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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 62. Die Gesetzgebung für Elsaß-Lothringen.
Form ein, die cumulativ den älteren hinzutritt. Dies wird auch
durch die Geschichte des Gesetzes bestätigt 1).

Die praktischen Consequenzen sind allerdings etwas sonderbar.
Rechtsvorschriften, die im Wege der Landesgesetzgebung, also mit
Zustimmung des Bundesrathes und Landesausschusses erlassen
worden sind, können vom Kaiser unter Zustimmung des Bundes-
rathes ohne Zustimmung des Landesausschusses abgeändert wer-
den; es ist dies auch dann zulässig, während der Landes-
ausschuß versammelt ist
, wofern nur der Reichstag nicht
versammelt ist 2); solche Verordnungen sind zur Genehmigung
nicht dem Landesausschuß, sondern dem Reichstage vorzu-
legen und sie treten außer Kraft, wenngleich der Landesausschuß
ihnen nachträglich zugestimmt hat, falls der Reichstag seine Ge-
nehmigung versagt. Diese Uebelstände wären vermieden worden,
wenn in das Ges. v. 2. Mai 1877 die Bestimmung aufgenommen
worden wäre, daß der §. 8 des Gesetzes vom 25. Juni 1873
mit der Maßgabe in Geltung bleibt, daß wo in demselben vom
Reichstage die Rede ist, der Landesausschuß an dessen Stelle
tritt 3).

5. Nach den vorstehenden Erörterungen giebt es demnach in
Elsaß-Lothringen gegenwärtig folgende Formen für den Erlaß von
Rechtsvorschriften:

a) Reichsgesetze im formellen Sinne. Sie werden vom Kaiser

1) Die Motive des I. Entw., welcher dem Landesausschuß in seiner
II. Session, Mai 1876 vorgelegt wurde, enthalten die ausdrückliche Bemer-
kung, daß die im §. 8 des Ges. v. 25. Juni 1873 ertheilte Befugniß "von
dem Gesetzentwurfe nicht berührt" wird. Verhandlungen des Landes-
ausschusses
v. E.-L. II. Sess. (Straßb. 1876) Bd. I. Nro. 2. Ebenso die
Motive des dem Reichstage vorgelegten Entwurfes. Drucksachen des
Reichstages, I. Sess. 1877 Bd. I. Nro. 5. Auch der Abg. Hänel, der an
erster Stelle den Antrag unterzeichnet hat, auf welchem die definitive Fassung
des Gesetzes beruht (Drucks. a. a. Ort Nro. 60), hat dies ausdrücklich hervor-
gehoben (Stenogr. Berichte des Reichst. S. 280) und ebenso der Unter-
staatssecretär Herzog (ebendas. S. 281).
2) Ein Antrag, dies abzuändern (Drucksachen a. a. O. Nro. 61) wurde
vom Reichstage abgelehnt, nachdem sowohl der Abgeordnete Hänel als der
Unterstaatssecretär Herzog sich dagegen ausgesprochen hatten. Stenogr. Be-
richte S. 280. 281.
3) Versagt der Landes-Ausschuß die Genehmigung, so bliebe immer noch
der ordentliche Weg der Reichsgesetzgebung vorbehalten.

§. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen.
Form ein, die cumulativ den älteren hinzutritt. Dies wird auch
durch die Geſchichte des Geſetzes beſtätigt 1).

Die praktiſchen Conſequenzen ſind allerdings etwas ſonderbar.
Rechtsvorſchriften, die im Wege der Landesgeſetzgebung, alſo mit
Zuſtimmung des Bundesrathes und Landesausſchuſſes erlaſſen
worden ſind, können vom Kaiſer unter Zuſtimmung des Bundes-
rathes ohne Zuſtimmung des Landesausſchuſſes abgeändert wer-
den; es iſt dies auch dann zuläſſig, während der Landes-
ausſchuß verſammelt iſt
, wofern nur der Reichstag nicht
verſammelt iſt 2); ſolche Verordnungen ſind zur Genehmigung
nicht dem Landesausſchuß, ſondern dem Reichstage vorzu-
legen und ſie treten außer Kraft, wenngleich der Landesausſchuß
ihnen nachträglich zugeſtimmt hat, falls der Reichstag ſeine Ge-
nehmigung verſagt. Dieſe Uebelſtände wären vermieden worden,
wenn in das Geſ. v. 2. Mai 1877 die Beſtimmung aufgenommen
worden wäre, daß der §. 8 des Geſetzes vom 25. Juni 1873
mit der Maßgabe in Geltung bleibt, daß wo in demſelben vom
Reichstage die Rede iſt, der Landesausſchuß an deſſen Stelle
tritt 3).

5. Nach den vorſtehenden Erörterungen giebt es demnach in
Elſaß-Lothringen gegenwärtig folgende Formen für den Erlaß von
Rechtsvorſchriften:

a) Reichsgeſetze im formellen Sinne. Sie werden vom Kaiſer

1) Die Motive des I. Entw., welcher dem Landesausſchuß in ſeiner
II. Seſſion, Mai 1876 vorgelegt wurde, enthalten die ausdrückliche Bemer-
kung, daß die im §. 8 des Geſ. v. 25. Juni 1873 ertheilte Befugniß „von
dem Geſetzentwurfe nicht berührt“ wird. Verhandlungen des Landes-
ausſchuſſes
v. E.-L. II. Seſſ. (Straßb. 1876) Bd. I. Nro. 2. Ebenſo die
Motive des dem Reichstage vorgelegten Entwurfes. Druckſachen des
Reichstages, I. Seſſ. 1877 Bd. I. Nro. 5. Auch der Abg. Hänel, der an
erſter Stelle den Antrag unterzeichnet hat, auf welchem die definitive Faſſung
des Geſetzes beruht (Druckſ. a. a. Ort Nro. 60), hat dies ausdrücklich hervor-
gehoben (Stenogr. Berichte des Reichst. S. 280) und ebenſo der Unter-
ſtaatsſecretär Herzog (ebendaſ. S. 281).
2) Ein Antrag, dies abzuändern (Druckſachen a. a. O. Nro. 61) wurde
vom Reichstage abgelehnt, nachdem ſowohl der Abgeordnete Hänel als der
Unterſtaatsſecretär Herzog ſich dagegen ausgeſprochen hatten. Stenogr. Be-
richte S. 280. 281.
3) Verſagt der Landes-Ausſchuß die Genehmigung, ſo bliebe immer noch
der ordentliche Weg der Reichsgeſetzgebung vorbehalten.
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[151/0165] §. 62. Die Geſetzgebung für Elſaß-Lothringen. Form ein, die cumulativ den älteren hinzutritt. Dies wird auch durch die Geſchichte des Geſetzes beſtätigt 1). Die praktiſchen Conſequenzen ſind allerdings etwas ſonderbar. Rechtsvorſchriften, die im Wege der Landesgeſetzgebung, alſo mit Zuſtimmung des Bundesrathes und Landesausſchuſſes erlaſſen worden ſind, können vom Kaiſer unter Zuſtimmung des Bundes- rathes ohne Zuſtimmung des Landesausſchuſſes abgeändert wer- den; es iſt dies auch dann zuläſſig, während der Landes- ausſchuß verſammelt iſt, wofern nur der Reichstag nicht verſammelt iſt 2); ſolche Verordnungen ſind zur Genehmigung nicht dem Landesausſchuß, ſondern dem Reichstage vorzu- legen und ſie treten außer Kraft, wenngleich der Landesausſchuß ihnen nachträglich zugeſtimmt hat, falls der Reichstag ſeine Ge- nehmigung verſagt. Dieſe Uebelſtände wären vermieden worden, wenn in das Geſ. v. 2. Mai 1877 die Beſtimmung aufgenommen worden wäre, daß der §. 8 des Geſetzes vom 25. Juni 1873 mit der Maßgabe in Geltung bleibt, daß wo in demſelben vom Reichstage die Rede iſt, der Landesausſchuß an deſſen Stelle tritt 3). 5. Nach den vorſtehenden Erörterungen giebt es demnach in Elſaß-Lothringen gegenwärtig folgende Formen für den Erlaß von Rechtsvorſchriften: a) Reichsgeſetze im formellen Sinne. Sie werden vom Kaiſer 1) Die Motive des I. Entw., welcher dem Landesausſchuß in ſeiner II. Seſſion, Mai 1876 vorgelegt wurde, enthalten die ausdrückliche Bemer- kung, daß die im §. 8 des Geſ. v. 25. Juni 1873 ertheilte Befugniß „von dem Geſetzentwurfe nicht berührt“ wird. Verhandlungen des Landes- ausſchuſſes v. E.-L. II. Seſſ. (Straßb. 1876) Bd. I. Nro. 2. Ebenſo die Motive des dem Reichstage vorgelegten Entwurfes. Druckſachen des Reichstages, I. Seſſ. 1877 Bd. I. Nro. 5. Auch der Abg. Hänel, der an erſter Stelle den Antrag unterzeichnet hat, auf welchem die definitive Faſſung des Geſetzes beruht (Druckſ. a. a. Ort Nro. 60), hat dies ausdrücklich hervor- gehoben (Stenogr. Berichte des Reichst. S. 280) und ebenſo der Unter- ſtaatsſecretär Herzog (ebendaſ. S. 281). 2) Ein Antrag, dies abzuändern (Druckſachen a. a. O. Nro. 61) wurde vom Reichstage abgelehnt, nachdem ſowohl der Abgeordnete Hänel als der Unterſtaatsſecretär Herzog ſich dagegen ausgeſprochen hatten. Stenogr. Be- richte S. 280. 281. 3) Verſagt der Landes-Ausſchuß die Genehmigung, ſo bliebe immer noch der ordentliche Weg der Reichsgeſetzgebung vorbehalten.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/165>, abgerufen am 28.03.2024.