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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Das Mädchen blickte aufmerksam auf.

Moorfeld faßte die Kleine unter's Kinn: wahrhaftig, meine Möwe
hat mich vergessen?

Die "Möwe" wirkte. Malwine machte schnell eine entgegenkom¬
mende Bewegung, rief aber unwillkürlich dazu: Ach, Sie sehen so blaß!

Wirst du? zürnte Frau v. Milden, indeß Moorfeld einen erschrocke¬
nen Blick nach dem Spiegel warf. Sie hat Recht, sagte er seuf¬
zend, damals kam ich auch von Europa und heute nur -- von Ohio! --

Frau v. Milden aber lenkte ab, indem sie ihrem Gaste mit der
Frage entgegenkam: Ich werde vermuthen dürfen, daß ich die Ehre
Ihres Besuches Herrn Benthal verdanke? Ich bin bereit, Bestellungen
an ihn nach Kräften zu besorgen.

Er lebt also?! rief, oder vielmehr jauchzte Moorfeld auf.

Die Hausfrau blickte verwundert: Ging zu irgend einer Zeit ein
Gerücht seines Todes?

Moorfeld schüttet sein ganzes Herz über seinen gestrigen Besuch in
Kleindeutschland aus.

Frau v. Milden sieht mit einem fast mütterlichen Blicke in das
verstörte Antlitz des armen Leidenden. Sie "ist glücklich", sagt sie,
so "lebhaft empfundene Sorgen" verscheuchen zu können.

Moorfeld athmet leichter. So müssen doch nicht alle Schreckens¬
träume in Erfüllung gehen!

Indem sich aber sein Antlitz jetzt aufheitert, vermißt er den gleich¬
gestimmten Ton bei Frau v. Milden. Er hat in seiner Freude ein
scharfes Auge dafür, daß diese Freude nicht getheilt wird. Er glaubt
zu fühlen, die Frau athmet nicht die reine Atmosphäre, die sie selbst
über ihn verbreitet hat. Es fehlt etwas zwischen ihm und ihr, gleichsam
ein Medium, eine Voraussetzung. Selbst ihre Züge, bedünkt es ihm
bald, haben seit drei Monaten Vieles gelitten. Er wollte das Wort,
das ihm Malwinens Kindes-Naivetät entgegengetragen, leicht wieder
zurückgeben können. --

Die Hausfrau nimmt mit ihrem Gaste Platz. Sie richtet Fragen
höflicher Theilnahme über seinen Ohio-Ausflug an Moorfeld. Unser
Freund antwortet in demselben Tone. Er erzählt vor Allem die Ge¬
schichte seines ärgerlichen oder wunderlichen Prozesses mit dem Räuber
Wogan, indem er annimmt, daß er mit diesem Bericht eigentlich vor

Das Mädchen blickte aufmerkſam auf.

Moorfeld faßte die Kleine unter's Kinn: wahrhaftig, meine Möwe
hat mich vergeſſen?

Die „Möwe“ wirkte. Malwine machte ſchnell eine entgegenkom¬
mende Bewegung, rief aber unwillkürlich dazu: Ach, Sie ſehen ſo blaß!

Wirſt du? zürnte Frau v. Milden, indeß Moorfeld einen erſchrocke¬
nen Blick nach dem Spiegel warf. Sie hat Recht, ſagte er ſeuf¬
zend, damals kam ich auch von Europa und heute nur — von Ohio! —

Frau v. Milden aber lenkte ab, indem ſie ihrem Gaſte mit der
Frage entgegenkam: Ich werde vermuthen dürfen, daß ich die Ehre
Ihres Beſuches Herrn Benthal verdanke? Ich bin bereit, Beſtellungen
an ihn nach Kräften zu beſorgen.

Er lebt alſo?! rief, oder vielmehr jauchzte Moorfeld auf.

Die Hausfrau blickte verwundert: Ging zu irgend einer Zeit ein
Gerücht ſeines Todes?

Moorfeld ſchüttet ſein ganzes Herz über ſeinen geſtrigen Beſuch in
Kleindeutſchland aus.

Frau v. Milden ſieht mit einem faſt mütterlichen Blicke in das
verſtörte Antlitz des armen Leidenden. Sie „iſt glücklich“, ſagt ſie,
ſo „lebhaft empfundene Sorgen“ verſcheuchen zu können.

Moorfeld athmet leichter. So müſſen doch nicht alle Schreckens¬
träume in Erfüllung gehen!

Indem ſich aber ſein Antlitz jetzt aufheitert, vermißt er den gleich¬
geſtimmten Ton bei Frau v. Milden. Er hat in ſeiner Freude ein
ſcharfes Auge dafür, daß dieſe Freude nicht getheilt wird. Er glaubt
zu fühlen, die Frau athmet nicht die reine Atmoſphäre, die ſie ſelbſt
über ihn verbreitet hat. Es fehlt etwas zwiſchen ihm und ihr, gleichſam
ein Medium, eine Vorausſetzung. Selbſt ihre Züge, bedünkt es ihm
bald, haben ſeit drei Monaten Vieles gelitten. Er wollte das Wort,
das ihm Malwinens Kindes-Naivetät entgegengetragen, leicht wieder
zurückgeben können. —

Die Hausfrau nimmt mit ihrem Gaſte Platz. Sie richtet Fragen
höflicher Theilnahme über ſeinen Ohio-Ausflug an Moorfeld. Unſer
Freund antwortet in demſelben Tone. Er erzählt vor Allem die Ge¬
ſchichte ſeines ärgerlichen oder wunderlichen Prozeſſes mit dem Räuber
Wogan, indem er annimmt, daß er mit dieſem Bericht eigentlich vor

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[458/0476] Das Mädchen blickte aufmerkſam auf. Moorfeld faßte die Kleine unter's Kinn: wahrhaftig, meine Möwe hat mich vergeſſen? Die „Möwe“ wirkte. Malwine machte ſchnell eine entgegenkom¬ mende Bewegung, rief aber unwillkürlich dazu: Ach, Sie ſehen ſo blaß! Wirſt du? zürnte Frau v. Milden, indeß Moorfeld einen erſchrocke¬ nen Blick nach dem Spiegel warf. Sie hat Recht, ſagte er ſeuf¬ zend, damals kam ich auch von Europa und heute nur — von Ohio! — Frau v. Milden aber lenkte ab, indem ſie ihrem Gaſte mit der Frage entgegenkam: Ich werde vermuthen dürfen, daß ich die Ehre Ihres Beſuches Herrn Benthal verdanke? Ich bin bereit, Beſtellungen an ihn nach Kräften zu beſorgen. Er lebt alſo?! rief, oder vielmehr jauchzte Moorfeld auf. Die Hausfrau blickte verwundert: Ging zu irgend einer Zeit ein Gerücht ſeines Todes? Moorfeld ſchüttet ſein ganzes Herz über ſeinen geſtrigen Beſuch in Kleindeutſchland aus. Frau v. Milden ſieht mit einem faſt mütterlichen Blicke in das verſtörte Antlitz des armen Leidenden. Sie „iſt glücklich“, ſagt ſie, ſo „lebhaft empfundene Sorgen“ verſcheuchen zu können. Moorfeld athmet leichter. So müſſen doch nicht alle Schreckens¬ träume in Erfüllung gehen! Indem ſich aber ſein Antlitz jetzt aufheitert, vermißt er den gleich¬ geſtimmten Ton bei Frau v. Milden. Er hat in ſeiner Freude ein ſcharfes Auge dafür, daß dieſe Freude nicht getheilt wird. Er glaubt zu fühlen, die Frau athmet nicht die reine Atmoſphäre, die ſie ſelbſt über ihn verbreitet hat. Es fehlt etwas zwiſchen ihm und ihr, gleichſam ein Medium, eine Vorausſetzung. Selbſt ihre Züge, bedünkt es ihm bald, haben ſeit drei Monaten Vieles gelitten. Er wollte das Wort, das ihm Malwinens Kindes-Naivetät entgegengetragen, leicht wieder zurückgeben können. — Die Hausfrau nimmt mit ihrem Gaſte Platz. Sie richtet Fragen höflicher Theilnahme über ſeinen Ohio-Ausflug an Moorfeld. Unſer Freund antwortet in demſelben Tone. Er erzählt vor Allem die Ge¬ ſchichte ſeines ärgerlichen oder wunderlichen Prozeſſes mit dem Räuber Wogan, indem er annimmt, daß er mit dieſem Bericht eigentlich vor

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/476>, abgerufen am 19.04.2024.