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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 83. Das stehende Heer.
selbst eingeführte, durch die Gesetze von 1871 und von 1874 pro-
longirte Friedenspräsenzstärke und die durch dieselbe bedingte Stärke
der Kadres eine bestehende Einrichtung ist, kann nicht in Ab-
rede gestellt werden. Man kann höchstens behaupten, daß sie vom
1. Januar 1882 ab nicht mehr eine "gesetzlich bestehende Ein-
richtung" sei, immerhin aber ist sie eine "bestehende Einrichtung"
und der Bundesrath kann daher gegen den Widerspruch Preußens
keinen Gesetzesvorschlag beschließen, der auf eine Abänderung dieser
bestehenden Einrichtung geht 1).

Dies findet aber gleichmäßig Anwendung sowohl auf ein
Etatsgesetz, welches eine andere Präsenzstärke als die bestehende
zur Grundlage der Militair-Ausgabe-Posten nimmt, als auch auf
ein besonderes, die Friedenspräsenzstärke auf längere Zeit oder
auf unbestimmte Dauer festsetzendes Reichsgesetz.

Sowie nun aber die Zustimmung des Kaisers (Preußens) zu
jeder gesetzlichen Abänderung der bisher bestehenden Präsenzstärke
erforderlich ist, so kann andererseits die gesetzliche Grundlage
derselben für die Zeit nach 1881 nur durch übereinstimmende
Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrathes und des
Reichstages
geschaffen, respective prolongirt werden. Denn
diese Rechtsgrundlage erlischt ipso jure mit dem 31. Dezemb.
1881; von einer Fortgeltung des §. 1 des Mil.-Ges. nach
diesem Termin, falls ein neues Gesetz über die Präsenzstärke nicht
zu Stande kömmt, kann nicht die Rede sein. Wortlaut und Ent-
stehungsgeschichte des Art. 60 der R.V. und des §. 1 des Milit.-
Gesetzes stehen entgegen 2). In einem solchen Falle würde es eben
an jeder gesetzlichen Rechtsnorm über die Frie-
denspräsenzstärke
des Heeres fehlen. Allein dessenunge-
achtet würden gewisse verfassungsmäßige Grundlagen der Heeres-
organisation vorhanden sein, welche nicht interimistisch, sondern

1) Uebereinstimmend mit dieser Ansicht sind Thudichum Verf.R. des
Nordd. Bundes S. 414 und besonders in Holtzend. Jahrbuch II S. 110 fg.,
Seydel Commentar S. 220 fg. und in Hirth's Annalen S. 1413 fg., ferner
Hiersemenzel Verf. des Nordd. Bundes I S. 160; Fricker Zeitschr.
f. die gesammte Staatswissensch. Bd. 28 S. 174 ff.; Meyer Staatsrecht
S. 517. Note 5. Die entgegengesetzte Ansicht vertreten Riedel Reichsverf.
S. 142 und v. Rönne II. 1. S. 151 ff.
2) Darüber besteht auch in der Literatur keine Meinungsverschiedenheit.

§. 83. Das ſtehende Heer.
ſelbſt eingeführte, durch die Geſetze von 1871 und von 1874 pro-
longirte Friedenspräſenzſtärke und die durch dieſelbe bedingte Stärke
der Kadres eine beſtehende Einrichtung iſt, kann nicht in Ab-
rede geſtellt werden. Man kann höchſtens behaupten, daß ſie vom
1. Januar 1882 ab nicht mehr eine „geſetzlich beſtehende Ein-
richtung“ ſei, immerhin aber iſt ſie eine „beſtehende Einrichtung“
und der Bundesrath kann daher gegen den Widerſpruch Preußens
keinen Geſetzesvorſchlag beſchließen, der auf eine Abänderung dieſer
beſtehenden Einrichtung geht 1).

Dies findet aber gleichmäßig Anwendung ſowohl auf ein
Etatsgeſetz, welches eine andere Präſenzſtärke als die beſtehende
zur Grundlage der Militair-Ausgabe-Poſten nimmt, als auch auf
ein beſonderes, die Friedenspräſenzſtärke auf längere Zeit oder
auf unbeſtimmte Dauer feſtſetzendes Reichsgeſetz.

Sowie nun aber die Zuſtimmung des Kaiſers (Preußens) zu
jeder geſetzlichen Abänderung der bisher beſtehenden Präſenzſtärke
erforderlich iſt, ſo kann andererſeits die geſetzliche Grundlage
derſelben für die Zeit nach 1881 nur durch übereinſtimmende
Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundesrathes und des
Reichstages
geſchaffen, reſpective prolongirt werden. Denn
dieſe Rechtsgrundlage erliſcht ipso jure mit dem 31. Dezemb.
1881; von einer Fortgeltung des §. 1 des Mil.-Geſ. nach
dieſem Termin, falls ein neues Geſetz über die Präſenzſtärke nicht
zu Stande kömmt, kann nicht die Rede ſein. Wortlaut und Ent-
ſtehungsgeſchichte des Art. 60 der R.V. und des §. 1 des Milit.-
Geſetzes ſtehen entgegen 2). In einem ſolchen Falle würde es eben
an jeder geſetzlichen Rechtsnorm über die Frie-
denspräſenzſtärke
des Heeres fehlen. Allein deſſenunge-
achtet würden gewiſſe verfaſſungsmäßige Grundlagen der Heeres-
organiſation vorhanden ſein, welche nicht interimiſtiſch, ſondern

1) Uebereinſtimmend mit dieſer Anſicht ſind Thudichum Verf.R. des
Nordd. Bundes S. 414 und beſonders in Holtzend. Jahrbuch II S. 110 fg.,
Seydel Commentar S. 220 fg. und in Hirth’s Annalen S. 1413 fg., ferner
Hierſemenzel Verf. des Nordd. Bundes I S. 160; Fricker Zeitſchr.
f. die geſammte Staatswiſſenſch. Bd. 28 S. 174 ff.; Meyer Staatsrecht
S. 517. Note 5. Die entgegengeſetzte Anſicht vertreten Riedel Reichsverf.
S. 142 und v. Rönne II. 1. S. 151 ff.
2) Darüber beſteht auch in der Literatur keine Meinungsverſchiedenheit.
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[91/0101] §. 83. Das ſtehende Heer. ſelbſt eingeführte, durch die Geſetze von 1871 und von 1874 pro- longirte Friedenspräſenzſtärke und die durch dieſelbe bedingte Stärke der Kadres eine beſtehende Einrichtung iſt, kann nicht in Ab- rede geſtellt werden. Man kann höchſtens behaupten, daß ſie vom 1. Januar 1882 ab nicht mehr eine „geſetzlich beſtehende Ein- richtung“ ſei, immerhin aber iſt ſie eine „beſtehende Einrichtung“ und der Bundesrath kann daher gegen den Widerſpruch Preußens keinen Geſetzesvorſchlag beſchließen, der auf eine Abänderung dieſer beſtehenden Einrichtung geht 1). Dies findet aber gleichmäßig Anwendung ſowohl auf ein Etatsgeſetz, welches eine andere Präſenzſtärke als die beſtehende zur Grundlage der Militair-Ausgabe-Poſten nimmt, als auch auf ein beſonderes, die Friedenspräſenzſtärke auf längere Zeit oder auf unbeſtimmte Dauer feſtſetzendes Reichsgeſetz. Sowie nun aber die Zuſtimmung des Kaiſers (Preußens) zu jeder geſetzlichen Abänderung der bisher beſtehenden Präſenzſtärke erforderlich iſt, ſo kann andererſeits die geſetzliche Grundlage derſelben für die Zeit nach 1881 nur durch übereinſtimmende Mehrheitsbeſchlüſſe des Bundesrathes und des Reichstages geſchaffen, reſpective prolongirt werden. Denn dieſe Rechtsgrundlage erliſcht ipso jure mit dem 31. Dezemb. 1881; von einer Fortgeltung des §. 1 des Mil.-Geſ. nach dieſem Termin, falls ein neues Geſetz über die Präſenzſtärke nicht zu Stande kömmt, kann nicht die Rede ſein. Wortlaut und Ent- ſtehungsgeſchichte des Art. 60 der R.V. und des §. 1 des Milit.- Geſetzes ſtehen entgegen 2). In einem ſolchen Falle würde es eben an jeder geſetzlichen Rechtsnorm über die Frie- denspräſenzſtärke des Heeres fehlen. Allein deſſenunge- achtet würden gewiſſe verfaſſungsmäßige Grundlagen der Heeres- organiſation vorhanden ſein, welche nicht interimiſtiſch, ſondern 1) Uebereinſtimmend mit dieſer Anſicht ſind Thudichum Verf.R. des Nordd. Bundes S. 414 und beſonders in Holtzend. Jahrbuch II S. 110 fg., Seydel Commentar S. 220 fg. und in Hirth’s Annalen S. 1413 fg., ferner Hierſemenzel Verf. des Nordd. Bundes I S. 160; Fricker Zeitſchr. f. die geſammte Staatswiſſenſch. Bd. 28 S. 174 ff.; Meyer Staatsrecht S. 517. Note 5. Die entgegengeſetzte Anſicht vertreten Riedel Reichsverf. S. 142 und v. Rönne II. 1. S. 151 ff. 2) Darüber beſteht auch in der Literatur keine Meinungsverſchiedenheit.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/101>, abgerufen am 27.05.2024.