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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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ausschließlichen Behandlung des Doctor Althof anheimstellte. So
vergingen die ersten Stunden und Tage im Hause des Doctor Althof
zu Gadshill, dem unmittelbaren Schauplatze nach jener traurigen Ka¬
tastrophe, unter einem fortwährenden Sturme von Aufregungen, die
Alles verwirrten, Meinungskämpfen, die Niemanden belehrten, Sorgen,
die sich selbst im Wege standen, Thätigkeiten, die ohne Frucht blieben,
und Moorfeld war nahe daran, das zweite Opfer zu werden. In sei¬
nen brennendsten Energien ohne Nutzen und Einfluß, von dem eige¬
nen Triebe der Selbsterhaltung dunkel gemahnt, daß sein erschüttertes
Nervenleben die Gefahr nur theilen, nicht aufheben könne, ergab er sich
zuletzt in den Gedanken, einen Menschenkreis zu verlassen, in welchem
das ungestümste Herz das unfruchtbarste war. Er nahm dem Doctor
Althof sein Manneswort ab, vor seiner Zurückkunft Annetten nicht
nach Columbus zu schicken, dann ritt er aus, um von dem schweren
Unglücksschlage zunächst sich selbst zu erhohlen.

An sein Haus konnte er nicht denken. Die öde Waldhütte, des
Schottländers dumpfe Gesellschaft waren doppelt unheimlich in diesen
Augenblicken. Eben so war ihm die gesellige Nähe anderer Menschen¬
wohnungen verleidet. Die Natur in ihrer wilden Schönheit und
Unschuld, die unberührten Reize verschwiegener Einsamkeiten hatten
vielleicht allein das Wort, -- eines jener einfachen, ewigen Worte hier
auszusprechen, an denen das Menschenherz zu allen Zeiten gesundet.
Moorfeld folgte diesem Zuge.

Er dachte an die Schönheit der "Seen". Erie -- Huron --
Michigan -- Saginaw -- Makinaw -- St. Clair -- St. Marie --
das waren die Namen, welche damals von den Thauperlen sehnsüchti¬
ger Einbildungskraft glänzten. Jene wunderbaren Binnenmeere, mit
ihren durchsichtigen, christallhellen Gewässern, mit ihren undurchforschten
Labyrinthen friedensseliger Eilande, mit ihrem dichtbelaubten Kranze
länderbedeckender Wälder, jene duftigen Grenzbezirke der Menschheit,
an welchen der seltene Reisende damals ankam, wie Alexander an den
Thoren des Paradieses, -- ihre Kunde erscholl in den Regionen der
Civilisation mit einem Zauberklange, den das Gemüth tief in sich auf¬
nahm, in die Wünsche und Träume der inneren Welt leise mitklingen
ließ, den frecheren Geräuschen der zudringlichen Gegenwart vielleicht
unterordnete, aber brach der rechte Augenblick an, dann stieg das trost¬

ausſchließlichen Behandlung des Doctor Althof anheimſtellte. So
vergingen die erſten Stunden und Tage im Hauſe des Doctor Althof
zu Gadshill, dem unmittelbaren Schauplatze nach jener traurigen Ka¬
taſtrophe, unter einem fortwährenden Sturme von Aufregungen, die
Alles verwirrten, Meinungskämpfen, die Niemanden belehrten, Sorgen,
die ſich ſelbſt im Wege ſtanden, Thätigkeiten, die ohne Frucht blieben,
und Moorfeld war nahe daran, das zweite Opfer zu werden. In ſei¬
nen brennendſten Energien ohne Nutzen und Einfluß, von dem eige¬
nen Triebe der Selbſterhaltung dunkel gemahnt, daß ſein erſchüttertes
Nervenleben die Gefahr nur theilen, nicht aufheben könne, ergab er ſich
zuletzt in den Gedanken, einen Menſchenkreis zu verlaſſen, in welchem
das ungeſtümſte Herz das unfruchtbarſte war. Er nahm dem Doctor
Althof ſein Manneswort ab, vor ſeiner Zurückkunft Annetten nicht
nach Columbus zu ſchicken, dann ritt er aus, um von dem ſchweren
Unglücksſchlage zunächſt ſich ſelbſt zu erhohlen.

An ſein Haus konnte er nicht denken. Die öde Waldhütte, des
Schottländers dumpfe Geſellſchaft waren doppelt unheimlich in dieſen
Augenblicken. Eben ſo war ihm die geſellige Nähe anderer Menſchen¬
wohnungen verleidet. Die Natur in ihrer wilden Schönheit und
Unſchuld, die unberührten Reize verſchwiegener Einſamkeiten hatten
vielleicht allein das Wort, — eines jener einfachen, ewigen Worte hier
auszuſprechen, an denen das Menſchenherz zu allen Zeiten geſundet.
Moorfeld folgte dieſem Zuge.

Er dachte an die Schönheit der „Seen“. Erie — Huron —
Michigan — Saginaw — Makinaw — St. Clair — St. Marie —
das waren die Namen, welche damals von den Thauperlen ſehnſüchti¬
ger Einbildungskraft glänzten. Jene wunderbaren Binnenmeere, mit
ihren durchſichtigen, chriſtallhellen Gewäſſern, mit ihren undurchforſchten
Labyrinthen friedensſeliger Eilande, mit ihrem dichtbelaubten Kranze
länderbedeckender Wälder, jene duftigen Grenzbezirke der Menſchheit,
an welchen der ſeltene Reiſende damals ankam, wie Alexander an den
Thoren des Paradieſes, — ihre Kunde erſcholl in den Regionen der
Civiliſation mit einem Zauberklange, den das Gemüth tief in ſich auf¬
nahm, in die Wünſche und Träume der inneren Welt leiſe mitklingen
ließ, den frecheren Geräuſchen der zudringlichen Gegenwart vielleicht
unterordnete, aber brach der rechte Augenblick an, dann ſtieg das troſt¬

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[397/0415] ausſchließlichen Behandlung des Doctor Althof anheimſtellte. So vergingen die erſten Stunden und Tage im Hauſe des Doctor Althof zu Gadshill, dem unmittelbaren Schauplatze nach jener traurigen Ka¬ taſtrophe, unter einem fortwährenden Sturme von Aufregungen, die Alles verwirrten, Meinungskämpfen, die Niemanden belehrten, Sorgen, die ſich ſelbſt im Wege ſtanden, Thätigkeiten, die ohne Frucht blieben, und Moorfeld war nahe daran, das zweite Opfer zu werden. In ſei¬ nen brennendſten Energien ohne Nutzen und Einfluß, von dem eige¬ nen Triebe der Selbſterhaltung dunkel gemahnt, daß ſein erſchüttertes Nervenleben die Gefahr nur theilen, nicht aufheben könne, ergab er ſich zuletzt in den Gedanken, einen Menſchenkreis zu verlaſſen, in welchem das ungeſtümſte Herz das unfruchtbarſte war. Er nahm dem Doctor Althof ſein Manneswort ab, vor ſeiner Zurückkunft Annetten nicht nach Columbus zu ſchicken, dann ritt er aus, um von dem ſchweren Unglücksſchlage zunächſt ſich ſelbſt zu erhohlen. An ſein Haus konnte er nicht denken. Die öde Waldhütte, des Schottländers dumpfe Geſellſchaft waren doppelt unheimlich in dieſen Augenblicken. Eben ſo war ihm die geſellige Nähe anderer Menſchen¬ wohnungen verleidet. Die Natur in ihrer wilden Schönheit und Unſchuld, die unberührten Reize verſchwiegener Einſamkeiten hatten vielleicht allein das Wort, — eines jener einfachen, ewigen Worte hier auszuſprechen, an denen das Menſchenherz zu allen Zeiten geſundet. Moorfeld folgte dieſem Zuge. Er dachte an die Schönheit der „Seen“. Erie — Huron — Michigan — Saginaw — Makinaw — St. Clair — St. Marie — das waren die Namen, welche damals von den Thauperlen ſehnſüchti¬ ger Einbildungskraft glänzten. Jene wunderbaren Binnenmeere, mit ihren durchſichtigen, chriſtallhellen Gewäſſern, mit ihren undurchforſchten Labyrinthen friedensſeliger Eilande, mit ihrem dichtbelaubten Kranze länderbedeckender Wälder, jene duftigen Grenzbezirke der Menſchheit, an welchen der ſeltene Reiſende damals ankam, wie Alexander an den Thoren des Paradieſes, — ihre Kunde erſcholl in den Regionen der Civiliſation mit einem Zauberklange, den das Gemüth tief in ſich auf¬ nahm, in die Wünſche und Träume der inneren Welt leiſe mitklingen ließ, den frecheren Geräuſchen der zudringlichen Gegenwart vielleicht unterordnete, aber brach der rechte Augenblick an, dann ſtieg das troſt¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/415>, abgerufen am 23.04.2024.