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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
wie die Souverainetät, deren Ausfluß und Bethätigung es ist, und
die Frage nach dem Subject der gesetzgebenden Gewalt ist iden-
tisch mit der Frage nach dem Träger der Staatsgewalt.

Die Lehre von der Theilung der Gewalten beruht
in der Hauptsache auf der Verkennung des hier entwickelten Gegen-
satzes 1). Da in dem constitutionellen Staate der Monarch kein
Gesetz erlassen darf, welches die Volksvertretung nicht genehmigt
hat, und andererseits kein Beschluß der Volksvertretung Gesetzes-
kraft erlangt, wenn der Monarch demselben nicht die Sanction er-
theilt, so faßte man das Wesen der Gesetzgebung als eine Verein-
barung zwischen dem Monarchen und dem Landtage auf. Der
Willensact der einheitlichen Staatspersönlichkeit wurde in den Con-
sens zweier Contrahenten aufgelöst 2). Man sah einerseits in der
Beschlußfassung der Volksvertretung über den Inhalt des Gesetzes
eine Bethätigung der Gesetzgebungsgewalt und man nannte die
Volksvertretung deshalb "den gesetzgebenden Körper"; andererseits
zog man die königliche Sanction herunter zu einer bloßen Zustim-
mung zu den Beschlüssen des corps legislatif. Formen und Aus-
drücke des englischen Rechtes wurden auch hier von Einfluß. Da
in England die Zustimmung des Königs zu der vom Parlament
beschlossenen Bill Royal Assent 3) heißt, so bezeichnete auch die
französische Constitution von 1791 die vom Könige ertheilte Sanc-

1) Eine Kritik dieser Lehre, welche die Einheit des Staates zerstört und
welche weder logisch haltbar noch praktisch durchführbar ist, kann hier unter-
bleiben, da in der deutschen, politischen und staatsrechtlichen Literatur über die
Verwerflichkeit dieser Theorie seit langer Zeit fast vollkommenes Einverständniß
besteht. Vergl. v. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaft I.
S. 280--282. Eine Ausnahme macht neuerdings Westerkamp, Ueber die
Reichsverf. S. 89 ff., der sich wieder für diese Lehre erwärmt.
2) Der mittelalterliche Staat und insbesondere der auf den Trümmern
des Feudalwesens erwachsene ständische Staat hat bekanntlich die gesetzgebende
Gewalt des Staates nur sehr unvollkommen entwickelt und an ihre Stelle eine
vertragsmäßige Vereinbarung über die Befolgung gewisser Rechtsnormen ge-
setzt. Anschauungen dieser Art wirkten noch lange nach, auch nachdem der
moderne organische Staatsbegriff bereits ausgebildet war.
3) Dieser Ausdruck, sowie die in England übliche Sanctions-Formel "le
roy le veult
" erklären sich daraus, daß in früherer Zeit alle Bills des Par-
lamentes die Form von Petitionen an die Krone hatten. Vgl. May,
Das englische Parlament und sein Verfahren (übers. v. Oppenheim) S. 378 fg.
Cox, die Staatseinrichtungen Englands (übersetzt von Kühne) S. 14. 42.

§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
wie die Souverainetät, deren Ausfluß und Bethätigung es iſt, und
die Frage nach dem Subject der geſetzgebenden Gewalt iſt iden-
tiſch mit der Frage nach dem Träger der Staatsgewalt.

Die Lehre von der Theilung der Gewalten beruht
in der Hauptſache auf der Verkennung des hier entwickelten Gegen-
ſatzes 1). Da in dem conſtitutionellen Staate der Monarch kein
Geſetz erlaſſen darf, welches die Volksvertretung nicht genehmigt
hat, und andererſeits kein Beſchluß der Volksvertretung Geſetzes-
kraft erlangt, wenn der Monarch demſelben nicht die Sanction er-
theilt, ſo faßte man das Weſen der Geſetzgebung als eine Verein-
barung zwiſchen dem Monarchen und dem Landtage auf. Der
Willensact der einheitlichen Staatsperſönlichkeit wurde in den Con-
ſens zweier Contrahenten aufgelöst 2). Man ſah einerſeits in der
Beſchlußfaſſung der Volksvertretung über den Inhalt des Geſetzes
eine Bethätigung der Geſetzgebungsgewalt und man nannte die
Volksvertretung deshalb „den geſetzgebenden Körper“; andererſeits
zog man die königliche Sanction herunter zu einer bloßen Zuſtim-
mung zu den Beſchlüſſen des corps législatif. Formen und Aus-
drücke des engliſchen Rechtes wurden auch hier von Einfluß. Da
in England die Zuſtimmung des Königs zu der vom Parlament
beſchloſſenen Bill Royal Assent 3) heißt, ſo bezeichnete auch die
franzöſiſche Conſtitution von 1791 die vom Könige ertheilte Sanc-

1) Eine Kritik dieſer Lehre, welche die Einheit des Staates zerſtört und
welche weder logiſch haltbar noch praktiſch durchführbar iſt, kann hier unter-
bleiben, da in der deutſchen, politiſchen und ſtaatsrechtlichen Literatur über die
Verwerflichkeit dieſer Theorie ſeit langer Zeit faſt vollkommenes Einverſtändniß
beſteht. Vergl. v. Mohl, Geſchichte und Literatur der Staatswiſſenſchaft I.
S. 280—282. Eine Ausnahme macht neuerdings Weſterkamp, Ueber die
Reichsverf. S. 89 ff., der ſich wieder für dieſe Lehre erwärmt.
2) Der mittelalterliche Staat und insbeſondere der auf den Trümmern
des Feudalweſens erwachſene ſtändiſche Staat hat bekanntlich die geſetzgebende
Gewalt des Staates nur ſehr unvollkommen entwickelt und an ihre Stelle eine
vertragsmäßige Vereinbarung über die Befolgung gewiſſer Rechtsnormen ge-
ſetzt. Anſchauungen dieſer Art wirkten noch lange nach, auch nachdem der
moderne organiſche Staatsbegriff bereits ausgebildet war.
3) Dieſer Ausdruck, ſowie die in England übliche Sanctions-Formel »le
roy le veult
« erklären ſich daraus, daß in früherer Zeit alle Bills des Par-
lamentes die Form von Petitionen an die Krone hatten. Vgl. May,
Das engliſche Parlament und ſein Verfahren (überſ. v. Oppenheim) S. 378 fg.
Cox, die Staatseinrichtungen Englands (überſetzt von Kühne) S. 14. 42.
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[7/0021] §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. wie die Souverainetät, deren Ausfluß und Bethätigung es iſt, und die Frage nach dem Subject der geſetzgebenden Gewalt iſt iden- tiſch mit der Frage nach dem Träger der Staatsgewalt. Die Lehre von der Theilung der Gewalten beruht in der Hauptſache auf der Verkennung des hier entwickelten Gegen- ſatzes 1). Da in dem conſtitutionellen Staate der Monarch kein Geſetz erlaſſen darf, welches die Volksvertretung nicht genehmigt hat, und andererſeits kein Beſchluß der Volksvertretung Geſetzes- kraft erlangt, wenn der Monarch demſelben nicht die Sanction er- theilt, ſo faßte man das Weſen der Geſetzgebung als eine Verein- barung zwiſchen dem Monarchen und dem Landtage auf. Der Willensact der einheitlichen Staatsperſönlichkeit wurde in den Con- ſens zweier Contrahenten aufgelöst 2). Man ſah einerſeits in der Beſchlußfaſſung der Volksvertretung über den Inhalt des Geſetzes eine Bethätigung der Geſetzgebungsgewalt und man nannte die Volksvertretung deshalb „den geſetzgebenden Körper“; andererſeits zog man die königliche Sanction herunter zu einer bloßen Zuſtim- mung zu den Beſchlüſſen des corps législatif. Formen und Aus- drücke des engliſchen Rechtes wurden auch hier von Einfluß. Da in England die Zuſtimmung des Königs zu der vom Parlament beſchloſſenen Bill Royal Assent 3) heißt, ſo bezeichnete auch die franzöſiſche Conſtitution von 1791 die vom Könige ertheilte Sanc- 1) Eine Kritik dieſer Lehre, welche die Einheit des Staates zerſtört und welche weder logiſch haltbar noch praktiſch durchführbar iſt, kann hier unter- bleiben, da in der deutſchen, politiſchen und ſtaatsrechtlichen Literatur über die Verwerflichkeit dieſer Theorie ſeit langer Zeit faſt vollkommenes Einverſtändniß beſteht. Vergl. v. Mohl, Geſchichte und Literatur der Staatswiſſenſchaft I. S. 280—282. Eine Ausnahme macht neuerdings Weſterkamp, Ueber die Reichsverf. S. 89 ff., der ſich wieder für dieſe Lehre erwärmt. 2) Der mittelalterliche Staat und insbeſondere der auf den Trümmern des Feudalweſens erwachſene ſtändiſche Staat hat bekanntlich die geſetzgebende Gewalt des Staates nur ſehr unvollkommen entwickelt und an ihre Stelle eine vertragsmäßige Vereinbarung über die Befolgung gewiſſer Rechtsnormen ge- ſetzt. Anſchauungen dieſer Art wirkten noch lange nach, auch nachdem der moderne organiſche Staatsbegriff bereits ausgebildet war. 3) Dieſer Ausdruck, ſowie die in England übliche Sanctions-Formel »le roy le veult« erklären ſich daraus, daß in früherer Zeit alle Bills des Par- lamentes die Form von Petitionen an die Krone hatten. Vgl. May, Das engliſche Parlament und ſein Verfahren (überſ. v. Oppenheim) S. 378 fg. Cox, die Staatseinrichtungen Englands (überſetzt von Kühne) S. 14. 42.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/21>, abgerufen am 28.03.2024.