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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Viertes Kapitel.

Wir werden nicht erwartet haben, daß die Stimmung, in welcher
Moorfeld den ersten Blockhaus-Morgen erblickt, und die wir zu An¬
fang des Vorigen zu berichten hatten, die bleibende seines neuen Le¬
bens geworden. Wir haben sie gewiß nur als eine Krisis erkannt,
welche den Wechsel der Gewohnheiten mit Naturnotwendigkeit be¬
gleitet. Diese Krisis ging um so rascher vorüber, je heftiger sie sich
eingestellt. Es ist am dritten Tage und wir finden Moorfeld's
Gemüth wieder im Gleichgewichte. Die Schauder der Fremde haben
sich gemildert, die Liebe zum Eigenthum ist erwacht. Moorfeld fing
an, seinem Boden entgegen zu kommen. Lag er auch nicht im schönen
Ohio- oder Miami-Thale oder am waldreichen Gestade des majestäti¬
schen Erie-Sees, so hätte eine reizvollere Außenseite leicht auch als
ein Werkzeug der Landspeculation dienen können, um mancherlei innere
Schäden damit zu vergolden, wogegen die umsichtigste Auswahl zu¬
weilen nicht schützt. Moorfeld's blinder Griff aber -- Alles in
Allem -- war kein verfehlter. Erst indem er sein Land mit eigenen
Augen sah, indem er das Geschäft des Ankaufes ratificirte und die be¬
treffenden Documente eines näheren als flüchtigen Zuschauerblicks wür¬
digte, ging ihm der Begriff des Geschehenen in einem befriedigenden
Bilde auf. John Stutering's sogenanntes "Loos" war ein Complex
von zwei "Sectionen" d. h. eine Bodenfläche von tausend achthundert
zwanzig Acres. Das ungefähr war eine der größten Realitäten, welche
zu dem gleichen Preise erreichbar. Dieser Boden bestand, wenn nicht
aus einer romantischen, doch nützlichen Mischung von Wald und Prairie
und war, wie Baum- und Graswuchs zeigte, im Ganzen betrachtet,
vortrefflich. So kam es, daß Kenner -- unparteiische, oder vielmehr
eifersüchtige -- den Erwerb des neuen Gentleman-Farmers leicht auf
den doppelten und dreifachen Werth schätzten, wozu besonders politische

D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 22
Viertes Kapitel.

Wir werden nicht erwartet haben, daß die Stimmung, in welcher
Moorfeld den erſten Blockhaus-Morgen erblickt, und die wir zu An¬
fang des Vorigen zu berichten hatten, die bleibende ſeines neuen Le¬
bens geworden. Wir haben ſie gewiß nur als eine Kriſis erkannt,
welche den Wechſel der Gewohnheiten mit Naturnotwendigkeit be¬
gleitet. Dieſe Kriſis ging um ſo raſcher vorüber, je heftiger ſie ſich
eingeſtellt. Es iſt am dritten Tage und wir finden Moorfeld's
Gemüth wieder im Gleichgewichte. Die Schauder der Fremde haben
ſich gemildert, die Liebe zum Eigenthum iſt erwacht. Moorfeld fing
an, ſeinem Boden entgegen zu kommen. Lag er auch nicht im ſchönen
Ohio- oder Miami-Thale oder am waldreichen Geſtade des majeſtäti¬
ſchen Erie-Sees, ſo hätte eine reizvollere Außenſeite leicht auch als
ein Werkzeug der Landſpeculation dienen können, um mancherlei innere
Schäden damit zu vergolden, wogegen die umſichtigſte Auswahl zu¬
weilen nicht ſchützt. Moorfeld's blinder Griff aber — Alles in
Allem — war kein verfehlter. Erſt indem er ſein Land mit eigenen
Augen ſah, indem er das Geſchäft des Ankaufes ratificirte und die be¬
treffenden Documente eines näheren als flüchtigen Zuſchauerblicks wür¬
digte, ging ihm der Begriff des Geſchehenen in einem befriedigenden
Bilde auf. John Stutering's ſogenanntes „Loos“ war ein Complex
von zwei „Sectionen“ d. h. eine Bodenfläche von tauſend achthundert
zwanzig Acres. Das ungefähr war eine der größten Realitäten, welche
zu dem gleichen Preiſe erreichbar. Dieſer Boden beſtand, wenn nicht
aus einer romantiſchen, doch nützlichen Miſchung von Wald und Prairie
und war, wie Baum- und Graswuchs zeigte, im Ganzen betrachtet,
vortrefflich. So kam es, daß Kenner — unparteiiſche, oder vielmehr
eiferſüchtige — den Erwerb des neuen Gentleman-Farmers leicht auf
den doppelten und dreifachen Werth ſchätzten, wozu beſonders politiſche

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[325/0343] Viertes Kapitel. Wir werden nicht erwartet haben, daß die Stimmung, in welcher Moorfeld den erſten Blockhaus-Morgen erblickt, und die wir zu An¬ fang des Vorigen zu berichten hatten, die bleibende ſeines neuen Le¬ bens geworden. Wir haben ſie gewiß nur als eine Kriſis erkannt, welche den Wechſel der Gewohnheiten mit Naturnotwendigkeit be¬ gleitet. Dieſe Kriſis ging um ſo raſcher vorüber, je heftiger ſie ſich eingeſtellt. Es iſt am dritten Tage und wir finden Moorfeld's Gemüth wieder im Gleichgewichte. Die Schauder der Fremde haben ſich gemildert, die Liebe zum Eigenthum iſt erwacht. Moorfeld fing an, ſeinem Boden entgegen zu kommen. Lag er auch nicht im ſchönen Ohio- oder Miami-Thale oder am waldreichen Geſtade des majeſtäti¬ ſchen Erie-Sees, ſo hätte eine reizvollere Außenſeite leicht auch als ein Werkzeug der Landſpeculation dienen können, um mancherlei innere Schäden damit zu vergolden, wogegen die umſichtigſte Auswahl zu¬ weilen nicht ſchützt. Moorfeld's blinder Griff aber — Alles in Allem — war kein verfehlter. Erſt indem er ſein Land mit eigenen Augen ſah, indem er das Geſchäft des Ankaufes ratificirte und die be¬ treffenden Documente eines näheren als flüchtigen Zuſchauerblicks wür¬ digte, ging ihm der Begriff des Geſchehenen in einem befriedigenden Bilde auf. John Stutering's ſogenanntes „Loos“ war ein Complex von zwei „Sectionen“ d. h. eine Bodenfläche von tauſend achthundert zwanzig Acres. Das ungefähr war eine der größten Realitäten, welche zu dem gleichen Preiſe erreichbar. Dieſer Boden beſtand, wenn nicht aus einer romantiſchen, doch nützlichen Miſchung von Wald und Prairie und war, wie Baum- und Graswuchs zeigte, im Ganzen betrachtet, vortrefflich. So kam es, daß Kenner — unparteiiſche, oder vielmehr eiferſüchtige — den Erwerb des neuen Gentleman-Farmers leicht auf den doppelten und dreifachen Werth ſchätzten, wozu beſonders politiſche D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 22

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/343>, abgerufen am 19.04.2024.