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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.
vermittelst eines Reichsgesetzblattes geschieht". In Wahrheit be-
ruht die verbindliche Kraft der Reichsgesetze nicht auf ihrem Ab-
druck im Gesetzblatte, sondern auf der ihnen ertheilten Sanction;
aber diese Sanction hat zur Folge die Kaiserliche Promulga-
tion
(Ausfertigung und Verkündigungs-Befehl); und die Promul-
gation hat wieder zur Folge die vom Reichskanzler bewirkte Pu-
blikation
durch Abdruck im Reichsgesetzblatt. Aus dieser,
unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erfolgten Verkün-
digung ergiebt sich daher einerseits der Rückschluß auf die verfas-
sungsmäßig geschehene Sanction und andererseits erlangt ohne
die Verkündigung im Reichsgesetzblatt kein Reichsgesetz verbindliche
Kraft. Im praktischen Resultate verhält es sich demnach scheinbar
so, als erhielten die Reichsgesetze in der That ihre verbindliche
Kraft "durch ihre Verkündigung vermittelst des Reichsgesetz-
blattes".

V. Der gesammte Gesetzgebungs-Akt von der Einbringung des
Entwurfs im Reichstage bis zur Verkündigung der ausgefertigten
Gesetzes-Urkunde im Reichsgesetzblatt muß nach einer allgemeinen
Uebung, die sich zu einem wirklichen constitutionellen Gewohnheits-
recht gestaltet hat, beendet sein bevor der Reichstag zu einer neuen
Session zusammentritt. Es beruht dies theils auf dem sogen.
Prinzip der Discontinuität der Reichstags-Sessionen 1), theils auf
einer Rücksicht auf den Reichstag, dessen Majorität vielleicht wegen
veränderter Verhältnisse dem Gesetze zur Zeit nicht mehr zustimmen
würde, so daß es angemessen erscheint, den Entwurf ihm nochmals
vorzulegen. Eine ausdrückliche Anerkennung hat der Grundsatz
Seitens der Reichsregierung im Jahre 1871 gefunden. Die Post-
gesetze wurden dem Reichstage in der 2ten Session 1871 in der-
jenigen Fassung vorgelegt, welche der Reichstag in der 1ten Session
beschlossen hatte, nachdem der Bundesrath die anfänglich bestehen-
den Bedenken gegen die Sanktion des Gesetzentwurfs aufgegeben
hatte, inzwischen aber die Berufung des Reichstages zu einer neuen
Session erfolgt war 2).


1) Vgl. darüber Bd. I. S. 557.
2) Die Motive heben diesen Grund für die wiederholte Einbringung des
Gesetzentwurfs ausdrücklich hervor; Drucksachen des Reichstages 1871. II. Sess.
Bd. I. Nro. 9 (S. 19).

§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.
vermittelſt eines Reichsgeſetzblattes geſchieht“. In Wahrheit be-
ruht die verbindliche Kraft der Reichsgeſetze nicht auf ihrem Ab-
druck im Geſetzblatte, ſondern auf der ihnen ertheilten Sanction;
aber dieſe Sanction hat zur Folge die Kaiſerliche Promulga-
tion
(Ausfertigung und Verkündigungs-Befehl); und die Promul-
gation hat wieder zur Folge die vom Reichskanzler bewirkte Pu-
blikation
durch Abdruck im Reichsgeſetzblatt. Aus dieſer,
unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erfolgten Verkün-
digung ergiebt ſich daher einerſeits der Rückſchluß auf die verfaſ-
ſungsmäßig geſchehene Sanction und andererſeits erlangt ohne
die Verkündigung im Reichsgeſetzblatt kein Reichsgeſetz verbindliche
Kraft. Im praktiſchen Reſultate verhält es ſich demnach ſcheinbar
ſo, als erhielten die Reichsgeſetze in der That ihre verbindliche
Kraft „durch ihre Verkündigung vermittelſt des Reichsgeſetz-
blattes“.

V. Der geſammte Geſetzgebungs-Akt von der Einbringung des
Entwurfs im Reichstage bis zur Verkündigung der ausgefertigten
Geſetzes-Urkunde im Reichsgeſetzblatt muß nach einer allgemeinen
Uebung, die ſich zu einem wirklichen conſtitutionellen Gewohnheits-
recht geſtaltet hat, beendet ſein bevor der Reichstag zu einer neuen
Seſſion zuſammentritt. Es beruht dies theils auf dem ſogen.
Prinzip der Discontinuität der Reichstags-Seſſionen 1), theils auf
einer Rückſicht auf den Reichstag, deſſen Majorität vielleicht wegen
veränderter Verhältniſſe dem Geſetze zur Zeit nicht mehr zuſtimmen
würde, ſo daß es angemeſſen erſcheint, den Entwurf ihm nochmals
vorzulegen. Eine ausdrückliche Anerkennung hat der Grundſatz
Seitens der Reichsregierung im Jahre 1871 gefunden. Die Poſt-
geſetze wurden dem Reichstage in der 2ten Seſſion 1871 in der-
jenigen Faſſung vorgelegt, welche der Reichstag in der 1ten Seſſion
beſchloſſen hatte, nachdem der Bundesrath die anfänglich beſtehen-
den Bedenken gegen die Sanktion des Geſetzentwurfs aufgegeben
hatte, inzwiſchen aber die Berufung des Reichstages zu einer neuen
Seſſion erfolgt war 2).


1) Vgl. darüber Bd. I. S. 557.
2) Die Motive heben dieſen Grund für die wiederholte Einbringung des
Geſetzentwurfs ausdrücklich hervor; Druckſachen des Reichstages 1871. II. Seſſ.
Bd. I. Nro. 9 (S. 19).
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[58/0072] §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. vermittelſt eines Reichsgeſetzblattes geſchieht“. In Wahrheit be- ruht die verbindliche Kraft der Reichsgeſetze nicht auf ihrem Ab- druck im Geſetzblatte, ſondern auf der ihnen ertheilten Sanction; aber dieſe Sanction hat zur Folge die Kaiſerliche Promulga- tion (Ausfertigung und Verkündigungs-Befehl); und die Promul- gation hat wieder zur Folge die vom Reichskanzler bewirkte Pu- blikation durch Abdruck im Reichsgeſetzblatt. Aus dieſer, unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erfolgten Verkün- digung ergiebt ſich daher einerſeits der Rückſchluß auf die verfaſ- ſungsmäßig geſchehene Sanction und andererſeits erlangt ohne die Verkündigung im Reichsgeſetzblatt kein Reichsgeſetz verbindliche Kraft. Im praktiſchen Reſultate verhält es ſich demnach ſcheinbar ſo, als erhielten die Reichsgeſetze in der That ihre verbindliche Kraft „durch ihre Verkündigung vermittelſt des Reichsgeſetz- blattes“. V. Der geſammte Geſetzgebungs-Akt von der Einbringung des Entwurfs im Reichstage bis zur Verkündigung der ausgefertigten Geſetzes-Urkunde im Reichsgeſetzblatt muß nach einer allgemeinen Uebung, die ſich zu einem wirklichen conſtitutionellen Gewohnheits- recht geſtaltet hat, beendet ſein bevor der Reichstag zu einer neuen Seſſion zuſammentritt. Es beruht dies theils auf dem ſogen. Prinzip der Discontinuität der Reichstags-Seſſionen 1), theils auf einer Rückſicht auf den Reichstag, deſſen Majorität vielleicht wegen veränderter Verhältniſſe dem Geſetze zur Zeit nicht mehr zuſtimmen würde, ſo daß es angemeſſen erſcheint, den Entwurf ihm nochmals vorzulegen. Eine ausdrückliche Anerkennung hat der Grundſatz Seitens der Reichsregierung im Jahre 1871 gefunden. Die Poſt- geſetze wurden dem Reichstage in der 2ten Seſſion 1871 in der- jenigen Faſſung vorgelegt, welche der Reichstag in der 1ten Seſſion beſchloſſen hatte, nachdem der Bundesrath die anfänglich beſtehen- den Bedenken gegen die Sanktion des Geſetzentwurfs aufgegeben hatte, inzwiſchen aber die Berufung des Reichstages zu einer neuen Seſſion erfolgt war 2). 1) Vgl. darüber Bd. I. S. 557. 2) Die Motive heben dieſen Grund für die wiederholte Einbringung des Geſetzentwurfs ausdrücklich hervor; Druckſachen des Reichstages 1871. II. Seſſ. Bd. I. Nro. 9 (S. 19).

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/72>, abgerufen am 25.04.2024.