rolle des Beſchauenden reizt ihn nicht länger.
Sein Gedicht iſt: daß er unverzüglich zu reiſen beſchließt.

In dieſem Augenblick erloſch die beleuchtete Villa auf New-
Jerſey, welche bisher der Augenpunkt unſers nächtlichen Träumers
geweſen.

Moorfeld ſtutzte.

Dann aber blickte er am Himmel aus — ob nicht das Licht des
Morgenroths anbräche. — —

Am Tage fand ihn Jack — das Bett unberührt — im Fauteuil
eingeſchlafen.


Achtes Kapitel.

Moorfeld behielt von der Trunkenheit ſeiner geſtrigen Nacht-Phan¬
taſien am ernüchternden Tageslichte noch ſo viel Bewußtſein, daß er
ſich heute mindeſtens vornahm, den neuen Freund über ſein Project
auszuholen. Denn das ſagte er ſich nach dem Ausglühen jenes dich¬
teriſch angeſchürten Traumzuſtandes, daß es noch ſehr die Frage ſei,
ob Benthal ſeine Stellung in Newyork überhaupt ſo hoffnungsdürftig,
wie er ſelbſt, betrachte, und die Stadt mit dem Urwald auch willig
werde vertauſchen wollen. Enthielt ſich Moorfeld aller Ueberredung
und verſprach er gewiſſenhaft, wie es ſolche Fälle heiſchen, eher zu
wenig als zu viel, ſo erſtaunte er jetzt, daß er dem werthen Genoſſen
eigentlich nicht mehr zu bieten hatte, als etwa einen freien Platz im
Schiffe; Gunſt oder Ungunſt der Fahrt blieb immer noch das Wag¬
niß des Andern. Freilich hielt er ſich vor, daß ein tüchtiger Mann
größere Unterſtützungsmittel ſich kaum bieten ließe, und daß das Selbſt¬
gefühl des Thatkräftigen nicht mehr verlange, als der Grieche in ſeinem
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[154/0172] deutſcher Dichter je vor ihm begonnen: kein deutſcher Vers iſt vor¬ bereitet, ſich zum Ausdruck eines ſolchen Inhalts zu erheben. Aber Newyork und die Rolle des Beſchauenden reizt ihn nicht länger. Sein Gedicht iſt: daß er unverzüglich zu reiſen beſchließt. In dieſem Augenblick erloſch die beleuchtete Villa auf New- Jerſey, welche bisher der Augenpunkt unſers nächtlichen Träumers geweſen. Moorfeld ſtutzte. Dann aber blickte er am Himmel aus — ob nicht das Licht des Morgenroths anbräche. — — Am Tage fand ihn Jack — das Bett unberührt — im Fauteuil eingeſchlafen. Achtes Kapitel. Moorfeld behielt von der Trunkenheit ſeiner geſtrigen Nacht-Phan¬ taſien am ernüchternden Tageslichte noch ſo viel Bewußtſein, daß er ſich heute mindeſtens vornahm, den neuen Freund über ſein Project auszuholen. Denn das ſagte er ſich nach dem Ausglühen jenes dich¬ teriſch angeſchürten Traumzuſtandes, daß es noch ſehr die Frage ſei, ob Benthal ſeine Stellung in Newyork überhaupt ſo hoffnungsdürftig, wie er ſelbſt, betrachte, und die Stadt mit dem Urwald auch willig werde vertauſchen wollen. Enthielt ſich Moorfeld aller Ueberredung und verſprach er gewiſſenhaft, wie es ſolche Fälle heiſchen, eher zu wenig als zu viel, ſo erſtaunte er jetzt, daß er dem werthen Genoſſen eigentlich nicht mehr zu bieten hatte, als etwa einen freien Platz im Schiffe; Gunſt oder Ungunſt der Fahrt blieb immer noch das Wag¬ niß des Andern. Freilich hielt er ſich vor, daß ein tüchtiger Mann größere Unterſtützungsmittel ſich kaum bieten ließe, und daß das Selbſt¬ gefühl des Thatkräftigen nicht mehr verlange, als der Grieche in ſeinem δος μοι ποῦ στω, *) oder Archimedes in jenem Punkt außer der Erde, *) Gib mir, worauf ich fuße.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/172>, abgerufen am 28.03.2024.