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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen.
Zeit vom Beginn der deutschen Occupation bis Ende März 1872".
Straßb. Trübner. 1872 1).

3. Nach Abschluß des Friedens mit Frankreich wandelte sich
die thatsächliche kriegerische Besetzung der an Deutschland abgetre-
tenen Gebiete in eine rechtliche Beherrschung derselben um; der
Rechtstitel derselben war nicht mehr das Kriegsrecht, sondern die
vertragsmäßige Uebertragung der Staatsgewalt. Die für Deutsch-
land erworbenen Gebiete wurden aber nicht sofort dem Deutschen
Staatsverbande einverleibt und ebenso wenig zu einem eigenen
Staate constituirt; es dauerte vielmehr der durch den Krieg ge-
schaffene provisorische Zustand noch einige Zeit fort. Erst das
Reichsgesetz vom 9. Juni 1871 sprach die Vereinigung von Elaß-
Lothringen mit dem Deutschen Reiche aus; dieses Gesetz ist am
14. Juni 1871 durch das Reichsgesetzblatt verkündigt worden, hat
also am 28. Juni 1871 gemäß Art. 2 der R.-V. verbindliche Kraft
erlangt. In Elsaß-Lothringen ist es zwar erst am 5. Juli 1871
durch die erste Nummer des Gesetzblattes für Elsaß-Lothringen
verkündet worden; da es aber unmöglich war, daß das die Ver-
einigung aussprechende Gesetz in Elsaß-Lothringen zu einem andern
Zeitpunkte in Geltung trat als im Deutschen Reiche und da es
sich bei diesem Gesetz um eine Verfügung des Deutschen Reiches
über die ihm abgetretenen Gebiete, also um einen Willensakt des
Deutschen Reiches handelte, dessen Object Elsaß-Lothringen war,
so muß man annehmen, daß das Gesetz auch für Elsaß-Lothringen
am 28. Juni 1871 in Wirksamkeit getreten ist 2), und daß mithin
von diesem Tage an die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen nach
den im Gesetz vom 9. Juni 1871 aufgestellten Regeln zu beur-
theilen ist.

Obwohl das Amt des General-Gouverneurs noch bis zum
5. September bestand 3), so bestimmte sich doch vom 28. Juni an
die demselben zustehende Kompetenz nicht mehr ausschließlich nach
der vom Bundesoberfeldherrn ertheilten Instruction, sondern in

1) Diese Ausgabe ist im Vorstehenden citirt. Die Eigenschaft der Au-
thenticität kommt derselben nicht zu.
2) Correcter wäre es freilich gewesen, wenn die Reichsregierung für eine
rechtzeitige Verkündigung des Gesetzes in Elsaß-Lothringen Sorge ge-
tragen hätte.
3) Verordnungen und Amtl. Nachrichten Nro. 297. 299.

§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.
Zeit vom Beginn der deutſchen Occupation bis Ende März 1872“.
Straßb. Trübner. 1872 1).

3. Nach Abſchluß des Friedens mit Frankreich wandelte ſich
die thatſächliche kriegeriſche Beſetzung der an Deutſchland abgetre-
tenen Gebiete in eine rechtliche Beherrſchung derſelben um; der
Rechtstitel derſelben war nicht mehr das Kriegsrecht, ſondern die
vertragsmäßige Uebertragung der Staatsgewalt. Die für Deutſch-
land erworbenen Gebiete wurden aber nicht ſofort dem Deutſchen
Staatsverbande einverleibt und ebenſo wenig zu einem eigenen
Staate conſtituirt; es dauerte vielmehr der durch den Krieg ge-
ſchaffene proviſoriſche Zuſtand noch einige Zeit fort. Erſt das
Reichsgeſetz vom 9. Juni 1871 ſprach die Vereinigung von Elaß-
Lothringen mit dem Deutſchen Reiche aus; dieſes Geſetz iſt am
14. Juni 1871 durch das Reichsgeſetzblatt verkündigt worden, hat
alſo am 28. Juni 1871 gemäß Art. 2 der R.-V. verbindliche Kraft
erlangt. In Elſaß-Lothringen iſt es zwar erſt am 5. Juli 1871
durch die erſte Nummer des Geſetzblattes für Elſaß-Lothringen
verkündet worden; da es aber unmöglich war, daß das die Ver-
einigung ausſprechende Geſetz in Elſaß-Lothringen zu einem andern
Zeitpunkte in Geltung trat als im Deutſchen Reiche und da es
ſich bei dieſem Geſetz um eine Verfügung des Deutſchen Reiches
über die ihm abgetretenen Gebiete, alſo um einen Willensakt des
Deutſchen Reiches handelte, deſſen Object Elſaß-Lothringen war,
ſo muß man annehmen, daß das Geſetz auch für Elſaß-Lothringen
am 28. Juni 1871 in Wirkſamkeit getreten iſt 2), und daß mithin
von dieſem Tage an die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen nach
den im Geſetz vom 9. Juni 1871 aufgeſtellten Regeln zu beur-
theilen iſt.

Obwohl das Amt des General-Gouverneurs noch bis zum
5. September beſtand 3), ſo beſtimmte ſich doch vom 28. Juni an
die demſelben zuſtehende Kompetenz nicht mehr ausſchließlich nach
der vom Bundesoberfeldherrn ertheilten Inſtruction, ſondern in

1) Dieſe Ausgabe iſt im Vorſtehenden citirt. Die Eigenſchaft der Au-
thenticität kommt derſelben nicht zu.
2) Correcter wäre es freilich geweſen, wenn die Reichsregierung für eine
rechtzeitige Verkündigung des Geſetzes in Elſaß-Lothringen Sorge ge-
tragen hätte.
3) Verordnungen und Amtl. Nachrichten Nro. 297. 299.
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[125/0139] §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. Zeit vom Beginn der deutſchen Occupation bis Ende März 1872“. Straßb. Trübner. 1872 1). 3. Nach Abſchluß des Friedens mit Frankreich wandelte ſich die thatſächliche kriegeriſche Beſetzung der an Deutſchland abgetre- tenen Gebiete in eine rechtliche Beherrſchung derſelben um; der Rechtstitel derſelben war nicht mehr das Kriegsrecht, ſondern die vertragsmäßige Uebertragung der Staatsgewalt. Die für Deutſch- land erworbenen Gebiete wurden aber nicht ſofort dem Deutſchen Staatsverbande einverleibt und ebenſo wenig zu einem eigenen Staate conſtituirt; es dauerte vielmehr der durch den Krieg ge- ſchaffene proviſoriſche Zuſtand noch einige Zeit fort. Erſt das Reichsgeſetz vom 9. Juni 1871 ſprach die Vereinigung von Elaß- Lothringen mit dem Deutſchen Reiche aus; dieſes Geſetz iſt am 14. Juni 1871 durch das Reichsgeſetzblatt verkündigt worden, hat alſo am 28. Juni 1871 gemäß Art. 2 der R.-V. verbindliche Kraft erlangt. In Elſaß-Lothringen iſt es zwar erſt am 5. Juli 1871 durch die erſte Nummer des Geſetzblattes für Elſaß-Lothringen verkündet worden; da es aber unmöglich war, daß das die Ver- einigung ausſprechende Geſetz in Elſaß-Lothringen zu einem andern Zeitpunkte in Geltung trat als im Deutſchen Reiche und da es ſich bei dieſem Geſetz um eine Verfügung des Deutſchen Reiches über die ihm abgetretenen Gebiete, alſo um einen Willensakt des Deutſchen Reiches handelte, deſſen Object Elſaß-Lothringen war, ſo muß man annehmen, daß das Geſetz auch für Elſaß-Lothringen am 28. Juni 1871 in Wirkſamkeit getreten iſt 2), und daß mithin von dieſem Tage an die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen nach den im Geſetz vom 9. Juni 1871 aufgeſtellten Regeln zu beur- theilen iſt. Obwohl das Amt des General-Gouverneurs noch bis zum 5. September beſtand 3), ſo beſtimmte ſich doch vom 28. Juni an die demſelben zuſtehende Kompetenz nicht mehr ausſchließlich nach der vom Bundesoberfeldherrn ertheilten Inſtruction, ſondern in 1) Dieſe Ausgabe iſt im Vorſtehenden citirt. Die Eigenſchaft der Au- thenticität kommt derſelben nicht zu. 2) Correcter wäre es freilich geweſen, wenn die Reichsregierung für eine rechtzeitige Verkündigung des Geſetzes in Elſaß-Lothringen Sorge ge- tragen hätte. 3) Verordnungen und Amtl. Nachrichten Nro. 297. 299.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/139>, abgerufen am 28.03.2024.