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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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einer gewaltsamen Transaction Luft gemacht. Als der Verdauungs¬
kranke Abends zum Diner gerufen wurde, erbat er sich eine Tasse
Kamillenthee und ließ alle übrigen Genüsse Amerika's auf sich be¬
wenden.


Drittes Kapitel.

Ein prangender Morgen glänzte über die Welt. Spät aufwachend,
wunderte sich Moorfeld, daß der Lärm des Hafenlebens, das unmittel¬
bar unter seinen Fenstern lag, nicht längst ihn erweckt. Er trat an's
Fenster. Ja freilich! da lag Schiff an Schiff im Hudson -- alle
Flaggen aufgehißt, alle Räume grabähnlich stumm -- eine ganze
Flotte des fliegenden Holländers schien vor Anker. Es herrschte also
heute jenes Gespenst, das man in den puritanisch quäckerischen Landen
Sonntag nennt. Die Strömung des Flusses war die einzige Be¬
wegung in diesem Bilde der unheimlichsten Ruhe. -- Der Europäer
sann darüber nach, was mit einem solchen Tage der heiligen Lange¬
weile anzufangen sei. Sein Blick fiel auf seine Koffer, welche gestern
unberührt stehen geblieben. Damit war für's Erste gesorgt. Er stand
auf und fing an, sie auszupacken.

Das ist eine der sinnigsten Menschenarbeiten und jedenfalls das
harmloseste Sonntagsvergnügen in allen fünf Zonen auf beiden He¬
misphären. Die Bagatells, welche der kurzsichtige Sterbliche "leblose
Dinge" nennt, sind keineswegs so leblos, als es scheint: Stoff, Form
oder Farbe spricht auf irgend eine Weise zu irgend einem Sinne und
ein Widerschein geschichtlicher Erinnerungen spielt um die geringste
Einzelnheit. So gehen die Gegenstände mit einer sanften träume¬
rischen Muße durch die Hand, ja, es bleibt überhaupt unentschieden,
ob die Hand oder die Phantasie bei einer Arbeit dieser Art vorherrscht.
Leuchtet dazu ein blauer geräuschloser Tag zu hellen Fenstern in die
einsiedlerische Stube, so faßt sich das Ganze in eine gewisse Stimmung
zusammen, welche scheinbar mit Taschenspiegeln und Rasirmessern nichts
zu thun hat, aber nichts desto weniger da ist, und recht tief und le¬
bendig da sein kann.

einer gewaltſamen Transaction Luft gemacht. Als der Verdauungs¬
kranke Abends zum Diner gerufen wurde, erbat er ſich eine Taſſe
Kamillenthee und ließ alle übrigen Genüſſe Amerika's auf ſich be¬
wenden.


Drittes Kapitel.

Ein prangender Morgen glänzte über die Welt. Spät aufwachend,
wunderte ſich Moorfeld, daß der Lärm des Hafenlebens, das unmittel¬
bar unter ſeinen Fenſtern lag, nicht längſt ihn erweckt. Er trat an's
Fenſter. Ja freilich! da lag Schiff an Schiff im Hudſon — alle
Flaggen aufgehißt, alle Räume grabähnlich ſtumm — eine ganze
Flotte des fliegenden Holländers ſchien vor Anker. Es herrſchte alſo
heute jenes Geſpenſt, das man in den puritaniſch quäckeriſchen Landen
Sonntag nennt. Die Strömung des Fluſſes war die einzige Be¬
wegung in dieſem Bilde der unheimlichſten Ruhe. — Der Europäer
ſann darüber nach, was mit einem ſolchen Tage der heiligen Lange¬
weile anzufangen ſei. Sein Blick fiel auf ſeine Koffer, welche geſtern
unberührt ſtehen geblieben. Damit war für's Erſte geſorgt. Er ſtand
auf und fing an, ſie auszupacken.

Das iſt eine der ſinnigſten Menſchenarbeiten und jedenfalls das
harmloſeſte Sonntagsvergnügen in allen fünf Zonen auf beiden He¬
miſphären. Die Bagatells, welche der kurzſichtige Sterbliche „lebloſe
Dinge” nennt, ſind keineswegs ſo leblos, als es ſcheint: Stoff, Form
oder Farbe ſpricht auf irgend eine Weiſe zu irgend einem Sinne und
ein Widerſchein geſchichtlicher Erinnerungen ſpielt um die geringſte
Einzelnheit. So gehen die Gegenſtände mit einer ſanften träume¬
riſchen Muße durch die Hand, ja, es bleibt überhaupt unentſchieden,
ob die Hand oder die Phantaſie bei einer Arbeit dieſer Art vorherrſcht.
Leuchtet dazu ein blauer geräuſchloſer Tag zu hellen Fenſtern in die
einſiedleriſche Stube, ſo faßt ſich das Ganze in eine gewiſſe Stimmung
zuſammen, welche ſcheinbar mit Taſchenſpiegeln und Raſirmeſſern nichts
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[36/0054] einer gewaltſamen Transaction Luft gemacht. Als der Verdauungs¬ kranke Abends zum Diner gerufen wurde, erbat er ſich eine Taſſe Kamillenthee und ließ alle übrigen Genüſſe Amerika's auf ſich be¬ wenden. Drittes Kapitel. Ein prangender Morgen glänzte über die Welt. Spät aufwachend, wunderte ſich Moorfeld, daß der Lärm des Hafenlebens, das unmittel¬ bar unter ſeinen Fenſtern lag, nicht längſt ihn erweckt. Er trat an's Fenſter. Ja freilich! da lag Schiff an Schiff im Hudſon — alle Flaggen aufgehißt, alle Räume grabähnlich ſtumm — eine ganze Flotte des fliegenden Holländers ſchien vor Anker. Es herrſchte alſo heute jenes Geſpenſt, das man in den puritaniſch quäckeriſchen Landen Sonntag nennt. Die Strömung des Fluſſes war die einzige Be¬ wegung in dieſem Bilde der unheimlichſten Ruhe. — Der Europäer ſann darüber nach, was mit einem ſolchen Tage der heiligen Lange¬ weile anzufangen ſei. Sein Blick fiel auf ſeine Koffer, welche geſtern unberührt ſtehen geblieben. Damit war für's Erſte geſorgt. Er ſtand auf und fing an, ſie auszupacken. Das iſt eine der ſinnigſten Menſchenarbeiten und jedenfalls das harmloſeſte Sonntagsvergnügen in allen fünf Zonen auf beiden He¬ miſphären. Die Bagatells, welche der kurzſichtige Sterbliche „lebloſe Dinge” nennt, ſind keineswegs ſo leblos, als es ſcheint: Stoff, Form oder Farbe ſpricht auf irgend eine Weiſe zu irgend einem Sinne und ein Widerſchein geſchichtlicher Erinnerungen ſpielt um die geringſte Einzelnheit. So gehen die Gegenſtände mit einer ſanften träume¬ riſchen Muße durch die Hand, ja, es bleibt überhaupt unentſchieden, ob die Hand oder die Phantaſie bei einer Arbeit dieſer Art vorherrſcht. Leuchtet dazu ein blauer geräuſchloſer Tag zu hellen Fenſtern in die einſiedleriſche Stube, ſo faßt ſich das Ganze in eine gewiſſe Stimmung zuſammen, welche ſcheinbar mit Taſchenſpiegeln und Raſirmeſſern nichts zu thun hat, aber nichts deſto weniger da iſt, und recht tief und le¬ bendig da ſein kann.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/54>, abgerufen am 29.03.2024.