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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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im tiefsten Stillschweigen abzieht, -- Gras wächst über die Stätte und
ihrer wird nicht mehr gedacht.

Dies waren Moorfeld's Betrachtungen, als er den häßlichen Ort
langsam durchritt. Er gelangte auf einen freien Platz in der Mitte
desselben und fand einiges Leben hier. Eine hölzerne Bude, welche
sich City-Hall nannte, aber vielmehr einem Wagenschuppen glich, war
von oben bis unten mit ellenlangen Placaten von Buntpapier beklebt,
während Fahnen und Standarten in allen Farben auf langen Stangen
in der Luft flatterten; er sah den Schauplatz der Landauction. Diesem
Hause gegenüber stand ein gothisches Unding, die Kathedrale von
Neu-Lissabon. An jedem andern Orte hätte das barbarische Machwerk
die Sinne beleidigt, in der Umgebung der elendesten und schmutzigsten
Hütten aber machte es immer noch Staat. Der Raum zwischen diesen
beiden öffentlichen Gebäuden, welcher je nach Umständen eine Pfütze
oder eine Staubwüste war, in beiden Gestalten aber der Square von
Neu-Lissabon hieß, diente jetzt einer Menge von Zeltwagen, Markt¬
buden und sonstiger fahrender Zigeunerhabe zum Standorte; es war
das Feldlager von Zuzüglern, welche die Landauction aus näherer
oder fernerer Umgebung herbeigelockt hatte. Ein speculirender Irländer
hatte diese Gelegenheit benutzt, Geschäfte in ein paar Fässern Fusel
zu machen, welchen er von seinem Karren herab für mint julep
ausrief; ein fliegender Buchhändler neben ihm verkaufte den Himmel
in beliebiger Auswahl, nämlich Tractätlein aller möglichen Glaubens¬
bekenntnisse. Das gläubige und ungläubige Publikum tractirte sich aber
mit mehr Vorliebe in einer Trinkstube, auf welche Moorfeld erst auf¬
merksam wurde, als er sich überhaupt um Publikum umsah und ver¬
hältnißmäßig wenig am Platze fand. Er entdeckte bei dieser Gelegen¬
heit noch ein drittes öffentliches Gebäude, nämlich ein Croceryshop
mit einem Wirthshaus verbunden und zwar dicht am gothischen Dome,
dem es zur Seite stand, wie ein Ministrant seinem Priester. Der
Kramladen mochte einst besser in die Augen gefallen sein, als nämlich
die Farben der colorirten Lithographien an seinem Schaufenster noch
greller erglänzten. Moorfeld musterte diese Lithographien und fand
bunt nebeneinander den Alpenübergang Napoleon's, Mrs. Siddons
als Lady Macbeth, das Rennpferd Eclipse, einen Faustkampf zwischen
John Bull und Bruder Jonathan, die Rückkehr des Geliebten, Roth¬

im tiefſten Stillſchweigen abzieht, — Gras wächst über die Stätte und
ihrer wird nicht mehr gedacht.

Dies waren Moorfeld's Betrachtungen, als er den häßlichen Ort
langſam durchritt. Er gelangte auf einen freien Platz in der Mitte
deſſelben und fand einiges Leben hier. Eine hölzerne Bude, welche
ſich City-Hall nannte, aber vielmehr einem Wagenſchuppen glich, war
von oben bis unten mit ellenlangen Placaten von Buntpapier beklebt,
während Fahnen und Standarten in allen Farben auf langen Stangen
in der Luft flatterten; er ſah den Schauplatz der Landauction. Dieſem
Hauſe gegenüber ſtand ein gothiſches Unding, die Kathedrale von
Neu-Liſſabon. An jedem andern Orte hätte das barbariſche Machwerk
die Sinne beleidigt, in der Umgebung der elendeſten und ſchmutzigſten
Hütten aber machte es immer noch Staat. Der Raum zwiſchen dieſen
beiden öffentlichen Gebäuden, welcher je nach Umſtänden eine Pfütze
oder eine Staubwüſte war, in beiden Geſtalten aber der Square von
Neu-Liſſabon hieß, diente jetzt einer Menge von Zeltwagen, Markt¬
buden und ſonſtiger fahrender Zigeunerhabe zum Standorte; es war
das Feldlager von Zuzüglern, welche die Landauction aus näherer
oder fernerer Umgebung herbeigelockt hatte. Ein ſpeculirender Irländer
hatte dieſe Gelegenheit benutzt, Geſchäfte in ein paar Fäſſern Fuſel
zu machen, welchen er von ſeinem Karren herab für mint julep
ausrief; ein fliegender Buchhändler neben ihm verkaufte den Himmel
in beliebiger Auswahl, nämlich Tractätlein aller möglichen Glaubens¬
bekenntniſſe. Das gläubige und ungläubige Publikum tractirte ſich aber
mit mehr Vorliebe in einer Trinkſtube, auf welche Moorfeld erſt auf¬
merkſam wurde, als er ſich überhaupt um Publikum umſah und ver¬
hältnißmäßig wenig am Platze fand. Er entdeckte bei dieſer Gelegen¬
heit noch ein drittes öffentliches Gebäude, nämlich ein Croceryſhop
mit einem Wirthshaus verbunden und zwar dicht am gothiſchen Dome,
dem es zur Seite ſtand, wie ein Miniſtrant ſeinem Prieſter. Der
Kramladen mochte einſt beſſer in die Augen gefallen ſein, als nämlich
die Farben der colorirten Lithographien an ſeinem Schaufenſter noch
greller erglänzten. Moorfeld muſterte dieſe Lithographien und fand
bunt nebeneinander den Alpenübergang Napoleon's, Mrs. Siddons
als Lady Macbeth, das Rennpferd Eclipſe, einen Fauſtkampf zwiſchen
John Bull und Bruder Jonathan, die Rückkehr des Geliebten, Roth¬

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[302/0320] im tiefſten Stillſchweigen abzieht, — Gras wächst über die Stätte und ihrer wird nicht mehr gedacht. Dies waren Moorfeld's Betrachtungen, als er den häßlichen Ort langſam durchritt. Er gelangte auf einen freien Platz in der Mitte deſſelben und fand einiges Leben hier. Eine hölzerne Bude, welche ſich City-Hall nannte, aber vielmehr einem Wagenſchuppen glich, war von oben bis unten mit ellenlangen Placaten von Buntpapier beklebt, während Fahnen und Standarten in allen Farben auf langen Stangen in der Luft flatterten; er ſah den Schauplatz der Landauction. Dieſem Hauſe gegenüber ſtand ein gothiſches Unding, die Kathedrale von Neu-Liſſabon. An jedem andern Orte hätte das barbariſche Machwerk die Sinne beleidigt, in der Umgebung der elendeſten und ſchmutzigſten Hütten aber machte es immer noch Staat. Der Raum zwiſchen dieſen beiden öffentlichen Gebäuden, welcher je nach Umſtänden eine Pfütze oder eine Staubwüſte war, in beiden Geſtalten aber der Square von Neu-Liſſabon hieß, diente jetzt einer Menge von Zeltwagen, Markt¬ buden und ſonſtiger fahrender Zigeunerhabe zum Standorte; es war das Feldlager von Zuzüglern, welche die Landauction aus näherer oder fernerer Umgebung herbeigelockt hatte. Ein ſpeculirender Irländer hatte dieſe Gelegenheit benutzt, Geſchäfte in ein paar Fäſſern Fuſel zu machen, welchen er von ſeinem Karren herab für mint julep ausrief; ein fliegender Buchhändler neben ihm verkaufte den Himmel in beliebiger Auswahl, nämlich Tractätlein aller möglichen Glaubens¬ bekenntniſſe. Das gläubige und ungläubige Publikum tractirte ſich aber mit mehr Vorliebe in einer Trinkſtube, auf welche Moorfeld erſt auf¬ merkſam wurde, als er ſich überhaupt um Publikum umſah und ver¬ hältnißmäßig wenig am Platze fand. Er entdeckte bei dieſer Gelegen¬ heit noch ein drittes öffentliches Gebäude, nämlich ein Croceryſhop mit einem Wirthshaus verbunden und zwar dicht am gothiſchen Dome, dem es zur Seite ſtand, wie ein Miniſtrant ſeinem Prieſter. Der Kramladen mochte einſt beſſer in die Augen gefallen ſein, als nämlich die Farben der colorirten Lithographien an ſeinem Schaufenſter noch greller erglänzten. Moorfeld muſterte dieſe Lithographien und fand bunt nebeneinander den Alpenübergang Napoleon's, Mrs. Siddons als Lady Macbeth, das Rennpferd Eclipſe, einen Fauſtkampf zwiſchen John Bull und Bruder Jonathan, die Rückkehr des Geliebten, Roth¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/320>, abgerufen am 25.04.2024.