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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Er verplauderte noch eine Weile mit dem alten Wiedergefundenen,
den er immer mehr von Neuem erkannte, wen n auch in kühneren Linien
und weiterem Zirkel, gleichsam das Ideal seiner selbst. Es war ein
Gesprächsgang im höchsten Style, und Moorfeld mochte selbst die
freundschaftliche Smollis-Buße des vergessenen Du auf eine Stunde
vertagen, die mehr vertraulich als geschwungen war.

Tief befriedigt kehrte er nach Hause.

Des andern Tages war unser junger Europäer sicher der unruhigste
Gast, der in seinem Boardinghouse an der Tafel des zweiten Früh¬
stücks oder sogenannten "Lunch" saß. Nach Aufhebung des Lunch schlug
die legitime Stunde der Morgenvisiten. Der Wagen nach Frau
v. Milden's Wohnung war schon früher bestellt. Hundertmal zog
Moorfeld die Uhr, mit ungeduldigen Blicken sah er dem Messer des
schwarzen Vorschneiders zu, der dir verschiedenen Rumsteaks, Cote¬
letts u. s. w. in all jene unzähligen Atome zerfällte, in welchen sie
den Gästen dargereicht wurden. Da öffnete sich die Thüre und ein
Mensch, dessen Aeußeres, wie gewöhnlich durch nichts seine Function be¬
zeichnete, überreichte den Damen des Hauses, einem jungfräulichen
Schwesterpaar von mystischen Jahren, welches der Tafel präsidirte,
eine Karte. An einer hämischen Bemerkung, welche die herbstlichen
Fräuleins sich zuflüsterten, bemerkte Moorfeld, daß es eine Verlobungs¬
karte war. Hat die auch noch einen Mann bekommen! klang der
christliche Spott der welken Lippen, indeß die dürren Finger mit
äußerster Geringschätzung die Karte von sich schnellten. Das Blatt
flog Moorfeld fast in den Teller. Unwillkürlich fiel ihm die Schrift
ins Auge. Er las:

Mr. Theodor Benthal
Engineer and Surveyor
with
Mss.
Sarah Staunton.


Er verplauderte noch eine Weile mit dem alten Wiedergefundenen,
den er immer mehr von Neuem erkannte, wen n auch in kühneren Linien
und weiterem Zirkel, gleichſam das Ideal ſeiner ſelbſt. Es war ein
Geſprächsgang im höchſten Style, und Moorfeld mochte ſelbſt die
freundſchaftliche Smollis-Buße des vergeſſenen Du auf eine Stunde
vertagen, die mehr vertraulich als geſchwungen war.

Tief befriedigt kehrte er nach Hauſe.

Des andern Tages war unſer junger Europäer ſicher der unruhigſte
Gaſt, der in ſeinem Boardinghouſe an der Tafel des zweiten Früh¬
ſtücks oder ſogenannten „Lunch“ ſaß. Nach Aufhebung des Lunch ſchlug
die legitime Stunde der Morgenviſiten. Der Wagen nach Frau
v. Milden's Wohnung war ſchon früher beſtellt. Hundertmal zog
Moorfeld die Uhr, mit ungeduldigen Blicken ſah er dem Meſſer des
ſchwarzen Vorſchneiders zu, der dir verſchiedenen Rumſteaks, Cote¬
letts u. ſ. w. in all jene unzähligen Atome zerfällte, in welchen ſie
den Gäſten dargereicht wurden. Da öffnete ſich die Thüre und ein
Menſch, deſſen Aeußeres, wie gewöhnlich durch nichts ſeine Function be¬
zeichnete, überreichte den Damen des Hauſes, einem jungfräulichen
Schweſterpaar von myſtiſchen Jahren, welches der Tafel präſidirte,
eine Karte. An einer hämiſchen Bemerkung, welche die herbſtlichen
Fräuleins ſich zuflüſterten, bemerkte Moorfeld, daß es eine Verlobungs¬
karte war. Hat die auch noch einen Mann bekommen! klang der
chriſtliche Spott der welken Lippen, indeß die dürren Finger mit
äußerſter Geringſchätzung die Karte von ſich ſchnellten. Das Blatt
flog Moorfeld faſt in den Teller. Unwillkürlich fiel ihm die Schrift
ins Auge. Er las:

Mr. Theodor Benthal
Engineer and Surveyor
with
Mss.
Sarah Staunton.


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[480/0498] Er verplauderte noch eine Weile mit dem alten Wiedergefundenen, den er immer mehr von Neuem erkannte, wen n auch in kühneren Linien und weiterem Zirkel, gleichſam das Ideal ſeiner ſelbſt. Es war ein Geſprächsgang im höchſten Style, und Moorfeld mochte ſelbſt die freundſchaftliche Smollis-Buße des vergeſſenen Du auf eine Stunde vertagen, die mehr vertraulich als geſchwungen war. Tief befriedigt kehrte er nach Hauſe. Des andern Tages war unſer junger Europäer ſicher der unruhigſte Gaſt, der in ſeinem Boardinghouſe an der Tafel des zweiten Früh¬ ſtücks oder ſogenannten „Lunch“ ſaß. Nach Aufhebung des Lunch ſchlug die legitime Stunde der Morgenviſiten. Der Wagen nach Frau v. Milden's Wohnung war ſchon früher beſtellt. Hundertmal zog Moorfeld die Uhr, mit ungeduldigen Blicken ſah er dem Meſſer des ſchwarzen Vorſchneiders zu, der dir verſchiedenen Rumſteaks, Cote¬ letts u. ſ. w. in all jene unzähligen Atome zerfällte, in welchen ſie den Gäſten dargereicht wurden. Da öffnete ſich die Thüre und ein Menſch, deſſen Aeußeres, wie gewöhnlich durch nichts ſeine Function be¬ zeichnete, überreichte den Damen des Hauſes, einem jungfräulichen Schweſterpaar von myſtiſchen Jahren, welches der Tafel präſidirte, eine Karte. An einer hämiſchen Bemerkung, welche die herbſtlichen Fräuleins ſich zuflüſterten, bemerkte Moorfeld, daß es eine Verlobungs¬ karte war. Hat die auch noch einen Mann bekommen! klang der chriſtliche Spott der welken Lippen, indeß die dürren Finger mit äußerſter Geringſchätzung die Karte von ſich ſchnellten. Das Blatt flog Moorfeld faſt in den Teller. Unwillkürlich fiel ihm die Schrift ins Auge. Er las: Mr. Theodor Benthal Engineer and Surveyor with Mss. Sarah Staunton.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/498>, abgerufen am 29.03.2024.