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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.

Insoweit die Eingangsworte des Gesetzes Promulgationsformel
sind, wird die Bedeutung derselben unten erörtert werden; an
dieser Stelle kommen sie nur als Sanctions-Erklärung in Betracht.

2. Die wichtigste Frage, welche sich in Betreff der Sanction
erhebt, ist die nach dem Organ, welches den Gesetzen die Sanc-
tion ertheilt. Die Eingangsformel der Reichsgesetze scheint darauf
eine einfache und zweifellose Antwort zu geben; denn nach ihr ist
es der Kaiser, welcher die Anordnung erläßt. Bei näherer
Prüfung erweist sich diese Annahme aber als unhaltbar und weder
mit der Natur der Sache noch mit den Bestimmungen der Reichs-
verfassung vereinbar.

Da die gesetzgebende Gewalt des Staates identisch ist mit der
Staatsgewalt, so ergiebt sich, daß nur der Souverain des Staates,
der Träger der Staatsgewalt, Gesetzgeber sein, d. h. den Gesetzen
die Sanction ertheilen kann. In der Sanction der Gesetze kommt
der staatliche Herrschaftswille unmittelbar zum Ausdrucke. Sowie
man sagen kann, daß dem Träger der Souveränetät die Sanction
der Gesetze zusteht, so kann man auch umgekehrt schließen, daß
demjenigen, der in einem Staatswesen die Gesetze sanctionirt, die
souveräne Staatsgewalt zusteht. Die Sanction ist der Kernpunkt
des ganzen Gesetzgebungs-Vorganges; Alles, was vorher auf dem
Wege der Gesetzgebung geschieht, ist nur Vorbereitung derselben,
Erfüllung von erforderlichen Vorbedingungen; Alles, was nachher
geschieht, ist nothwendige Rechtsfolge der Sanction; unabwendbar
durch dieselbe bereits verursacht. Der entscheidende und freie Wille,
ob etwas Gesetz werden soll oder nicht, kömmt allein bei der Sanc-
tion zur Entfaltung. Daraus folgt mit Nothwendigkeit, daß der-
jenige, der das Recht hat, die Sanction zu ertheilen, auch das
Recht haben muß, sie zu versagen, oder wie man sich gewöhnlich
ausdrückt, daß ihm das absolute Veto zustehen muß. Wer die
Sanctionsformel in Folge des Willens eines Anderen auf ein
Gesetz schreiben muß, auch ohne daß er selbst will, aber kraft
rechtlicher Nöthigung, der ertheilt in Wahrheit die Sanction nicht,
der ist nicht Träger der gesetzgebenden Gewalt, sondern jener An-
dere, in dessen freier Entschließung es steht, jenen Beschluß zu
fassen oder nicht. Hieraus ergiebt sich, daß man dem Kaiser nur
dann die Sanction der Reichsgesetze zuschreiben kann, wenn man
ihm zugleich das sogen. absolute Veto, d. h. die Befugniß, die

§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.

Inſoweit die Eingangsworte des Geſetzes Promulgationsformel
ſind, wird die Bedeutung derſelben unten erörtert werden; an
dieſer Stelle kommen ſie nur als Sanctions-Erklärung in Betracht.

2. Die wichtigſte Frage, welche ſich in Betreff der Sanction
erhebt, iſt die nach dem Organ, welches den Geſetzen die Sanc-
tion ertheilt. Die Eingangsformel der Reichsgeſetze ſcheint darauf
eine einfache und zweifelloſe Antwort zu geben; denn nach ihr iſt
es der Kaiſer, welcher die Anordnung erläßt. Bei näherer
Prüfung erweist ſich dieſe Annahme aber als unhaltbar und weder
mit der Natur der Sache noch mit den Beſtimmungen der Reichs-
verfaſſung vereinbar.

Da die geſetzgebende Gewalt des Staates identiſch iſt mit der
Staatsgewalt, ſo ergiebt ſich, daß nur der Souverain des Staates,
der Träger der Staatsgewalt, Geſetzgeber ſein, d. h. den Geſetzen
die Sanction ertheilen kann. In der Sanction der Geſetze kommt
der ſtaatliche Herrſchaftswille unmittelbar zum Ausdrucke. Sowie
man ſagen kann, daß dem Träger der Souveränetät die Sanction
der Geſetze zuſteht, ſo kann man auch umgekehrt ſchließen, daß
demjenigen, der in einem Staatsweſen die Geſetze ſanctionirt, die
ſouveräne Staatsgewalt zuſteht. Die Sanction iſt der Kernpunkt
des ganzen Geſetzgebungs-Vorganges; Alles, was vorher auf dem
Wege der Geſetzgebung geſchieht, iſt nur Vorbereitung derſelben,
Erfüllung von erforderlichen Vorbedingungen; Alles, was nachher
geſchieht, iſt nothwendige Rechtsfolge der Sanction; unabwendbar
durch dieſelbe bereits verurſacht. Der entſcheidende und freie Wille,
ob etwas Geſetz werden ſoll oder nicht, kömmt allein bei der Sanc-
tion zur Entfaltung. Daraus folgt mit Nothwendigkeit, daß der-
jenige, der das Recht hat, die Sanction zu ertheilen, auch das
Recht haben muß, ſie zu verſagen, oder wie man ſich gewöhnlich
ausdrückt, daß ihm das abſolute Veto zuſtehen muß. Wer die
Sanctionsformel in Folge des Willens eines Anderen auf ein
Geſetz ſchreiben muß, auch ohne daß er ſelbſt will, aber kraft
rechtlicher Nöthigung, der ertheilt in Wahrheit die Sanction nicht,
der iſt nicht Träger der geſetzgebenden Gewalt, ſondern jener An-
dere, in deſſen freier Entſchließung es ſteht, jenen Beſchluß zu
faſſen oder nicht. Hieraus ergiebt ſich, daß man dem Kaiſer nur
dann die Sanction der Reichsgeſetze zuſchreiben kann, wenn man
ihm zugleich das ſogen. abſolute Veto, d. h. die Befugniß, die

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[30/0044] §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. Inſoweit die Eingangsworte des Geſetzes Promulgationsformel ſind, wird die Bedeutung derſelben unten erörtert werden; an dieſer Stelle kommen ſie nur als Sanctions-Erklärung in Betracht. 2. Die wichtigſte Frage, welche ſich in Betreff der Sanction erhebt, iſt die nach dem Organ, welches den Geſetzen die Sanc- tion ertheilt. Die Eingangsformel der Reichsgeſetze ſcheint darauf eine einfache und zweifelloſe Antwort zu geben; denn nach ihr iſt es der Kaiſer, welcher die Anordnung erläßt. Bei näherer Prüfung erweist ſich dieſe Annahme aber als unhaltbar und weder mit der Natur der Sache noch mit den Beſtimmungen der Reichs- verfaſſung vereinbar. Da die geſetzgebende Gewalt des Staates identiſch iſt mit der Staatsgewalt, ſo ergiebt ſich, daß nur der Souverain des Staates, der Träger der Staatsgewalt, Geſetzgeber ſein, d. h. den Geſetzen die Sanction ertheilen kann. In der Sanction der Geſetze kommt der ſtaatliche Herrſchaftswille unmittelbar zum Ausdrucke. Sowie man ſagen kann, daß dem Träger der Souveränetät die Sanction der Geſetze zuſteht, ſo kann man auch umgekehrt ſchließen, daß demjenigen, der in einem Staatsweſen die Geſetze ſanctionirt, die ſouveräne Staatsgewalt zuſteht. Die Sanction iſt der Kernpunkt des ganzen Geſetzgebungs-Vorganges; Alles, was vorher auf dem Wege der Geſetzgebung geſchieht, iſt nur Vorbereitung derſelben, Erfüllung von erforderlichen Vorbedingungen; Alles, was nachher geſchieht, iſt nothwendige Rechtsfolge der Sanction; unabwendbar durch dieſelbe bereits verurſacht. Der entſcheidende und freie Wille, ob etwas Geſetz werden ſoll oder nicht, kömmt allein bei der Sanc- tion zur Entfaltung. Daraus folgt mit Nothwendigkeit, daß der- jenige, der das Recht hat, die Sanction zu ertheilen, auch das Recht haben muß, ſie zu verſagen, oder wie man ſich gewöhnlich ausdrückt, daß ihm das abſolute Veto zuſtehen muß. Wer die Sanctionsformel in Folge des Willens eines Anderen auf ein Geſetz ſchreiben muß, auch ohne daß er ſelbſt will, aber kraft rechtlicher Nöthigung, der ertheilt in Wahrheit die Sanction nicht, der iſt nicht Träger der geſetzgebenden Gewalt, ſondern jener An- dere, in deſſen freier Entſchließung es ſteht, jenen Beſchluß zu faſſen oder nicht. Hieraus ergiebt ſich, daß man dem Kaiſer nur dann die Sanction der Reichsgeſetze zuſchreiben kann, wenn man ihm zugleich das ſogen. abſolute Veto, d. h. die Befugniß, die

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/44>, abgerufen am 24.04.2024.