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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 71. Die Verwaltung der Post und Telegraphie.
gesagt werden, daß der Staat durch den Betrieb der Post und
Telegraphie den aus seinem Begriff sich ergebenden Kreis von
Aufgaben überschreitet. Der Staat hat die Pflege der Wohlfahrt
des Volkes zur wesentlichen Aufgabe; wenn es demnach zur Er-
reichung dieser Aufgabe geboten erscheint, Anstalten für den Ver-
kehr von Staatswegen zu errichten, so handelt der Staat durch
Erfüllung dieses Gebotes innerhalb seiner begriffsmäßigen Zwecke.
Es verhält sich damit ganz ähnlich wie mit dem Betriebe von
Eisenbahnen, von Bankgeschäften, von Versicherungs- und Versor-
gungs- (Pensions-) Anstalten durch den Staat. Der Staat hält
die Post- und Telegraphen-Anstalten nicht ausschließlich im fiska-
lischen Finanz-Interesse; er betreibt in denselben nicht ein Gewerbe
im gewöhnlichen Sinne d. h. eine ausschließlich oder vorzugsweise
auf Vermögenserwerb gerichtete Thätigkeit; es sind vielmehr zugleich
öffentliche Interessen, welche er dabei verfolgt; er befriedigt ein
unabweisbares Bedürfniß sowohl des Staats selbst, als der ein-
zelnen Angehörigen desselben. Post und Telegraphie sind deshalb
nicht einfache und gewöhnliche Handelsgewerbe, welche schlechthin
unter den Regeln des Privatrechtes stehen, sondern sie sind öffent-
liche Verwaltungszweige, die nach Grundsätzen des öffentlichen
Rechtes zu beurtheilen sind. Aber während der Staat durch Aus-
übung der Militär-, Gerichts-, Polizei- und Finanzhoheit seine An-
gehörigen beherrscht, dient er ihnen durch den Betrieb der Post
und Telegraphie; er übt gegen sie keinen Zwang aus; er fordert
keine Leistungen und Unterlassungen; er tritt mit dem einzelnen
Staatsunterthanen nur auf Wunsch und Willen des letzteren in
ein rechtliches Verhältniß; er begründet dasselbe durch Vertrag
und zwar stets nur auf Antrag des Einzelnen, der vom Staate
die Ausführung eines Transportes verlangt; niemals dagegen
durch Befehl, dem der Unterthan auch wider oder ohne seinen
Willen gehorchen müßte. Bei allen von der Post- und Telegraphen-
Anstalt zu verrichtenden Leistungen steht deshalb der Staat dem
Einzelnen nicht als übergeordneter Herr, sondern als gleichbe-
rechtigter Contrahent gegenüber 1). Das allgemeine Privatrecht

Parlamentsacte v. 31. Juli 1868 beschlossen worden, die Telegraphen durch
Ankauf oder Expropriation zu erwerben und die Verwaltung der Telegraphie
dem Staate zu übertragen. Meili S. 23.
1) Vgl. Schellmann, Rechtl. Natur des Postbeförderungs-Vertrages

§. 71. Die Verwaltung der Poſt und Telegraphie.
geſagt werden, daß der Staat durch den Betrieb der Poſt und
Telegraphie den aus ſeinem Begriff ſich ergebenden Kreis von
Aufgaben überſchreitet. Der Staat hat die Pflege der Wohlfahrt
des Volkes zur weſentlichen Aufgabe; wenn es demnach zur Er-
reichung dieſer Aufgabe geboten erſcheint, Anſtalten für den Ver-
kehr von Staatswegen zu errichten, ſo handelt der Staat durch
Erfüllung dieſes Gebotes innerhalb ſeiner begriffsmäßigen Zwecke.
Es verhält ſich damit ganz ähnlich wie mit dem Betriebe von
Eiſenbahnen, von Bankgeſchäften, von Verſicherungs- und Verſor-
gungs- (Penſions-) Anſtalten durch den Staat. Der Staat hält
die Poſt- und Telegraphen-Anſtalten nicht ausſchließlich im fiska-
liſchen Finanz-Intereſſe; er betreibt in denſelben nicht ein Gewerbe
im gewöhnlichen Sinne d. h. eine ausſchließlich oder vorzugsweiſe
auf Vermögenserwerb gerichtete Thätigkeit; es ſind vielmehr zugleich
öffentliche Intereſſen, welche er dabei verfolgt; er befriedigt ein
unabweisbares Bedürfniß ſowohl des Staats ſelbſt, als der ein-
zelnen Angehörigen deſſelben. Poſt und Telegraphie ſind deshalb
nicht einfache und gewöhnliche Handelsgewerbe, welche ſchlechthin
unter den Regeln des Privatrechtes ſtehen, ſondern ſie ſind öffent-
liche Verwaltungszweige, die nach Grundſätzen des öffentlichen
Rechtes zu beurtheilen ſind. Aber während der Staat durch Aus-
übung der Militär-, Gerichts-, Polizei- und Finanzhoheit ſeine An-
gehörigen beherrſcht, dient er ihnen durch den Betrieb der Poſt
und Telegraphie; er übt gegen ſie keinen Zwang aus; er fordert
keine Leiſtungen und Unterlaſſungen; er tritt mit dem einzelnen
Staatsunterthanen nur auf Wunſch und Willen des letzteren in
ein rechtliches Verhältniß; er begründet daſſelbe durch Vertrag
und zwar ſtets nur auf Antrag des Einzelnen, der vom Staate
die Ausführung eines Transportes verlangt; niemals dagegen
durch Befehl, dem der Unterthan auch wider oder ohne ſeinen
Willen gehorchen müßte. Bei allen von der Poſt- und Telegraphen-
Anſtalt zu verrichtenden Leiſtungen ſteht deshalb der Staat dem
Einzelnen nicht als übergeordneter Herr, ſondern als gleichbe-
rechtigter Contrahent gegenüber 1). Das allgemeine Privatrecht

Parlamentsacte v. 31. Juli 1868 beſchloſſen worden, die Telegraphen durch
Ankauf oder Expropriation zu erwerben und die Verwaltung der Telegraphie
dem Staate zu übertragen. Meili S. 23.
1) Vgl. Schellmann, Rechtl. Natur des Poſtbeförderungs-Vertrages
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[295/0309] §. 71. Die Verwaltung der Poſt und Telegraphie. geſagt werden, daß der Staat durch den Betrieb der Poſt und Telegraphie den aus ſeinem Begriff ſich ergebenden Kreis von Aufgaben überſchreitet. Der Staat hat die Pflege der Wohlfahrt des Volkes zur weſentlichen Aufgabe; wenn es demnach zur Er- reichung dieſer Aufgabe geboten erſcheint, Anſtalten für den Ver- kehr von Staatswegen zu errichten, ſo handelt der Staat durch Erfüllung dieſes Gebotes innerhalb ſeiner begriffsmäßigen Zwecke. Es verhält ſich damit ganz ähnlich wie mit dem Betriebe von Eiſenbahnen, von Bankgeſchäften, von Verſicherungs- und Verſor- gungs- (Penſions-) Anſtalten durch den Staat. Der Staat hält die Poſt- und Telegraphen-Anſtalten nicht ausſchließlich im fiska- liſchen Finanz-Intereſſe; er betreibt in denſelben nicht ein Gewerbe im gewöhnlichen Sinne d. h. eine ausſchließlich oder vorzugsweiſe auf Vermögenserwerb gerichtete Thätigkeit; es ſind vielmehr zugleich öffentliche Intereſſen, welche er dabei verfolgt; er befriedigt ein unabweisbares Bedürfniß ſowohl des Staats ſelbſt, als der ein- zelnen Angehörigen deſſelben. Poſt und Telegraphie ſind deshalb nicht einfache und gewöhnliche Handelsgewerbe, welche ſchlechthin unter den Regeln des Privatrechtes ſtehen, ſondern ſie ſind öffent- liche Verwaltungszweige, die nach Grundſätzen des öffentlichen Rechtes zu beurtheilen ſind. Aber während der Staat durch Aus- übung der Militär-, Gerichts-, Polizei- und Finanzhoheit ſeine An- gehörigen beherrſcht, dient er ihnen durch den Betrieb der Poſt und Telegraphie; er übt gegen ſie keinen Zwang aus; er fordert keine Leiſtungen und Unterlaſſungen; er tritt mit dem einzelnen Staatsunterthanen nur auf Wunſch und Willen des letzteren in ein rechtliches Verhältniß; er begründet daſſelbe durch Vertrag und zwar ſtets nur auf Antrag des Einzelnen, der vom Staate die Ausführung eines Transportes verlangt; niemals dagegen durch Befehl, dem der Unterthan auch wider oder ohne ſeinen Willen gehorchen müßte. Bei allen von der Poſt- und Telegraphen- Anſtalt zu verrichtenden Leiſtungen ſteht deshalb der Staat dem Einzelnen nicht als übergeordneter Herr, ſondern als gleichbe- rechtigter Contrahent gegenüber 1). Das allgemeine Privatrecht 5) 1) Vgl. Schellmann, Rechtl. Natur des Poſtbeförderungs-Vertrages 5) Parlamentsacte v. 31. Juli 1868 beſchloſſen worden, die Telegraphen durch Ankauf oder Expropriation zu erwerben und die Verwaltung der Telegraphie dem Staate zu übertragen. Meili S. 23.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/309>, abgerufen am 19.04.2024.