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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
deutung der Promulgation wieder verdunkelt. Schon der Art. 1
des Code civ. schreibt der Promulgation eine Wirkung zu, welche
nicht ihr, sondern der Sanction zukömmt, indem er bestimmt, daß
die Gesetze vollstreckbar sind en vertu de la promulgation. Ver-
gebens wurde bei den Berathungen des Corps legislatif ausge-
führt, daß diese Bestimmung mit dem Wesen der Promulgation
im Widerspruch stehe 1). Da dem Chef der Regierung in Wahr-
heit die gesetzgebende Gewalt übertragen werden sollte, nach der
Verfassung aber die Sanction der Gesetze dem Corps legislatif
und nur die Promulgation dem ersten Consul zustand, so begann
man das Gesetzbuch mit dem Satze, daß die Gesetze ihre verbind-
liche Kraft erhalten en vertu de la promulgation. Die Redner
der Regierung, Portalis und Boulay, versuchten die Bedeu-
tung des Satzes zu verhüllen 2).

Nach der Restauration fallen Promulgation und Sanction
wieder zusammen, in derselben Weise wie dies 1789 der Fall war.
Sowohl die Charte von 1814 Art. 22 wie die Charte von 1830
Art. 18 bestimmten: "Le Roi seul sanctionne et promulgue les
lois."
Zur Promulgation gehört aber nicht nur die authentische
Erklärung der Sanction, sondern auch die formelle Bestätigung,
daß die Voraussetzung der Sanction, nämlich die Genehmigung
des Gesetzes durch die Kammern vorhanden ist 3). Dagegen legt
die Ordonnanz v. 27. Nov. 1816 dem Worte Promulgation einen
völlig verschiedenen Sinn unter, indem Art. 1. derselben lautet:

1) Der Deputirte M. Andrieux machte in der Sitzung des Corps le-
gislatif
v. 23 Frimaire des Jahres X. (14. Dezbr. 1801) geltend: "La pro-
mulgation n'est en aucune maniere un acte legislatif; elle n'a pour objet
que de certifier la loi et declarer, qu'elle n'a point ete attaquee pour
cause d'inconstitutionalite."
(Locre I. S. 438.) Der Redner des Tri-
bunals Favard charakterisirte das Wesen der Promulgation, indem er sagte:
"La promulgation n'est autre chose que le cachet du gouvernement,
qui atteste, que la loi qui est presentee aux citoyens a recu tous les
caracteres qui la constituent loi, et n'a point ete denoncee au Senat Con-
servateur pour cause d'inconstitutionalite."
(Locre I. S. 534.)
2) Vrgl. Locre I. S. 516.
3) Das Reglement v. 13. Aug. 1814 Tit. 4 Art. 3 schreibt vor, daß der
König die Sanction ertheilt, "en faisant inscrire sur la minute, que ladite
loi disputee, deliberee et adoptee par les deux chambres, sera publiee et
enregistree pour etre executee comme loi de l'Etat."
Vrgl. die entspre-
chende Bestimmung des Ges. v. 9. Nov. 1789 oben S. 17 Note 2.
2*

§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
deutung der Promulgation wieder verdunkelt. Schon der Art. 1
des Code civ. ſchreibt der Promulgation eine Wirkung zu, welche
nicht ihr, ſondern der Sanction zukömmt, indem er beſtimmt, daß
die Geſetze vollſtreckbar ſind en vertu de la promulgation. Ver-
gebens wurde bei den Berathungen des Corps législatif ausge-
führt, daß dieſe Beſtimmung mit dem Weſen der Promulgation
im Widerſpruch ſtehe 1). Da dem Chef der Regierung in Wahr-
heit die geſetzgebende Gewalt übertragen werden ſollte, nach der
Verfaſſung aber die Sanction der Geſetze dem Corps législatif
und nur die Promulgation dem erſten Conſul zuſtand, ſo begann
man das Geſetzbuch mit dem Satze, daß die Geſetze ihre verbind-
liche Kraft erhalten en vertu de la promulgation. Die Redner
der Regierung, Portalis und Boulay, verſuchten die Bedeu-
tung des Satzes zu verhüllen 2).

Nach der Reſtauration fallen Promulgation und Sanction
wieder zuſammen, in derſelben Weiſe wie dies 1789 der Fall war.
Sowohl die Charte von 1814 Art. 22 wie die Charte von 1830
Art. 18 beſtimmten: »Le Roi seul sanctionne et promulgue les
lois.«
Zur Promulgation gehört aber nicht nur die authentiſche
Erklärung der Sanction, ſondern auch die formelle Beſtätigung,
daß die Vorausſetzung der Sanction, nämlich die Genehmigung
des Geſetzes durch die Kammern vorhanden iſt 3). Dagegen legt
die Ordonnanz v. 27. Nov. 1816 dem Worte Promulgation einen
völlig verſchiedenen Sinn unter, indem Art. 1. derſelben lautet:

1) Der Deputirte M. Andrieux machte in der Sitzung des Corps lé-
gislatif
v. 23 Frimaire des Jahres X. (14. Dezbr. 1801) geltend: »La pro-
mulgation n’est en aucune manière un acte législatif; elle n’a pour objet
que de certifier la loi et déclarer, qu’elle n’a point été attaquée pour
cause d’inconstitutionalité.«
(Locré I. S. 438.) Der Redner des Tri-
bunals Favard charakteriſirte das Weſen der Promulgation, indem er ſagte:
»La promulgation n’est autre chose que le cachet du gouvernement,
qui atteste, que la loi qui est presentée aux citoyens a reçu tous les
caractères qui la constituent loi, et n’a point été dénoncée au Sénat Con-
servateur pour cause d’inconstitutionalité.«
(Locré I. S. 534.)
2) Vrgl. Locré I. S. 516.
3) Das Reglement v. 13. Aug. 1814 Tit. 4 Art. 3 ſchreibt vor, daß der
König die Sanction ertheilt, »en faisant inscrire sur la minute, que ladite
loi disputée, deliberée et adoptée par les deux chambres, sera publiée et
enregistrée pour être exécutée comme loi de l’État.«
Vrgl. die entſpre-
chende Beſtimmung des Geſ. v. 9. Nov. 1789 oben S. 17 Note 2.
2*
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[19/0033] §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. deutung der Promulgation wieder verdunkelt. Schon der Art. 1 des Code civ. ſchreibt der Promulgation eine Wirkung zu, welche nicht ihr, ſondern der Sanction zukömmt, indem er beſtimmt, daß die Geſetze vollſtreckbar ſind en vertu de la promulgation. Ver- gebens wurde bei den Berathungen des Corps législatif ausge- führt, daß dieſe Beſtimmung mit dem Weſen der Promulgation im Widerſpruch ſtehe 1). Da dem Chef der Regierung in Wahr- heit die geſetzgebende Gewalt übertragen werden ſollte, nach der Verfaſſung aber die Sanction der Geſetze dem Corps législatif und nur die Promulgation dem erſten Conſul zuſtand, ſo begann man das Geſetzbuch mit dem Satze, daß die Geſetze ihre verbind- liche Kraft erhalten en vertu de la promulgation. Die Redner der Regierung, Portalis und Boulay, verſuchten die Bedeu- tung des Satzes zu verhüllen 2). Nach der Reſtauration fallen Promulgation und Sanction wieder zuſammen, in derſelben Weiſe wie dies 1789 der Fall war. Sowohl die Charte von 1814 Art. 22 wie die Charte von 1830 Art. 18 beſtimmten: »Le Roi seul sanctionne et promulgue les lois.« Zur Promulgation gehört aber nicht nur die authentiſche Erklärung der Sanction, ſondern auch die formelle Beſtätigung, daß die Vorausſetzung der Sanction, nämlich die Genehmigung des Geſetzes durch die Kammern vorhanden iſt 3). Dagegen legt die Ordonnanz v. 27. Nov. 1816 dem Worte Promulgation einen völlig verſchiedenen Sinn unter, indem Art. 1. derſelben lautet: 1) Der Deputirte M. Andrieux machte in der Sitzung des Corps lé- gislatif v. 23 Frimaire des Jahres X. (14. Dezbr. 1801) geltend: »La pro- mulgation n’est en aucune manière un acte législatif; elle n’a pour objet que de certifier la loi et déclarer, qu’elle n’a point été attaquée pour cause d’inconstitutionalité.« (Locré I. S. 438.) Der Redner des Tri- bunals Favard charakteriſirte das Weſen der Promulgation, indem er ſagte: »La promulgation n’est autre chose que le cachet du gouvernement, qui atteste, que la loi qui est presentée aux citoyens a reçu tous les caractères qui la constituent loi, et n’a point été dénoncée au Sénat Con- servateur pour cause d’inconstitutionalité.« (Locré I. S. 534.) 2) Vrgl. Locré I. S. 516. 3) Das Reglement v. 13. Aug. 1814 Tit. 4 Art. 3 ſchreibt vor, daß der König die Sanction ertheilt, »en faisant inscrire sur la minute, que ladite loi disputée, deliberée et adoptée par les deux chambres, sera publiée et enregistrée pour être exécutée comme loi de l’État.« Vrgl. die entſpre- chende Beſtimmung des Geſ. v. 9. Nov. 1789 oben S. 17 Note 2. 2*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/33>, abgerufen am 19.04.2024.