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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 96. Einleitung.

Dagegen wurde dem Bunde die Befugniß zugewiesen, den
einzelnen Staaten die Normen vorzuschreiben, nach welchen sie
den Rechtsschutz handhaben sollten, indem die Zuständigkeit des
Bundes erstreckt wurde auf die gemeinsame Gesetzgebung "über
das gerichtliche Verfahren
." Verf. Art. 4 Ziff. 13.
Die Einzelstaaten sollten also zwar die Gerichtsbarkeit behalten,
dieselbe aber nicht nach eigener Selbstbestimmung (in souverainer
Weise) ausüben, sondern nach Anordnung des Reiches. Bis zum
Erlaß dieser gemeinsamen Gesetzgebung blieb allerdings nicht blos
die bunte Masse der partikularen Rechtsvorschriften über das Ver-
fahren in Geltung, sondern der Autonomie der Einzelstaaten war
auch ihre Fortbildung und Umgestaltung überlassen.

Diese verfassungsmäßigen Prinzipien des Gerichtswesens in-
volvirten zugleich den weiteren Grundsatz, daß die Bethätigungen
der Gerichtsbarkeit jedes Einzelstaates nur innerhalb seines Ge-
bietes staatsrechtliche Wirksamkeit haben konnten, da sie durchaus
als Ausübung der den Einzelstaaten verbliebenen Herrschaft er-
schienen. Um aber ein Zusammenwirken der Einzelstaaten zum
Zweck der Rechtspflege zu ermöglichen, wurde dem Bund die Kom-
petenz zugewiesen, "Bestimmungen über die wechselseitige Voll-
streckung von Erkenntnissen in Civilsachen und Erledigung von Re-
quisitionen überhaupt" zu erlassen. Verf. Art. 4 Ziff. 11.

Durch diese 3 Punkte nämlich 1) Ausübung der Gerichts-
barkeit Seitens der Einzelstaaten, 2) nach den vom Bund dar-
über erlassenen Vorschriften und 3) unter gegenseitiger vom Bund
zu normirender Verpflichtung zur Rechtshülfe, hatte die Verfassung
des Norddeutschen Bundes die Grundform für die Gestaltung des
Gerichtswesens festgestellt.

In der Reichsverfassung sind die erwähnten 3 Sätze
(Art. 77, Art. 4 Ziff. 13 u. Art. 4 Ziff. 11) zwar völlig gleich-
lautend mit den entsprechenden Bestimmungen der Verfassung des
Norddeutschen Bundes; bei der Gründung des Reiches war aber
der wirklich bestehende Rechtszustand bereits erheblich umgestaltet
und eine noch viel weiter reichende Veränderung desselben war in

nach diejenige Gerichtsbarkeit auf den Norddeutschen Bund über, welche mit
den vom Bund übernommenen Verwaltungszweigen in untrennbarem Zusam-
menhang stand, nämlich die Konsulargerichtsbarkeit und die Marinegerichts-
barkeit.
§. 96. Einleitung.

Dagegen wurde dem Bunde die Befugniß zugewieſen, den
einzelnen Staaten die Normen vorzuſchreiben, nach welchen ſie
den Rechtsſchutz handhaben ſollten, indem die Zuſtändigkeit des
Bundes erſtreckt wurde auf die gemeinſame Geſetzgebung „über
das gerichtliche Verfahren
.“ Verf. Art. 4 Ziff. 13.
Die Einzelſtaaten ſollten alſo zwar die Gerichtsbarkeit behalten,
dieſelbe aber nicht nach eigener Selbſtbeſtimmung (in ſouverainer
Weiſe) ausüben, ſondern nach Anordnung des Reiches. Bis zum
Erlaß dieſer gemeinſamen Geſetzgebung blieb allerdings nicht blos
die bunte Maſſe der partikularen Rechtsvorſchriften über das Ver-
fahren in Geltung, ſondern der Autonomie der Einzelſtaaten war
auch ihre Fortbildung und Umgeſtaltung überlaſſen.

Dieſe verfaſſungsmäßigen Prinzipien des Gerichtsweſens in-
volvirten zugleich den weiteren Grundſatz, daß die Bethätigungen
der Gerichtsbarkeit jedes Einzelſtaates nur innerhalb ſeines Ge-
bietes ſtaatsrechtliche Wirkſamkeit haben konnten, da ſie durchaus
als Ausübung der den Einzelſtaaten verbliebenen Herrſchaft er-
ſchienen. Um aber ein Zuſammenwirken der Einzelſtaaten zum
Zweck der Rechtspflege zu ermöglichen, wurde dem Bund die Kom-
petenz zugewieſen, „Beſtimmungen über die wechſelſeitige Voll-
ſtreckung von Erkenntniſſen in Civilſachen und Erledigung von Re-
quiſitionen überhaupt“ zu erlaſſen. Verf. Art. 4 Ziff. 11.

Durch dieſe 3 Punkte nämlich 1) Ausübung der Gerichts-
barkeit Seitens der Einzelſtaaten, 2) nach den vom Bund dar-
über erlaſſenen Vorſchriften und 3) unter gegenſeitiger vom Bund
zu normirender Verpflichtung zur Rechtshülfe, hatte die Verfaſſung
des Norddeutſchen Bundes die Grundform für die Geſtaltung des
Gerichtsweſens feſtgeſtellt.

In der Reichsverfaſſung ſind die erwähnten 3 Sätze
(Art. 77, Art. 4 Ziff. 13 u. Art. 4 Ziff. 11) zwar völlig gleich-
lautend mit den entſprechenden Beſtimmungen der Verfaſſung des
Norddeutſchen Bundes; bei der Gründung des Reiches war aber
der wirklich beſtehende Rechtszuſtand bereits erheblich umgeſtaltet
und eine noch viel weiter reichende Veränderung deſſelben war in

nach diejenige Gerichtsbarkeit auf den Norddeutſchen Bund über, welche mit
den vom Bund übernommenen Verwaltungszweigen in untrennbarem Zuſam-
menhang ſtand, nämlich die Konſulargerichtsbarkeit und die Marinegerichts-
barkeit.
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[2/0012] §. 96. Einleitung. Dagegen wurde dem Bunde die Befugniß zugewieſen, den einzelnen Staaten die Normen vorzuſchreiben, nach welchen ſie den Rechtsſchutz handhaben ſollten, indem die Zuſtändigkeit des Bundes erſtreckt wurde auf die gemeinſame Geſetzgebung „über das gerichtliche Verfahren.“ Verf. Art. 4 Ziff. 13. Die Einzelſtaaten ſollten alſo zwar die Gerichtsbarkeit behalten, dieſelbe aber nicht nach eigener Selbſtbeſtimmung (in ſouverainer Weiſe) ausüben, ſondern nach Anordnung des Reiches. Bis zum Erlaß dieſer gemeinſamen Geſetzgebung blieb allerdings nicht blos die bunte Maſſe der partikularen Rechtsvorſchriften über das Ver- fahren in Geltung, ſondern der Autonomie der Einzelſtaaten war auch ihre Fortbildung und Umgeſtaltung überlaſſen. Dieſe verfaſſungsmäßigen Prinzipien des Gerichtsweſens in- volvirten zugleich den weiteren Grundſatz, daß die Bethätigungen der Gerichtsbarkeit jedes Einzelſtaates nur innerhalb ſeines Ge- bietes ſtaatsrechtliche Wirkſamkeit haben konnten, da ſie durchaus als Ausübung der den Einzelſtaaten verbliebenen Herrſchaft er- ſchienen. Um aber ein Zuſammenwirken der Einzelſtaaten zum Zweck der Rechtspflege zu ermöglichen, wurde dem Bund die Kom- petenz zugewieſen, „Beſtimmungen über die wechſelſeitige Voll- ſtreckung von Erkenntniſſen in Civilſachen und Erledigung von Re- quiſitionen überhaupt“ zu erlaſſen. Verf. Art. 4 Ziff. 11. Durch dieſe 3 Punkte nämlich 1) Ausübung der Gerichts- barkeit Seitens der Einzelſtaaten, 2) nach den vom Bund dar- über erlaſſenen Vorſchriften und 3) unter gegenſeitiger vom Bund zu normirender Verpflichtung zur Rechtshülfe, hatte die Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes die Grundform für die Geſtaltung des Gerichtsweſens feſtgeſtellt. In der Reichsverfaſſung ſind die erwähnten 3 Sätze (Art. 77, Art. 4 Ziff. 13 u. Art. 4 Ziff. 11) zwar völlig gleich- lautend mit den entſprechenden Beſtimmungen der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes; bei der Gründung des Reiches war aber der wirklich beſtehende Rechtszuſtand bereits erheblich umgeſtaltet und eine noch viel weiter reichende Veränderung deſſelben war in 1) 1) nach diejenige Gerichtsbarkeit auf den Norddeutſchen Bund über, welche mit den vom Bund übernommenen Verwaltungszweigen in untrennbarem Zuſam- menhang ſtand, nämlich die Konſulargerichtsbarkeit und die Marinegerichts- barkeit.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/12>, abgerufen am 20.04.2024.