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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Zweites Kapitel.

Daß unser Held vierundzwanzig Stunden nach diesem Briefe seinen
Grundbesitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke
nicht im mindesten noch. Der wichtigste Moment, der eigentliche Ziel-
und Mittelpunkt seiner amerikanischen Reise überraschte ihn so -- wie die
flüchtigste Episode eines Wandertags, ja, fast wie ein Stein des An¬
stoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus seinen Briefen
erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es
unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unser Freund edel
genug dachte, dieses Umstands mit keiner Sylbe zu erwähnen, so
würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬
müthsfärbung nicht beitragen, sondern die geschichtliche Thatsache selbst
wesentlich entformen.

Moorfeld ritt also von Pittsburg die schönen Ufer des Ohio
hinab. Als er die Gränze Pennsylvaniens bei Beaver erreichte, las
er in einem Localblatte dieser Stadt daß in einem benachbarten Orte,
der aber schon dem Staate Ohio angehörte und sich sehr großartig
Neu-Lissabon nannte, eine Landauction oder sogenannter Sheriff
sale
abgehalten würde. Um sich eine solche Scene "einstweilen",
wie er dachte, mit anzusehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬
thale des Ohio sein Pferd ab und begab sich landeinwärts auf die
Straße nach New-Lisbon. Bald verschwanden die Höhen des Ohio
mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter seinem Rücken und das
Land fing an, in niedrig gestreckten Hügelwellen sich abzuflachen. An
die Stelle des Eichwuchses traten Weiden, Pappeln und Cypressen,
welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht
auch ungesund war. Dazwischen lagen wie Inseln und Halbinseln
dürre Sandstriche, die ihre sterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬
waldungen ausdrückten. Die Gegend war einsam und nichts verrieth
die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte

Zweites Kapitel.

Daß unſer Held vierundzwanzig Stunden nach dieſem Briefe ſeinen
Grundbeſitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke
nicht im mindeſten noch. Der wichtigſte Moment, der eigentliche Ziel-
und Mittelpunkt ſeiner amerikaniſchen Reiſe überraſchte ihn ſo — wie die
flüchtigſte Epiſode eines Wandertags, ja, faſt wie ein Stein des An¬
ſtoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus ſeinen Briefen
erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es
unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unſer Freund edel
genug dachte, dieſes Umſtands mit keiner Sylbe zu erwähnen, ſo
würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬
müthsfärbung nicht beitragen, ſondern die geſchichtliche Thatſache ſelbſt
weſentlich entformen.

Moorfeld ritt alſo von Pittsburg die ſchönen Ufer des Ohio
hinab. Als er die Gränze Pennſylvaniens bei Beaver erreichte, las
er in einem Localblatte dieſer Stadt daß in einem benachbarten Orte,
der aber ſchon dem Staate Ohio angehörte und ſich ſehr großartig
Neu-Liſſabon nannte, eine Landauction oder ſogenannter Sheriff
ſale
abgehalten würde. Um ſich eine ſolche Scene „einſtweilen“,
wie er dachte, mit anzuſehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬
thale des Ohio ſein Pferd ab und begab ſich landeinwärts auf die
Straße nach New-Lisbon. Bald verſchwanden die Höhen des Ohio
mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter ſeinem Rücken und das
Land fing an, in niedrig geſtreckten Hügelwellen ſich abzuflachen. An
die Stelle des Eichwuchſes traten Weiden, Pappeln und Cypreſſen,
welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht
auch ungeſund war. Dazwiſchen lagen wie Inſeln und Halbinſeln
dürre Sandſtriche, die ihre ſterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬
waldungen ausdrückten. Die Gegend war einſam und nichts verrieth
die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte

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[300/0318] Zweites Kapitel. Daß unſer Held vierundzwanzig Stunden nach dieſem Briefe ſeinen Grundbeſitz erworben haben würde, ahnte ihm in jenem Augenblicke nicht im mindeſten noch. Der wichtigſte Moment, der eigentliche Ziel- und Mittelpunkt ſeiner amerikaniſchen Reiſe überraſchte ihn ſo — wie die flüchtigſte Epiſode eines Wandertags, ja, faſt wie ein Stein des An¬ ſtoßes am Wege. Wir könnten das Ereigniß wieder aus ſeinen Briefen erzählen, haben aber Grund es diesmal nicht zu thun. Denn da es unmittelbar ein Act der Großmuth war, und unſer Freund edel genug dachte, dieſes Umſtands mit keiner Sylbe zu erwähnen, ſo würde der Briefton nicht nur zur Wiedergabe der eigentlichen Ge¬ müthsfärbung nicht beitragen, ſondern die geſchichtliche Thatſache ſelbſt weſentlich entformen. Moorfeld ritt alſo von Pittsburg die ſchönen Ufer des Ohio hinab. Als er die Gränze Pennſylvaniens bei Beaver erreichte, las er in einem Localblatte dieſer Stadt daß in einem benachbarten Orte, der aber ſchon dem Staate Ohio angehörte und ſich ſehr großartig Neu-Liſſabon nannte, eine Landauction oder ſogenannter Sheriff ſale abgehalten würde. Um ſich eine ſolche Scene „einſtweilen“, wie er dachte, mit anzuſehen, wandte er nun in Beaver vom Flu߬ thale des Ohio ſein Pferd ab und begab ſich landeinwärts auf die Straße nach New-Lisbon. Bald verſchwanden die Höhen des Ohio mit ihren laubreichen Eichwaldungen hinter ſeinem Rücken und das Land fing an, in niedrig geſtreckten Hügelwellen ſich abzuflachen. An die Stelle des Eichwuchſes traten Weiden, Pappeln und Cypreſſen, welche einen Sumpfboden bewaldeten, der vielleicht fruchtbar, vielleicht auch ungeſund war. Dazwiſchen lagen wie Inſeln und Halbinſeln dürre Sandſtriche, die ihre ſterile Natur in traurig-eintönigen Fichten¬ waldungen ausdrückten. Die Gegend war einſam und nichts verrieth die Nähe einer Stadt. Im halbgelichteten Walddunkel erblickte

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/318>, abgerufen am 28.03.2024.