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Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Stuart erkannte augenblicklich das feine, schwermüthige Gesicht Dimitri's. Er freute sich, den jungen Mann, nach welchem er in den Straßen der Stadt schon mehrfach vergeblich ausgeblickt, wiedergefunden zu haben; es drückte ihn wie eine geheime Schuld, daß er das zutrauliche Entgegenkommen desselben nicht besser zu lohnen im Stande gewesen war. Gott zum Gruß, mein lieber Bruder! rief er ihm empor. Denkst du noch deines Wandergenossen? Komm herab, guter Dimitri, und laß mich ein in deine Wohnung! wir wollen ein Stündchen mit einander plaudern: du sollst mir Alles erzählen, was dir auf dem Herzen liegt.

Dimitri verschwand und erschien bald, den Riegel öffnend, an der Thür. Mit einiger Verwirrung musterte er die stattliche Kleidung, welche Stuart trug. Jüngst warst du, so hub er an, ein armer Mann, gleich Dimitri, und jetzt erscheinst du als einer von den Herren. Auch sprachst du zuletzt zu mir, da wir schieden, wie du nicht hättest sprechen sollen. Ich weiß nicht, ob es recht ist, daß ich dir traue; und doch -- eine innere Stimme sagt mir, daß du es bist, der mir Hülfe bringen wird. Komm hinauf, komm hinauf in mein Zimmer! -- Stuart trat ein, bemerkte jedoch, daß Dimitri wiederum unschlüssig zauderte, als auch der Diener zu folgen sich anschickte. Stuart wies den Letzteren an, vor der Thüre zu verweilen und dort seiner zu warten.

Eilig führte Dimitri nun Stuart die Treppe em-

Stuart erkannte augenblicklich das feine, schwermüthige Gesicht Dimitri's. Er freute sich, den jungen Mann, nach welchem er in den Straßen der Stadt schon mehrfach vergeblich ausgeblickt, wiedergefunden zu haben; es drückte ihn wie eine geheime Schuld, daß er das zutrauliche Entgegenkommen desselben nicht besser zu lohnen im Stande gewesen war. Gott zum Gruß, mein lieber Bruder! rief er ihm empor. Denkst du noch deines Wandergenossen? Komm herab, guter Dimitri, und laß mich ein in deine Wohnung! wir wollen ein Stündchen mit einander plaudern: du sollst mir Alles erzählen, was dir auf dem Herzen liegt.

Dimitri verschwand und erschien bald, den Riegel öffnend, an der Thür. Mit einiger Verwirrung musterte er die stattliche Kleidung, welche Stuart trug. Jüngst warst du, so hub er an, ein armer Mann, gleich Dimitri, und jetzt erscheinst du als einer von den Herren. Auch sprachst du zuletzt zu mir, da wir schieden, wie du nicht hättest sprechen sollen. Ich weiß nicht, ob es recht ist, daß ich dir traue; und doch — eine innere Stimme sagt mir, daß du es bist, der mir Hülfe bringen wird. Komm hinauf, komm hinauf in mein Zimmer! — Stuart trat ein, bemerkte jedoch, daß Dimitri wiederum unschlüssig zauderte, als auch der Diener zu folgen sich anschickte. Stuart wies den Letzteren an, vor der Thüre zu verweilen und dort seiner zu warten.

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[0035] Stuart erkannte augenblicklich das feine, schwermüthige Gesicht Dimitri's. Er freute sich, den jungen Mann, nach welchem er in den Straßen der Stadt schon mehrfach vergeblich ausgeblickt, wiedergefunden zu haben; es drückte ihn wie eine geheime Schuld, daß er das zutrauliche Entgegenkommen desselben nicht besser zu lohnen im Stande gewesen war. Gott zum Gruß, mein lieber Bruder! rief er ihm empor. Denkst du noch deines Wandergenossen? Komm herab, guter Dimitri, und laß mich ein in deine Wohnung! wir wollen ein Stündchen mit einander plaudern: du sollst mir Alles erzählen, was dir auf dem Herzen liegt. Dimitri verschwand und erschien bald, den Riegel öffnend, an der Thür. Mit einiger Verwirrung musterte er die stattliche Kleidung, welche Stuart trug. Jüngst warst du, so hub er an, ein armer Mann, gleich Dimitri, und jetzt erscheinst du als einer von den Herren. Auch sprachst du zuletzt zu mir, da wir schieden, wie du nicht hättest sprechen sollen. Ich weiß nicht, ob es recht ist, daß ich dir traue; und doch — eine innere Stimme sagt mir, daß du es bist, der mir Hülfe bringen wird. Komm hinauf, komm hinauf in mein Zimmer! — Stuart trat ein, bemerkte jedoch, daß Dimitri wiederum unschlüssig zauderte, als auch der Diener zu folgen sich anschickte. Stuart wies den Letzteren an, vor der Thüre zu verweilen und dort seiner zu warten. Eilig führte Dimitri nun Stuart die Treppe em-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:01:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:01:39Z)

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Zitationshilfe: Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/35>, abgerufen am 29.03.2024.