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Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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eine breite Heerstraße gelangte. Nicht weit vor ihm schritten einige Männer hin, die einen mit Gepäck beladenen Esel führten. Stuart wünschte nichts sehnlicher, als sich irgend einer sichern Begleitung anzuschließen, mußte aber befürchten, daß seine einsame Erscheinung, zumal bei seinem seltsamen Aufzuge, Befremden und Verdacht erregen dürfe. Dem vorzubeugen und wohl wissend, wie der Orientale dem Wahnsinnigen Theilnahme und selbst Ehrfurcht zu zollen pflegt, beschloß er, sich verrückt zu stellen. Er hatte jene Männer bald erreicht und führte, sie begrüßend, sein Vorhaben mit allerlei wunderlichen Geberden und Worten, wie sie ihm der Augenblick gerade eingab, aus. Die List gelang vollkommen; die Leute empfingen ihn, wenn auch nicht ohne eine gewisse Scheu, doch mit freundlichstem Wohlwollen. In kurzer Frist hatte er zu seiner größten Freude von ihnen herausgebracht, daß man sich auf der Straße nach Salonichi befinde; auf seine hingeworfene Aeußerung, daß auch er dorthin gehe, luden sie ihn freiwillig ein, in ihrer Begleitung zu bleiben, was er gern annahm. Es waren friedliche Einwohner von Salonichi, Griechen, die von Kares kamen, dem Hauptorte jenes merkwürdigen, unfern belegenen Klosterstaates, welcher die Halbinsel des Berges Athos einnimmt; sie hatten dort allerlei Schnitzwerk, wie es die Kalojeren, die guten Väter vom heiligen Berge, anfertigen, eingekauft, um dasselbe in Salonichi weiter zu verhandeln.

eine breite Heerstraße gelangte. Nicht weit vor ihm schritten einige Männer hin, die einen mit Gepäck beladenen Esel führten. Stuart wünschte nichts sehnlicher, als sich irgend einer sichern Begleitung anzuschließen, mußte aber befürchten, daß seine einsame Erscheinung, zumal bei seinem seltsamen Aufzuge, Befremden und Verdacht erregen dürfe. Dem vorzubeugen und wohl wissend, wie der Orientale dem Wahnsinnigen Theilnahme und selbst Ehrfurcht zu zollen pflegt, beschloß er, sich verrückt zu stellen. Er hatte jene Männer bald erreicht und führte, sie begrüßend, sein Vorhaben mit allerlei wunderlichen Geberden und Worten, wie sie ihm der Augenblick gerade eingab, aus. Die List gelang vollkommen; die Leute empfingen ihn, wenn auch nicht ohne eine gewisse Scheu, doch mit freundlichstem Wohlwollen. In kurzer Frist hatte er zu seiner größten Freude von ihnen herausgebracht, daß man sich auf der Straße nach Salonichi befinde; auf seine hingeworfene Aeußerung, daß auch er dorthin gehe, luden sie ihn freiwillig ein, in ihrer Begleitung zu bleiben, was er gern annahm. Es waren friedliche Einwohner von Salonichi, Griechen, die von Kares kamen, dem Hauptorte jenes merkwürdigen, unfern belegenen Klosterstaates, welcher die Halbinsel des Berges Athos einnimmt; sie hatten dort allerlei Schnitzwerk, wie es die Kalojeren, die guten Väter vom heiligen Berge, anfertigen, eingekauft, um dasselbe in Salonichi weiter zu verhandeln.

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[0009] eine breite Heerstraße gelangte. Nicht weit vor ihm schritten einige Männer hin, die einen mit Gepäck beladenen Esel führten. Stuart wünschte nichts sehnlicher, als sich irgend einer sichern Begleitung anzuschließen, mußte aber befürchten, daß seine einsame Erscheinung, zumal bei seinem seltsamen Aufzuge, Befremden und Verdacht erregen dürfe. Dem vorzubeugen und wohl wissend, wie der Orientale dem Wahnsinnigen Theilnahme und selbst Ehrfurcht zu zollen pflegt, beschloß er, sich verrückt zu stellen. Er hatte jene Männer bald erreicht und führte, sie begrüßend, sein Vorhaben mit allerlei wunderlichen Geberden und Worten, wie sie ihm der Augenblick gerade eingab, aus. Die List gelang vollkommen; die Leute empfingen ihn, wenn auch nicht ohne eine gewisse Scheu, doch mit freundlichstem Wohlwollen. In kurzer Frist hatte er zu seiner größten Freude von ihnen herausgebracht, daß man sich auf der Straße nach Salonichi befinde; auf seine hingeworfene Aeußerung, daß auch er dorthin gehe, luden sie ihn freiwillig ein, in ihrer Begleitung zu bleiben, was er gern annahm. Es waren friedliche Einwohner von Salonichi, Griechen, die von Kares kamen, dem Hauptorte jenes merkwürdigen, unfern belegenen Klosterstaates, welcher die Halbinsel des Berges Athos einnimmt; sie hatten dort allerlei Schnitzwerk, wie es die Kalojeren, die guten Väter vom heiligen Berge, anfertigen, eingekauft, um dasselbe in Salonichi weiter zu verhandeln.

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Zitationshilfe: Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/9>, abgerufen am 24.04.2024.