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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Köpfe noch den Umstand rechneten, daß in dieser Gegend der Ohio¬
strom sich auf die geringste Entfernung dem Erie-See nähere, ein
Canal-Durchstich über kurz oder lang hier seine Unternehmer finden
und die Bodenpreise wohl auf das Zehnfache bringen könne. Mochten
nun solche Conjecturen werth sein so viel sie wollten, und auch hier
die allgemeine Sitte wirken, daß, wenn ein Kauf erst realisirt ist,
Alles umher von den beneidenswerthen aber versäumten Vortheilen
desselben spricht: genug, Moorfeld hatte wenigstens keinen Mißgriff
gethan. Die Raschheit seines Herzens war nicht zugleich ökonomische
Uebereilung.

Diese Raschheit des Herzens lieh dem Ankaufe Moorfeld's übrigens
doch auch einigen Werth. Und konnten wir gleich nicht so prompt,
als Moralisten vielleicht erwarteten, mit dem Geständniß herausrücken,
daß "das Bewußtsein einer guten That" ihn für sein Grundstück mit
jener Selbstverliebtheit eingenommen, welche gewisse Menschen als
"Lohn der Tugend" in Cours bringen möchten: so fing dieses Be¬
wußtsein doch an, freundlich nachzuwirken, nachdem die Abstoßungskraft
des ersten Eindrucks der Natur ihren Tribut gezollt. Moorfeld hatte
die Genugthuung, das, was noch Liebhaberei an seinem Unter¬
nehmen gewesen, die Auswahl der landschaftlichen Lage, einem reinen
realen Bedürfniß geopfert zu haben. Damit war das letzte Moment
des Gefühligen von seinem Unternehmen abgestreift, damit erst war
es ganz That. Und da vor Geistern seines Rangs die That über¬
haupt gut ist, so fühlte er diese gute That jetzt, wenn nicht mit der
Süßigkeit des Tugendphilisters, doch wie einen frischen stählernen
Luftstrom, der all seine Nerven ausheiterte. Er war im Fahrwasser
der Unternehmungslust.

Zwar die eigentlichen Geschäfte der Besitzergreifung, die Pläne und
Arbeiten der Colonisation, konnten jetzt noch nicht beginnen; Anhorst
machte seine Marktfahrt und Benthal war noch nicht da. Moorfeld
fand sich vorläufig auf Ferien gesetzt. Aber als ein guter Wirth,
der zum Ernste seines Haushalts entschlossen ist, wollte er diese
Ferien nicht ungenützt verpassen. Was einem Manne, der zu existiren
gedenkt, außer seinem eigenen Schwerpunkte das Wichtigste sein muß,
das ist seine Umgebung. Moorfeld verlegte sich zum Erstlings-Anfang
auf die Kenntniß seiner Nachbarschaft.

Köpfe noch den Umſtand rechneten, daß in dieſer Gegend der Ohio¬
ſtrom ſich auf die geringſte Entfernung dem Erie-See nähere, ein
Canal-Durchſtich über kurz oder lang hier ſeine Unternehmer finden
und die Bodenpreiſe wohl auf das Zehnfache bringen könne. Mochten
nun ſolche Conjecturen werth ſein ſo viel ſie wollten, und auch hier
die allgemeine Sitte wirken, daß, wenn ein Kauf erſt realiſirt iſt,
Alles umher von den beneidenswerthen aber verſäumten Vortheilen
deſſelben ſpricht: genug, Moorfeld hatte wenigſtens keinen Mißgriff
gethan. Die Raſchheit ſeines Herzens war nicht zugleich ökonomiſche
Uebereilung.

Dieſe Raſchheit des Herzens lieh dem Ankaufe Moorfeld's übrigens
doch auch einigen Werth. Und konnten wir gleich nicht ſo prompt,
als Moraliſten vielleicht erwarteten, mit dem Geſtändniß herausrücken,
daß „das Bewußtſein einer guten That“ ihn für ſein Grundſtück mit
jener Selbſtverliebtheit eingenommen, welche gewiſſe Menſchen als
„Lohn der Tugend“ in Cours bringen möchten: ſo fing dieſes Be¬
wußtſein doch an, freundlich nachzuwirken, nachdem die Abſtoßungskraft
des erſten Eindrucks der Natur ihren Tribut gezollt. Moorfeld hatte
die Genugthuung, das, was noch Liebhaberei an ſeinem Unter¬
nehmen geweſen, die Auswahl der landſchaftlichen Lage, einem reinen
realen Bedürfniß geopfert zu haben. Damit war das letzte Moment
des Gefühligen von ſeinem Unternehmen abgeſtreift, damit erſt war
es ganz That. Und da vor Geiſtern ſeines Rangs die That über¬
haupt gut iſt, ſo fühlte er dieſe gute That jetzt, wenn nicht mit der
Süßigkeit des Tugendphiliſters, doch wie einen friſchen ſtählernen
Luftſtrom, der all ſeine Nerven ausheiterte. Er war im Fahrwaſſer
der Unternehmungsluſt.

Zwar die eigentlichen Geſchäfte der Beſitzergreifung, die Pläne und
Arbeiten der Coloniſation, konnten jetzt noch nicht beginnen; Anhorſt
machte ſeine Marktfahrt und Benthal war noch nicht da. Moorfeld
fand ſich vorläufig auf Ferien geſetzt. Aber als ein guter Wirth,
der zum Ernſte ſeines Haushalts entſchloſſen iſt, wollte er dieſe
Ferien nicht ungenützt verpaſſen. Was einem Manne, der zu exiſtiren
gedenkt, außer ſeinem eigenen Schwerpunkte das Wichtigſte ſein muß,
das iſt ſeine Umgebung. Moorfeld verlegte ſich zum Erſtlings-Anfang
auf die Kenntniß ſeiner Nachbarſchaft.

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[326/0344] Köpfe noch den Umſtand rechneten, daß in dieſer Gegend der Ohio¬ ſtrom ſich auf die geringſte Entfernung dem Erie-See nähere, ein Canal-Durchſtich über kurz oder lang hier ſeine Unternehmer finden und die Bodenpreiſe wohl auf das Zehnfache bringen könne. Mochten nun ſolche Conjecturen werth ſein ſo viel ſie wollten, und auch hier die allgemeine Sitte wirken, daß, wenn ein Kauf erſt realiſirt iſt, Alles umher von den beneidenswerthen aber verſäumten Vortheilen deſſelben ſpricht: genug, Moorfeld hatte wenigſtens keinen Mißgriff gethan. Die Raſchheit ſeines Herzens war nicht zugleich ökonomiſche Uebereilung. Dieſe Raſchheit des Herzens lieh dem Ankaufe Moorfeld's übrigens doch auch einigen Werth. Und konnten wir gleich nicht ſo prompt, als Moraliſten vielleicht erwarteten, mit dem Geſtändniß herausrücken, daß „das Bewußtſein einer guten That“ ihn für ſein Grundſtück mit jener Selbſtverliebtheit eingenommen, welche gewiſſe Menſchen als „Lohn der Tugend“ in Cours bringen möchten: ſo fing dieſes Be¬ wußtſein doch an, freundlich nachzuwirken, nachdem die Abſtoßungskraft des erſten Eindrucks der Natur ihren Tribut gezollt. Moorfeld hatte die Genugthuung, das, was noch Liebhaberei an ſeinem Unter¬ nehmen geweſen, die Auswahl der landſchaftlichen Lage, einem reinen realen Bedürfniß geopfert zu haben. Damit war das letzte Moment des Gefühligen von ſeinem Unternehmen abgeſtreift, damit erſt war es ganz That. Und da vor Geiſtern ſeines Rangs die That über¬ haupt gut iſt, ſo fühlte er dieſe gute That jetzt, wenn nicht mit der Süßigkeit des Tugendphiliſters, doch wie einen friſchen ſtählernen Luftſtrom, der all ſeine Nerven ausheiterte. Er war im Fahrwaſſer der Unternehmungsluſt. Zwar die eigentlichen Geſchäfte der Beſitzergreifung, die Pläne und Arbeiten der Coloniſation, konnten jetzt noch nicht beginnen; Anhorſt machte ſeine Marktfahrt und Benthal war noch nicht da. Moorfeld fand ſich vorläufig auf Ferien geſetzt. Aber als ein guter Wirth, der zum Ernſte ſeines Haushalts entſchloſſen iſt, wollte er dieſe Ferien nicht ungenützt verpaſſen. Was einem Manne, der zu exiſtiren gedenkt, außer ſeinem eigenen Schwerpunkte das Wichtigſte ſein muß, das iſt ſeine Umgebung. Moorfeld verlegte ſich zum Erſtlings-Anfang auf die Kenntniß ſeiner Nachbarſchaft.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/344>, abgerufen am 28.03.2024.