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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
theilte zum Zweck der Vollstreckung an den Staat, dessen Gerichte
die Strafe verhängt haben, abgeliefert werde. Dieser Grundsatz
ist jedoch modifizirt worden 1), indem die Vollstreckung einer Frei-
heitsstrafe, welche die Dauer von 6 Wochen 2) nicht übersteigt,
demjenigen Bundesstaate auferlegt worden ist, in welchem der Ver-
urtheilte sich befindet 3). Die staatsrechtliche Bedeutung dieser
Rechtsvorschrift ist folgende:

a) Der §. 163 stellt keine allgemeine Regel über den Ort
der Vollstreckung von Freiheitsstrafen auf, sondern er regelt nur
das Verhältniß der einzelnen Bundesstaaten zu einander.
Er bestimmt insbesondere nicht, daß eine Freiheitsstrafe unter 6 Wo-
chen in demjenigen Gerichtsbezirk zu vollstrecken ist, in welchem
der Verurtheilte sich befindet; es ist vielmehr die Bestimmung hier-
über den Einzelstaaten völlig überlassen. Geht das Ersuchen um
Rechtshülfe demnach an eine Staatsanwaltschaft, die demselben
Staate angehört wie das Gericht, welches das Urtheil gefällt hat,
so kann das Ersuchen ebensowohl auf Vollstreckung wie auf Ab-
lieferung gerichtet werden und es bestimmt sich ausschließlich nach
dem Partikularrecht und den Anordnungen der Justizverwaltungen,
wann das Eine oder das Andere geschehen solle.

Nur für das Verhältniß von Staat zu Staat wirkt die Vor-
schrift des §. 163 als ein Verbot, die Ablieferung des Verur-
theilten über die Landesgränze zu verlangen, beziehentl. einem
solchen Verlangen, falls es gestellt wird, zu willfahren 4).

b) Die im §. 163 enthaltene Vorschrift betrifft nur die Frei-
heitsstrafen, welche die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen,
dagegen stellt das Gesetz keinerlei Regel auf über die Vollstreckung
von Freiheitsstrafen von längerer Dauer. Mit dem argumentum
a contrario
ist aus dem §. 163 nicht zu schließen, daß Strafen

1) Im Anschluß an §. 33 des Rechtshülfe-Gesetzes.
2) Ueber die Berechnung der Dauer der Freiheitsstrafe vgl. Löwe Note 7
zu §. 163 des G.V.G.
3) Ger.Verf.Ges. §. 163.
4) Die Behörden des Aufenthaltsortes des Verurtheilten sind also nicht
blos berechtigt, die Auslieferung abzulehnen, wie Endemann I. S. 156
annimmt, sondern sie sind dazu verpflichtet. Keller Anm. 3 zu §. 163
Löwe Note 4 zu diesem §. Der letztere bemerkt zutreffend, daß die Bundes-
staaten auch nicht befugt sind, durch Staatsverträge die Zulässigkeit der
Ablieferung zu erweitern.

§. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe.
theilte zum Zweck der Vollſtreckung an den Staat, deſſen Gerichte
die Strafe verhängt haben, abgeliefert werde. Dieſer Grundſatz
iſt jedoch modifizirt worden 1), indem die Vollſtreckung einer Frei-
heitsſtrafe, welche die Dauer von 6 Wochen 2) nicht überſteigt,
demjenigen Bundesſtaate auferlegt worden iſt, in welchem der Ver-
urtheilte ſich befindet 3). Die ſtaatsrechtliche Bedeutung dieſer
Rechtsvorſchrift iſt folgende:

a) Der §. 163 ſtellt keine allgemeine Regel über den Ort
der Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen auf, ſondern er regelt nur
das Verhältniß der einzelnen Bundesſtaaten zu einander.
Er beſtimmt insbeſondere nicht, daß eine Freiheitsſtrafe unter 6 Wo-
chen in demjenigen Gerichtsbezirk zu vollſtrecken iſt, in welchem
der Verurtheilte ſich befindet; es iſt vielmehr die Beſtimmung hier-
über den Einzelſtaaten völlig überlaſſen. Geht das Erſuchen um
Rechtshülfe demnach an eine Staatsanwaltſchaft, die demſelben
Staate angehört wie das Gericht, welches das Urtheil gefällt hat,
ſo kann das Erſuchen ebenſowohl auf Vollſtreckung wie auf Ab-
lieferung gerichtet werden und es beſtimmt ſich ausſchließlich nach
dem Partikularrecht und den Anordnungen der Juſtizverwaltungen,
wann das Eine oder das Andere geſchehen ſolle.

Nur für das Verhältniß von Staat zu Staat wirkt die Vor-
ſchrift des §. 163 als ein Verbot, die Ablieferung des Verur-
theilten über die Landesgränze zu verlangen, beziehentl. einem
ſolchen Verlangen, falls es geſtellt wird, zu willfahren 4).

b) Die im §. 163 enthaltene Vorſchrift betrifft nur die Frei-
heitsſtrafen, welche die Dauer von ſechs Wochen nicht überſteigen,
dagegen ſtellt das Geſetz keinerlei Regel auf über die Vollſtreckung
von Freiheitsſtrafen von längerer Dauer. Mit dem argumentum
a contrario
iſt aus dem §. 163 nicht zu ſchließen, daß Strafen

1) Im Anſchluß an §. 33 des Rechtshülfe-Geſetzes.
2) Ueber die Berechnung der Dauer der Freiheitsſtrafe vgl. Löwe Note 7
zu §. 163 des G.V.G.
3) Ger.Verf.Geſ. §. 163.
4) Die Behörden des Aufenthaltsortes des Verurtheilten ſind alſo nicht
blos berechtigt, die Auslieferung abzulehnen, wie Endemann I. S. 156
annimmt, ſondern ſie ſind dazu verpflichtet. Keller Anm. 3 zu §. 163
Löwe Note 4 zu dieſem §. Der letztere bemerkt zutreffend, daß die Bundes-
ſtaaten auch nicht befugt ſind, durch Staatsverträge die Zuläſſigkeit der
Ablieferung zu erweitern.
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[71/0081] §. 100. Die Verpflichtung zur Rechtshülfe. theilte zum Zweck der Vollſtreckung an den Staat, deſſen Gerichte die Strafe verhängt haben, abgeliefert werde. Dieſer Grundſatz iſt jedoch modifizirt worden 1), indem die Vollſtreckung einer Frei- heitsſtrafe, welche die Dauer von 6 Wochen 2) nicht überſteigt, demjenigen Bundesſtaate auferlegt worden iſt, in welchem der Ver- urtheilte ſich befindet 3). Die ſtaatsrechtliche Bedeutung dieſer Rechtsvorſchrift iſt folgende: a) Der §. 163 ſtellt keine allgemeine Regel über den Ort der Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen auf, ſondern er regelt nur das Verhältniß der einzelnen Bundesſtaaten zu einander. Er beſtimmt insbeſondere nicht, daß eine Freiheitsſtrafe unter 6 Wo- chen in demjenigen Gerichtsbezirk zu vollſtrecken iſt, in welchem der Verurtheilte ſich befindet; es iſt vielmehr die Beſtimmung hier- über den Einzelſtaaten völlig überlaſſen. Geht das Erſuchen um Rechtshülfe demnach an eine Staatsanwaltſchaft, die demſelben Staate angehört wie das Gericht, welches das Urtheil gefällt hat, ſo kann das Erſuchen ebenſowohl auf Vollſtreckung wie auf Ab- lieferung gerichtet werden und es beſtimmt ſich ausſchließlich nach dem Partikularrecht und den Anordnungen der Juſtizverwaltungen, wann das Eine oder das Andere geſchehen ſolle. Nur für das Verhältniß von Staat zu Staat wirkt die Vor- ſchrift des §. 163 als ein Verbot, die Ablieferung des Verur- theilten über die Landesgränze zu verlangen, beziehentl. einem ſolchen Verlangen, falls es geſtellt wird, zu willfahren 4). b) Die im §. 163 enthaltene Vorſchrift betrifft nur die Frei- heitsſtrafen, welche die Dauer von ſechs Wochen nicht überſteigen, dagegen ſtellt das Geſetz keinerlei Regel auf über die Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen von längerer Dauer. Mit dem argumentum a contrario iſt aus dem §. 163 nicht zu ſchließen, daß Strafen 1) Im Anſchluß an §. 33 des Rechtshülfe-Geſetzes. 2) Ueber die Berechnung der Dauer der Freiheitsſtrafe vgl. Löwe Note 7 zu §. 163 des G.V.G. 3) Ger.Verf.Geſ. §. 163. 4) Die Behörden des Aufenthaltsortes des Verurtheilten ſind alſo nicht blos berechtigt, die Auslieferung abzulehnen, wie Endemann I. S. 156 annimmt, ſondern ſie ſind dazu verpflichtet. Keller Anm. 3 zu §. 163 Löwe Note 4 zu dieſem §. Der letztere bemerkt zutreffend, daß die Bundes- ſtaaten auch nicht befugt ſind, durch Staatsverträge die Zuläſſigkeit der Ablieferung zu erweitern.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/81>, abgerufen am 28.03.2024.