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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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führen, deutet an, springt ab, winkt in entfernteste Perspectiven, ohne
sich im Geringsten aufzuhalten, ob wir rasch genug das Entfernte
verbinden, bekümmert sich wenig um Verständniß, noch weniger um
Zierde. Der Poet macht ein paar Schaufelstiche in das campo vac¬
cino
seiner Gedanken, wir hören die Torso's klingen, sehen sie aber
nicht ausgraben. Sie bleiben liegen. Es ist ja Sonntag!

Und so vollbrachte der Europäer seinen ersten amerikanischen Sonntag.


Viertes Kapitel.

Wiederholen wir uns im Kurzen den gestrigen Gedankengang un¬
sers Freundes, so kam er zu dem Ziele: Amerika ist im Urwald; die
Großstädte der ganzen Erde sind einander familienähnlich. Und wie
die brausende Riesenorgel Newyork heute von Neuem ihre Werktags-
Register wieder spielen läßt, so winkt ihm über all dem betäubenden
Stadtgewühl jetzt das Friedensbild von Wald und Prairie. Wie eine
selige Luftspiegelung schwebt ihm das Bild zu Häupten, rein und
vernehmlich blickt's dem Erwachenden durch die Morgenfenster und
läßt Tags über nicht ab, mit wonnevollem Geflüster sein Gemüth zu
treiben und zu kräuseln. Das ist ja die Schönheit des genialen
Menschen vor dem beschränkten und kleinlichen: wenn dieser den Er¬
fahrungen gegenüber an Wärme verliert, so wirft sie jener auf neue
und immer wieder auf neue Theile und unter der Schneelocke noch
bricht ihm ein junges, glaubensfähiges Herz.

Moorfeld geht also heute lebendiger als je dem Gedanken seiner
Ansiedlung nach. Ob wir ihn deßwegen sogleich in die Schatten der
Urwälder verschwinden sehen -- überlassen wir das dem ehrlichen Ge¬
nerallandamt. Wir werden sehen. Begleiten wir ihn auf den Weg
dahin.

Das Generallandamt ist der Ort, wo Congreßland verkauft wird.
Käufer und Rathgeber der Käufer umschwärmen das Gebäude zu
allen Stunden des Tages; nie wird sein Inneres von Menschen leer,

führen, deutet an, ſpringt ab, winkt in entfernteſte Perſpectiven, ohne
ſich im Geringſten aufzuhalten, ob wir raſch genug das Entfernte
verbinden, bekümmert ſich wenig um Verſtändniß, noch weniger um
Zierde. Der Poet macht ein paar Schaufelſtiche in das campo vac¬
cino
ſeiner Gedanken, wir hören die Torſo's klingen, ſehen ſie aber
nicht ausgraben. Sie bleiben liegen. Es iſt ja Sonntag!

Und ſo vollbrachte der Europäer ſeinen erſten amerikaniſchen Sonntag.


Viertes Kapitel.

Wiederholen wir uns im Kurzen den geſtrigen Gedankengang un¬
ſers Freundes, ſo kam er zu dem Ziele: Amerika iſt im Urwald; die
Großſtädte der ganzen Erde ſind einander familienähnlich. Und wie
die brauſende Rieſenorgel Newyork heute von Neuem ihre Werktags-
Regiſter wieder ſpielen läßt, ſo winkt ihm über all dem betäubenden
Stadtgewühl jetzt das Friedensbild von Wald und Prairie. Wie eine
ſelige Luftſpiegelung ſchwebt ihm das Bild zu Häupten, rein und
vernehmlich blickt's dem Erwachenden durch die Morgenfenſter und
läßt Tags über nicht ab, mit wonnevollem Geflüſter ſein Gemüth zu
treiben und zu kräuſeln. Das iſt ja die Schönheit des genialen
Menſchen vor dem beſchränkten und kleinlichen: wenn dieſer den Er¬
fahrungen gegenüber an Wärme verliert, ſo wirft ſie jener auf neue
und immer wieder auf neue Theile und unter der Schneelocke noch
bricht ihm ein junges, glaubensfähiges Herz.

Moorfeld geht alſo heute lebendiger als je dem Gedanken ſeiner
Anſiedlung nach. Ob wir ihn deßwegen ſogleich in die Schatten der
Urwälder verſchwinden ſehen — überlaſſen wir das dem ehrlichen Ge¬
nerallandamt. Wir werden ſehen. Begleiten wir ihn auf den Weg
dahin.

Das Generallandamt iſt der Ort, wo Congreßland verkauft wird.
Käufer und Rathgeber der Käufer umſchwärmen das Gebäude zu
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[50/0068] führen, deutet an, ſpringt ab, winkt in entfernteſte Perſpectiven, ohne ſich im Geringſten aufzuhalten, ob wir raſch genug das Entfernte verbinden, bekümmert ſich wenig um Verſtändniß, noch weniger um Zierde. Der Poet macht ein paar Schaufelſtiche in das campo vac¬ cino ſeiner Gedanken, wir hören die Torſo's klingen, ſehen ſie aber nicht ausgraben. Sie bleiben liegen. Es iſt ja Sonntag! Und ſo vollbrachte der Europäer ſeinen erſten amerikaniſchen Sonntag. Viertes Kapitel. Wiederholen wir uns im Kurzen den geſtrigen Gedankengang un¬ ſers Freundes, ſo kam er zu dem Ziele: Amerika iſt im Urwald; die Großſtädte der ganzen Erde ſind einander familienähnlich. Und wie die brauſende Rieſenorgel Newyork heute von Neuem ihre Werktags- Regiſter wieder ſpielen läßt, ſo winkt ihm über all dem betäubenden Stadtgewühl jetzt das Friedensbild von Wald und Prairie. Wie eine ſelige Luftſpiegelung ſchwebt ihm das Bild zu Häupten, rein und vernehmlich blickt's dem Erwachenden durch die Morgenfenſter und läßt Tags über nicht ab, mit wonnevollem Geflüſter ſein Gemüth zu treiben und zu kräuſeln. Das iſt ja die Schönheit des genialen Menſchen vor dem beſchränkten und kleinlichen: wenn dieſer den Er¬ fahrungen gegenüber an Wärme verliert, ſo wirft ſie jener auf neue und immer wieder auf neue Theile und unter der Schneelocke noch bricht ihm ein junges, glaubensfähiges Herz. Moorfeld geht alſo heute lebendiger als je dem Gedanken ſeiner Anſiedlung nach. Ob wir ihn deßwegen ſogleich in die Schatten der Urwälder verſchwinden ſehen — überlaſſen wir das dem ehrlichen Ge¬ nerallandamt. Wir werden ſehen. Begleiten wir ihn auf den Weg dahin. Das Generallandamt iſt der Ort, wo Congreßland verkauft wird. Käufer und Rathgeber der Käufer umſchwärmen das Gebäude zu allen Stunden des Tages; nie wird ſein Inneres von Menſchen leer,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/68>, abgerufen am 29.03.2024.