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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 66. Die Staatsverträge der Bundesglieder.

I. Der Umfang, in welchem den Einzelstaaten das Recht
zur Vertragsschließung verblieben ist, begrenzt sich durch folgende
zwei Sätze:

1. Aus der staatsrechtlichen Unterordnung der Einzelstaaten
unter das Reich und der hierauf beruhenden Verpflichtung der
Einzelstaaten und ihrer Regierungen zur Treue ergiebt sich, daß
kein Gliedstaat weder mit einem anderen Bundesstaat noch mit
einer ausländischen Macht einen Vertrag abschließen darf, welcher
gegen die Sicherheit, Existenz oder Integrität des Deutschen Reiches
oder eines Gliedes desselben oder gegen dessen Verfassung, Landes-
herrn u. s. w. gerichtet ist. Ein solcher Vertrag würde nicht blos
nichtig sein, sondern diejenigen Personen, welche an dem Abschluß
desselben wissentlich Theil genommen haben, würden sich nach §§. 81.
83. 84. 87 ff. des R.-St.-G.-B.'s des Hochverraths oder Landes-
verrathes schuldig machen.

2. Ueber Gegenstände, welche der Kompetenz der Einzelstaaten
durch die Reichsverfassung oder durch die auf Grund derselben er-
gangenen Reichsgesetze entzogen sind, können die Einzelstaaten keine
Verträge mit rechtlicher Wirksamkeit abschließen. Denn soweit ein
Einzelstaat gewisse Hoheitsrechte, sei es auf dem Gebiete der Rechts-
ordnung oder auf dem Gebiete der Verwaltungsthätigkeit, über-
haupt nicht mehr hat, kann er auch keine Verpflichtung über die
Art und Weise ihrer Ausübung übernehmen 1).

II. Innerhalb des Umfanges, in welchem die Einzelstaaten
hiernach Staatsverträge abschließen dürfen, ergeben sich für die
Wirkungen derselben zwei Beschränkungen, von denen die eine
staatsrechtlicher, die andere völkerrechtlicher Natur ist.

1. Auch auf denjenigen Gebieten staatlicher Thätigkeit, auf
welchen den Einzelstaaten selbstständige Hoheitsrechte verblieben
sind, ist ihre Gewalt keine souveraine, sondern durch die Reichs-
gewalt beschränkte. Sie können daher keine Staatsverträge ab-
schließen, durch deren Erfüllung sie sich mit den Anordnungen der
Reichsgesetze oder der gültig erlassenen Verordnungen der Reichs-
behörden in Widerspruch setzen würden 2). Ihre Handlungsfreiheit

1) Vgl. auch Thudichum S. 250. v. Rönne (1. Aufl.) S. 60.
Meier S. 271 ff. Schulze, Preuß. Staatsr. II. S. 829.
2) Hiersemenzel I. S. 51 Z. 5.
13*
§. 66. Die Staatsverträge der Bundesglieder.

I. Der Umfang, in welchem den Einzelſtaaten das Recht
zur Vertragsſchließung verblieben iſt, begrenzt ſich durch folgende
zwei Sätze:

1. Aus der ſtaatsrechtlichen Unterordnung der Einzelſtaaten
unter das Reich und der hierauf beruhenden Verpflichtung der
Einzelſtaaten und ihrer Regierungen zur Treue ergiebt ſich, daß
kein Gliedſtaat weder mit einem anderen Bundesſtaat noch mit
einer ausländiſchen Macht einen Vertrag abſchließen darf, welcher
gegen die Sicherheit, Exiſtenz oder Integrität des Deutſchen Reiches
oder eines Gliedes deſſelben oder gegen deſſen Verfaſſung, Landes-
herrn u. ſ. w. gerichtet iſt. Ein ſolcher Vertrag würde nicht blos
nichtig ſein, ſondern diejenigen Perſonen, welche an dem Abſchluß
deſſelben wiſſentlich Theil genommen haben, würden ſich nach §§. 81.
83. 84. 87 ff. des R.-St.-G.-B.’s des Hochverraths oder Landes-
verrathes ſchuldig machen.

2. Ueber Gegenſtände, welche der Kompetenz der Einzelſtaaten
durch die Reichsverfaſſung oder durch die auf Grund derſelben er-
gangenen Reichsgeſetze entzogen ſind, können die Einzelſtaaten keine
Verträge mit rechtlicher Wirkſamkeit abſchließen. Denn ſoweit ein
Einzelſtaat gewiſſe Hoheitsrechte, ſei es auf dem Gebiete der Rechts-
ordnung oder auf dem Gebiete der Verwaltungsthätigkeit, über-
haupt nicht mehr hat, kann er auch keine Verpflichtung über die
Art und Weiſe ihrer Ausübung übernehmen 1).

II. Innerhalb des Umfanges, in welchem die Einzelſtaaten
hiernach Staatsverträge abſchließen dürfen, ergeben ſich für die
Wirkungen derſelben zwei Beſchränkungen, von denen die eine
ſtaatsrechtlicher, die andere völkerrechtlicher Natur iſt.

1. Auch auf denjenigen Gebieten ſtaatlicher Thätigkeit, auf
welchen den Einzelſtaaten ſelbſtſtändige Hoheitsrechte verblieben
ſind, iſt ihre Gewalt keine ſouveraine, ſondern durch die Reichs-
gewalt beſchränkte. Sie können daher keine Staatsverträge ab-
ſchließen, durch deren Erfüllung ſie ſich mit den Anordnungen der
Reichsgeſetze oder der gültig erlaſſenen Verordnungen der Reichs-
behörden in Widerſpruch ſetzen würden 2). Ihre Handlungsfreiheit

1) Vgl. auch Thudichum S. 250. v. Rönne (1. Aufl.) S. 60.
Meier S. 271 ff. Schulze, Preuß. Staatsr. II. S. 829.
2) Hierſemenzel I. S. 51 Z. 5.
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[195/0209] §. 66. Die Staatsverträge der Bundesglieder. I. Der Umfang, in welchem den Einzelſtaaten das Recht zur Vertragsſchließung verblieben iſt, begrenzt ſich durch folgende zwei Sätze: 1. Aus der ſtaatsrechtlichen Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich und der hierauf beruhenden Verpflichtung der Einzelſtaaten und ihrer Regierungen zur Treue ergiebt ſich, daß kein Gliedſtaat weder mit einem anderen Bundesſtaat noch mit einer ausländiſchen Macht einen Vertrag abſchließen darf, welcher gegen die Sicherheit, Exiſtenz oder Integrität des Deutſchen Reiches oder eines Gliedes deſſelben oder gegen deſſen Verfaſſung, Landes- herrn u. ſ. w. gerichtet iſt. Ein ſolcher Vertrag würde nicht blos nichtig ſein, ſondern diejenigen Perſonen, welche an dem Abſchluß deſſelben wiſſentlich Theil genommen haben, würden ſich nach §§. 81. 83. 84. 87 ff. des R.-St.-G.-B.’s des Hochverraths oder Landes- verrathes ſchuldig machen. 2. Ueber Gegenſtände, welche der Kompetenz der Einzelſtaaten durch die Reichsverfaſſung oder durch die auf Grund derſelben er- gangenen Reichsgeſetze entzogen ſind, können die Einzelſtaaten keine Verträge mit rechtlicher Wirkſamkeit abſchließen. Denn ſoweit ein Einzelſtaat gewiſſe Hoheitsrechte, ſei es auf dem Gebiete der Rechts- ordnung oder auf dem Gebiete der Verwaltungsthätigkeit, über- haupt nicht mehr hat, kann er auch keine Verpflichtung über die Art und Weiſe ihrer Ausübung übernehmen 1). II. Innerhalb des Umfanges, in welchem die Einzelſtaaten hiernach Staatsverträge abſchließen dürfen, ergeben ſich für die Wirkungen derſelben zwei Beſchränkungen, von denen die eine ſtaatsrechtlicher, die andere völkerrechtlicher Natur iſt. 1. Auch auf denjenigen Gebieten ſtaatlicher Thätigkeit, auf welchen den Einzelſtaaten ſelbſtſtändige Hoheitsrechte verblieben ſind, iſt ihre Gewalt keine ſouveraine, ſondern durch die Reichs- gewalt beſchränkte. Sie können daher keine Staatsverträge ab- ſchließen, durch deren Erfüllung ſie ſich mit den Anordnungen der Reichsgeſetze oder der gültig erlaſſenen Verordnungen der Reichs- behörden in Widerſpruch ſetzen würden 2). Ihre Handlungsfreiheit 1) Vgl. auch Thudichum S. 250. v. Rönne (1. Aufl.) S. 60. Meier S. 271 ff. Schulze, Preuß. Staatsr. II. S. 829. 2) Hierſemenzel I. S. 51 Z. 5. 13*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/209>, abgerufen am 24.04.2024.