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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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selbst wieder erscheine. Ich setze nämlich voraus, verehrtester Freund,
daß Sie selbst wenigstens ganz und voll mit meiner neuen Richtung
einverstanden sind. Von den Frauen bin ich das leider nicht gewiß.
Ich will eben nicht sagen, daß sie Murmelquellen- und Strohdach-
Schwärmereien wären; nein! Frau von Milden denkt viel zu ver¬
nünftig für ein solches Genre von Poesie. Aber zuletzt ist sie doch
nur Frau, und Frauen sind für das Mittlere, Bürgerliche. Was an's
Ungeheure, an's Million-Große geht, das scheint ihnen wieder so un¬
praktisch und schwindelhaft wie die Murmelquelle. Mit Ihnen ist's
anders, das bin ich überzeugt. Ja, Ihr Reisejournal selbst ist's, auf
das ich mich berufen darf. Was Sie über die Verrottung der Deut¬
schen in Pennsylvanien gesagt haben, glauben Sie, das wird man
ewig zu sagen haben. Von der Idee sind wir wohl Beide zurückge¬
kommen, das Deutschthum auf den Pflug zu gründen. Sie sehen,
wie's geht damit. Tausende von Bauern, Tausende von Handwerkern
können wir in's Land werfen, und sie werden immer eine Seitenstel¬
lung einnehmen. Ein einziger Bankdirector, ein einziger Großhand¬
lungs-Chef aus unserem Volke ist ein stärkerer Keil unserer Macht
als Massen von nützlichen, aber verachteten Heloten. Nicht Härings-
Schwärme sind die Gebieter des Meeres: der Leviathan ist's. O diese
Yankees! Wir müssen sie in ihrer höchsten, heiligsten Citadelle be¬
schleichen: in ihrer Börse. Dort, wo das Fett und Mark der Natio¬
nen ausgekocht wird, dort müssen wir mitkochen. Ein Quadratfuß an
diesem Heerde ist mehr werth, als eine halbe Million Acres in Mis¬
souri. Ja, so Gott will -- ich sinne Manches! Ich will diese Yankees
-- ein Cäsar in der Wallstreet -- aber kommen Sie -- ich mache
schon wieder Aufsehen. Noch trauen sie mir nicht ganz -- Instinkt
mindestens hat das Vieh, wenn gleich nicht Vernunft. --

Das war nun einer jener häufigen Fälle! So glaubt ein Mensch
wohlgerüstet ins Gespräch mit einem anderen zu gehen, hat Alles
vorausgenommen, was vorauszunehmen war, und im Momente betritt
ihn dann doch das Neue, Unvorgesehene, und mit Ueberraschung ent¬
deckt er das Allernatürlichste: daß ein Einziges sich nie wahrhaft als
ein Zweites zu setzen vermag. Vor diesem Benthal erröthete Moor¬
feld bei sich, wie rasch ihn die Verwandtschaft zwischen Dichter und
Frauen in die nervöse Furcht des Lorettohäuschens mit hingerissen.

ſelbſt wieder erſcheine. Ich ſetze nämlich voraus, verehrteſter Freund,
daß Sie ſelbſt wenigſtens ganz und voll mit meiner neuen Richtung
einverſtanden ſind. Von den Frauen bin ich das leider nicht gewiß.
Ich will eben nicht ſagen, daß ſie Murmelquellen- und Strohdach-
Schwärmereien wären; nein! Frau von Milden denkt viel zu ver¬
nünftig für ein ſolches Genre von Poeſie. Aber zuletzt iſt ſie doch
nur Frau, und Frauen ſind für das Mittlere, Bürgerliche. Was an's
Ungeheure, an's Million-Große geht, das ſcheint ihnen wieder ſo un¬
praktiſch und ſchwindelhaft wie die Murmelquelle. Mit Ihnen iſt's
anders, das bin ich überzeugt. Ja, Ihr Reiſejournal ſelbſt iſt's, auf
das ich mich berufen darf. Was Sie über die Verrottung der Deut¬
ſchen in Pennſylvanien geſagt haben, glauben Sie, das wird man
ewig zu ſagen haben. Von der Idee ſind wir wohl Beide zurückge¬
kommen, das Deutſchthum auf den Pflug zu gründen. Sie ſehen,
wie's geht damit. Tauſende von Bauern, Tauſende von Handwerkern
können wir in's Land werfen, und ſie werden immer eine Seitenſtel¬
lung einnehmen. Ein einziger Bankdirector, ein einziger Großhand¬
lungs-Chef aus unſerem Volke iſt ein ſtärkerer Keil unſerer Macht
als Maſſen von nützlichen, aber verachteten Heloten. Nicht Härings-
Schwärme ſind die Gebieter des Meeres: der Leviathan iſt's. O dieſe
Yankees! Wir müſſen ſie in ihrer höchſten, heiligſten Citadelle be¬
ſchleichen: in ihrer Börſe. Dort, wo das Fett und Mark der Natio¬
nen ausgekocht wird, dort müſſen wir mitkochen. Ein Quadratfuß an
dieſem Heerde iſt mehr werth, als eine halbe Million Acres in Miſ¬
ſouri. Ja, ſo Gott will — ich ſinne Manches! Ich will dieſe Yankees
— ein Cäſar in der Wallſtreet — aber kommen Sie — ich mache
ſchon wieder Aufſehen. Noch trauen ſie mir nicht ganz — Inſtinkt
mindeſtens hat das Vieh, wenn gleich nicht Vernunft. —

Das war nun einer jener häufigen Fälle! So glaubt ein Menſch
wohlgerüſtet ins Geſpräch mit einem anderen zu gehen, hat Alles
vorausgenommen, was vorauszunehmen war, und im Momente betritt
ihn dann doch das Neue, Unvorgeſehene, und mit Ueberraſchung ent¬
deckt er das Allernatürlichſte: daß ein Einziges ſich nie wahrhaft als
ein Zweites zu ſetzen vermag. Vor dieſem Benthal erröthete Moor¬
feld bei ſich, wie raſch ihn die Verwandtſchaft zwiſchen Dichter und
Frauen in die nervöſe Furcht des Lorettohäuschens mit hingeriſſen.

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[479/0497] ſelbſt wieder erſcheine. Ich ſetze nämlich voraus, verehrteſter Freund, daß Sie ſelbſt wenigſtens ganz und voll mit meiner neuen Richtung einverſtanden ſind. Von den Frauen bin ich das leider nicht gewiß. Ich will eben nicht ſagen, daß ſie Murmelquellen- und Strohdach- Schwärmereien wären; nein! Frau von Milden denkt viel zu ver¬ nünftig für ein ſolches Genre von Poeſie. Aber zuletzt iſt ſie doch nur Frau, und Frauen ſind für das Mittlere, Bürgerliche. Was an's Ungeheure, an's Million-Große geht, das ſcheint ihnen wieder ſo un¬ praktiſch und ſchwindelhaft wie die Murmelquelle. Mit Ihnen iſt's anders, das bin ich überzeugt. Ja, Ihr Reiſejournal ſelbſt iſt's, auf das ich mich berufen darf. Was Sie über die Verrottung der Deut¬ ſchen in Pennſylvanien geſagt haben, glauben Sie, das wird man ewig zu ſagen haben. Von der Idee ſind wir wohl Beide zurückge¬ kommen, das Deutſchthum auf den Pflug zu gründen. Sie ſehen, wie's geht damit. Tauſende von Bauern, Tauſende von Handwerkern können wir in's Land werfen, und ſie werden immer eine Seitenſtel¬ lung einnehmen. Ein einziger Bankdirector, ein einziger Großhand¬ lungs-Chef aus unſerem Volke iſt ein ſtärkerer Keil unſerer Macht als Maſſen von nützlichen, aber verachteten Heloten. Nicht Härings- Schwärme ſind die Gebieter des Meeres: der Leviathan iſt's. O dieſe Yankees! Wir müſſen ſie in ihrer höchſten, heiligſten Citadelle be¬ ſchleichen: in ihrer Börſe. Dort, wo das Fett und Mark der Natio¬ nen ausgekocht wird, dort müſſen wir mitkochen. Ein Quadratfuß an dieſem Heerde iſt mehr werth, als eine halbe Million Acres in Miſ¬ ſouri. Ja, ſo Gott will — ich ſinne Manches! Ich will dieſe Yankees — ein Cäſar in der Wallſtreet — aber kommen Sie — ich mache ſchon wieder Aufſehen. Noch trauen ſie mir nicht ganz — Inſtinkt mindeſtens hat das Vieh, wenn gleich nicht Vernunft. — Das war nun einer jener häufigen Fälle! So glaubt ein Menſch wohlgerüſtet ins Geſpräch mit einem anderen zu gehen, hat Alles vorausgenommen, was vorauszunehmen war, und im Momente betritt ihn dann doch das Neue, Unvorgeſehene, und mit Ueberraſchung ent¬ deckt er das Allernatürlichſte: daß ein Einziges ſich nie wahrhaft als ein Zweites zu ſetzen vermag. Vor dieſem Benthal erröthete Moor¬ feld bei ſich, wie raſch ihn die Verwandtſchaft zwiſchen Dichter und Frauen in die nervöſe Furcht des Lorettohäuschens mit hingeriſſen.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/497>, abgerufen am 25.04.2024.