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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 63. Begriff und juristische Natur der Staatsverträge.
diesem Grunde müssen die Rechtssätze über die Erfordernisse und
Wirkungen der Staatsverträge in Einklang stehen mit den Rechts-
grundsätzen über die Gesetzgebung, weil sonst die Regeln, welche
über eine dieser beiden Formen staatlicher Willensacte bestehen,
durch Anwendung der andern Form illusorisch gemacht werden
könnten. Diese Harmonie ist auch in der That in vollstem Maße
vorhanden und es ist zur theoretischen Erkenntniß derselben nur
erforderlich, die juristischen Vorgänge und Willenserklärungen zu
analysiren, welche sich bei dem Abschluß und der Durchführung
von Staatsverträgen verwirklichen.

Von einem Gesetz unterscheidet sich ein Staatsvertrag auf den
ersten Blick dadurch, daß das Gesetz ein Befehl ist, den die
Staatsgewalt an ihre Unterthanen erläßt, daß der Staatsvertrag
dagegen ein Versprechen ist, welches einem gleichberechtigten
Contrahenten ertheilt wird. In dem Staatsvertrage verpflichtet
sich der Staat -- oder der Geschäftsführer des Staates Namens
desselben -- etwas zu geben, zu thun, zu unterlassen. Während
nun der Staat die Befolgung seiner Befehle von seinen Untertha-
nen durch die staatlichen Machtmittel erzwingt, kann es keinen
staatlichen Zwang zur Erfüllung von Staatsverträgen geben,
da der Staat nicht gegen sich selbst Zwang zu üben vermag; son-
dern es giebt lediglich einen völkerrechtlichen Zwang, welchen
der eine Contrahent gegen den andern zur Anwendung bringt,
wenn er es für erforderlich oder nützlich hält. Ein Staatsvertrag
hat an und für sich gar keine Rechtswirkungen nach Innen (gegen
Behörden und Unterthanen), sondern einzig und allein nach Außen.
Staatsverträge sind Rechtsgeschäfte, durch welche nur die Contra-
henten gegen einander Ansprüche und Verpflichtungen begründen.
Durch den Abschluß des Vertrages ist in keiner Weise eine recht-
liche oder thatsächliche Gewißheit geboten, daß der Vertrag auch
wirklich erfüllt wird; manche Staatsverträge bleiben unausgeführt,
bisweilen unter stillschweigender Zustimmung beider Contrahenten,
bisweilen auch weil ein Contrahent auf die Ausführung nicht

reden und dieselbe neben die gesetzgebende und vollziehende Gewalt zu stellen.
Die Fähigkeit des Staates, Staatsverträge abzuschließen, ist kein Theil der
Staatsgewalt, der von anderen Theilen derselben irgendwie abgegränzt wäre,
so wenig wie die Fähigkeit einer Privatperson, Contracte zu schließen, ein
Theil der Persönlichkeit ist.

§. 63. Begriff und juriſtiſche Natur der Staatsverträge.
dieſem Grunde müſſen die Rechtsſätze über die Erforderniſſe und
Wirkungen der Staatsverträge in Einklang ſtehen mit den Rechts-
grundſätzen über die Geſetzgebung, weil ſonſt die Regeln, welche
über eine dieſer beiden Formen ſtaatlicher Willensacte beſtehen,
durch Anwendung der andern Form illuſoriſch gemacht werden
könnten. Dieſe Harmonie iſt auch in der That in vollſtem Maße
vorhanden und es iſt zur theoretiſchen Erkenntniß derſelben nur
erforderlich, die juriſtiſchen Vorgänge und Willenserklärungen zu
analyſiren, welche ſich bei dem Abſchluß und der Durchführung
von Staatsverträgen verwirklichen.

Von einem Geſetz unterſcheidet ſich ein Staatsvertrag auf den
erſten Blick dadurch, daß das Geſetz ein Befehl iſt, den die
Staatsgewalt an ihre Unterthanen erläßt, daß der Staatsvertrag
dagegen ein Verſprechen iſt, welches einem gleichberechtigten
Contrahenten ertheilt wird. In dem Staatsvertrage verpflichtet
ſich der Staat — oder der Geſchäftsführer des Staates Namens
deſſelben — etwas zu geben, zu thun, zu unterlaſſen. Während
nun der Staat die Befolgung ſeiner Befehle von ſeinen Untertha-
nen durch die ſtaatlichen Machtmittel erzwingt, kann es keinen
ſtaatlichen Zwang zur Erfüllung von Staatsverträgen geben,
da der Staat nicht gegen ſich ſelbſt Zwang zu üben vermag; ſon-
dern es giebt lediglich einen völkerrechtlichen Zwang, welchen
der eine Contrahent gegen den andern zur Anwendung bringt,
wenn er es für erforderlich oder nützlich hält. Ein Staatsvertrag
hat an und für ſich gar keine Rechtswirkungen nach Innen (gegen
Behörden und Unterthanen), ſondern einzig und allein nach Außen.
Staatsverträge ſind Rechtsgeſchäfte, durch welche nur die Contra-
henten gegen einander Anſprüche und Verpflichtungen begründen.
Durch den Abſchluß des Vertrages iſt in keiner Weiſe eine recht-
liche oder thatſächliche Gewißheit geboten, daß der Vertrag auch
wirklich erfüllt wird; manche Staatsverträge bleiben unausgeführt,
bisweilen unter ſtillſchweigender Zuſtimmung beider Contrahenten,
bisweilen auch weil ein Contrahent auf die Ausführung nicht

reden und dieſelbe neben die geſetzgebende und vollziehende Gewalt zu ſtellen.
Die Fähigkeit des Staates, Staatsverträge abzuſchließen, iſt kein Theil der
Staatsgewalt, der von anderen Theilen derſelben irgendwie abgegränzt wäre,
ſo wenig wie die Fähigkeit einer Privatperſon, Contracte zu ſchließen, ein
Theil der Perſönlichkeit iſt.
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[153/0167] §. 63. Begriff und juriſtiſche Natur der Staatsverträge. dieſem Grunde müſſen die Rechtsſätze über die Erforderniſſe und Wirkungen der Staatsverträge in Einklang ſtehen mit den Rechts- grundſätzen über die Geſetzgebung, weil ſonſt die Regeln, welche über eine dieſer beiden Formen ſtaatlicher Willensacte beſtehen, durch Anwendung der andern Form illuſoriſch gemacht werden könnten. Dieſe Harmonie iſt auch in der That in vollſtem Maße vorhanden und es iſt zur theoretiſchen Erkenntniß derſelben nur erforderlich, die juriſtiſchen Vorgänge und Willenserklärungen zu analyſiren, welche ſich bei dem Abſchluß und der Durchführung von Staatsverträgen verwirklichen. Von einem Geſetz unterſcheidet ſich ein Staatsvertrag auf den erſten Blick dadurch, daß das Geſetz ein Befehl iſt, den die Staatsgewalt an ihre Unterthanen erläßt, daß der Staatsvertrag dagegen ein Verſprechen iſt, welches einem gleichberechtigten Contrahenten ertheilt wird. In dem Staatsvertrage verpflichtet ſich der Staat — oder der Geſchäftsführer des Staates Namens deſſelben — etwas zu geben, zu thun, zu unterlaſſen. Während nun der Staat die Befolgung ſeiner Befehle von ſeinen Untertha- nen durch die ſtaatlichen Machtmittel erzwingt, kann es keinen ſtaatlichen Zwang zur Erfüllung von Staatsverträgen geben, da der Staat nicht gegen ſich ſelbſt Zwang zu üben vermag; ſon- dern es giebt lediglich einen völkerrechtlichen Zwang, welchen der eine Contrahent gegen den andern zur Anwendung bringt, wenn er es für erforderlich oder nützlich hält. Ein Staatsvertrag hat an und für ſich gar keine Rechtswirkungen nach Innen (gegen Behörden und Unterthanen), ſondern einzig und allein nach Außen. Staatsverträge ſind Rechtsgeſchäfte, durch welche nur die Contra- henten gegen einander Anſprüche und Verpflichtungen begründen. Durch den Abſchluß des Vertrages iſt in keiner Weiſe eine recht- liche oder thatſächliche Gewißheit geboten, daß der Vertrag auch wirklich erfüllt wird; manche Staatsverträge bleiben unausgeführt, bisweilen unter ſtillſchweigender Zuſtimmung beider Contrahenten, bisweilen auch weil ein Contrahent auf die Ausführung nicht 1) 1) reden und dieſelbe neben die geſetzgebende und vollziehende Gewalt zu ſtellen. Die Fähigkeit des Staates, Staatsverträge abzuſchließen, iſt kein Theil der Staatsgewalt, der von anderen Theilen derſelben irgendwie abgegränzt wäre, ſo wenig wie die Fähigkeit einer Privatperſon, Contracte zu ſchließen, ein Theil der Perſönlichkeit iſt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/167>, abgerufen am 28.03.2024.