Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.du deine Jahre gut an, so führst du sie als Frau Professorin heim. Das taugt alle nichts, sagte Rudolf mit unschuldigster Geradheit. Auf dem Lande heiratet man früh, da heißt's fix sein. Wer losläßt, ist verlesen. Der Flurschütz nimmt sie hundertmal beim Kopf, ehe ich einen Brief schreibe. Unser Freund ist praktisch, lachte die reizende Doctorin. Der Ernst dieser Lebenslage trat einen Augenblick vor dem Humor zurück. Noch Eins, sagte der Doctor. Sprechen wir's aus, wie wir's gedacht haben. Wie, wenn der Raithmeyer nicht geerbt hätte? Wenn er sein plötzliches Geld einem Verbrechen dankte? Wenn ihn der Gensd'arm bereits geholt hätte, oder in den nächsten Tagen ihn holte? Was dann, Rudolf? Dann braucht das Mädchen um so mehr einen Freund, der krumm und lahm schlägt, was sie beschimpfen wollte deßwegen. Das ist nicht mehr verliebt, das ist Charakter! rief die junge Frau ergriffen. Laß ihn ziehen, lieber August. Rudolf sprang auf und küßte der Fürsprecherin feurig die Hand. Sein Gehen war damit eine vollendete Thatsache. Die schöne Frau holte ein seidenes Etui aus dem Wandschrank und gab es dem Scheidenden mit den Worten: Hier ist unsere Adreßkarte und vielleicht noch eine Kleinigkeit dabei, die du verwenden kannst. Schreibe uns öfter und bleibe wacker. Des andern Morgens reis'te Rudolf ins Erzgebirge ab. du deine Jahre gut an, so führst du sie als Frau Professorin heim. Das taugt alle nichts, sagte Rudolf mit unschuldigster Geradheit. Auf dem Lande heiratet man früh, da heißt's fix sein. Wer losläßt, ist verlesen. Der Flurschütz nimmt sie hundertmal beim Kopf, ehe ich einen Brief schreibe. Unser Freund ist praktisch, lachte die reizende Doctorin. Der Ernst dieser Lebenslage trat einen Augenblick vor dem Humor zurück. Noch Eins, sagte der Doctor. Sprechen wir's aus, wie wir's gedacht haben. Wie, wenn der Raithmeyer nicht geerbt hätte? Wenn er sein plötzliches Geld einem Verbrechen dankte? Wenn ihn der Gensd'arm bereits geholt hätte, oder in den nächsten Tagen ihn holte? Was dann, Rudolf? Dann braucht das Mädchen um so mehr einen Freund, der krumm und lahm schlägt, was sie beschimpfen wollte deßwegen. Das ist nicht mehr verliebt, das ist Charakter! rief die junge Frau ergriffen. Laß ihn ziehen, lieber August. Rudolf sprang auf und küßte der Fürsprecherin feurig die Hand. Sein Gehen war damit eine vollendete Thatsache. Die schöne Frau holte ein seidenes Etui aus dem Wandschrank und gab es dem Scheidenden mit den Worten: Hier ist unsere Adreßkarte und vielleicht noch eine Kleinigkeit dabei, die du verwenden kannst. Schreibe uns öfter und bleibe wacker. Des andern Morgens reis'te Rudolf ins Erzgebirge ab. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0022"/> du deine Jahre gut an, so führst du sie als Frau Professorin heim.</p><lb/> <p>Das taugt alle nichts, sagte Rudolf mit unschuldigster Geradheit. Auf dem Lande heiratet man früh, da heißt's fix sein. Wer losläßt, ist verlesen. Der Flurschütz nimmt sie hundertmal beim Kopf, ehe ich einen Brief schreibe.</p><lb/> <p>Unser Freund ist praktisch, lachte die reizende Doctorin. Der Ernst dieser Lebenslage trat einen Augenblick vor dem Humor zurück.</p><lb/> <p>Noch Eins, sagte der Doctor. Sprechen wir's aus, wie wir's gedacht haben. Wie, wenn der Raithmeyer nicht geerbt hätte? Wenn er sein plötzliches Geld einem Verbrechen dankte? Wenn ihn der Gensd'arm bereits geholt hätte, oder in den nächsten Tagen ihn holte? Was dann, Rudolf?</p><lb/> <p>Dann braucht das Mädchen um so mehr einen Freund, der krumm und lahm schlägt, was sie beschimpfen wollte deßwegen.</p><lb/> <p>Das ist nicht mehr verliebt, das ist Charakter! rief die junge Frau ergriffen. Laß ihn ziehen, lieber August. Rudolf sprang auf und küßte der Fürsprecherin feurig die Hand. Sein Gehen war damit eine vollendete Thatsache. Die schöne Frau holte ein seidenes Etui aus dem Wandschrank und gab es dem Scheidenden mit den Worten: Hier ist unsere Adreßkarte und vielleicht noch eine Kleinigkeit dabei, die du verwenden kannst. Schreibe uns öfter und bleibe wacker.</p><lb/> <p>Des andern Morgens reis'te Rudolf ins Erzgebirge ab.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
du deine Jahre gut an, so führst du sie als Frau Professorin heim.
Das taugt alle nichts, sagte Rudolf mit unschuldigster Geradheit. Auf dem Lande heiratet man früh, da heißt's fix sein. Wer losläßt, ist verlesen. Der Flurschütz nimmt sie hundertmal beim Kopf, ehe ich einen Brief schreibe.
Unser Freund ist praktisch, lachte die reizende Doctorin. Der Ernst dieser Lebenslage trat einen Augenblick vor dem Humor zurück.
Noch Eins, sagte der Doctor. Sprechen wir's aus, wie wir's gedacht haben. Wie, wenn der Raithmeyer nicht geerbt hätte? Wenn er sein plötzliches Geld einem Verbrechen dankte? Wenn ihn der Gensd'arm bereits geholt hätte, oder in den nächsten Tagen ihn holte? Was dann, Rudolf?
Dann braucht das Mädchen um so mehr einen Freund, der krumm und lahm schlägt, was sie beschimpfen wollte deßwegen.
Das ist nicht mehr verliebt, das ist Charakter! rief die junge Frau ergriffen. Laß ihn ziehen, lieber August. Rudolf sprang auf und küßte der Fürsprecherin feurig die Hand. Sein Gehen war damit eine vollendete Thatsache. Die schöne Frau holte ein seidenes Etui aus dem Wandschrank und gab es dem Scheidenden mit den Worten: Hier ist unsere Adreßkarte und vielleicht noch eine Kleinigkeit dabei, die du verwenden kannst. Schreibe uns öfter und bleibe wacker.
Des andern Morgens reis'te Rudolf ins Erzgebirge ab.
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Zitationshilfe: | Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/22>, abgerufen am 18.05.2022. |